Über die spanische Atompolitik. Teil 7 einer Serie über die internationalen Atomdebatten

Mit Sprengstoff gegen Atomkraft

In den siebziger und achtziger Jahren verübte die baskische Eta Anschläge auf Unternehmen, die in Spanien AKW betreiben. Die Militarisierung spaltete damals die spanische Anti-AKW-Bewegung. Eine klare Linie hat diese bis heute nicht gefunden. Teil 7 einer Serie über die internationalen Atomdebatten.

Noch im Jahr 2005 bezeichnete sich José Luis Rodríguez Zapatero als »der größte Atomkraftgegner« in der spanischen Regierung. 2004 hatte die Sozialistische Partei (Psoe) im Wahlkampf öffentlichkeitswirksam den Ausstieg aus der Atomkraft versprochen. Das erschien glaubhaft, denn bereits die erste postfranquistischen Regierung unter dem Psoe im Jahr 1983 hatte das während der Franco-Diktatur beschlossene Atomprogramm beendet. Geplant waren der Bau von 43 Atomkraftwerken sowie geheime Forschungen zur Entwicklung eigener Atombomben. Bereits zwei Jahre nach Francos Tod demonstrierten viele Spanierinnen und Spanier gegen den Ausbau der Atomkraft. Mit 150 000 Menschen fand etwa 1977 in Bilbao die größte Demonstration seit Ende des spanischen Bürgerkriegs statt – gegen den Bau eines AKW im nahegelegenen Lemoiz. Dort steht das Kraftwerk, beinahe fertiggestellt, heute noch, direkt am Golf von Biskaya. Die Betreiberfirma Iberduero hatte allerdings nicht mit den militantesten unter den Anti-Atomgruppen gerechnet.

Mit dem Schlachtruf »Baskenland oder Lemoiz« eröffnete die separatistische Guerille Eta 1977 eine Kampagne, die bis 1981 andauerte. In einer einzigen Nacht wurden 1977 zehn Büros des Unternehmens Iberduero gesprengt. In baskischen Städten stand an vielen Mauern geschrieben: »Goma-2 gegen Atomkraft«. Goma-2 war der Name des Plastiksprengstoffs, den die Eta für ihre Anschläge verwendete. Die Eta wurde von der Bewegung nicht nur akzeptiert, auch von gewaltfreien Gruppen, sie wurde von vielen auch als eine Art politische Avantgarde gesehen. Die Polizei trug mit ihrer Repression dazu bei, dass sich einige in der Bewegung einen militanten Widerstand wünschten.
Zweimal legten Etarras Bomben auf der Baustelle in Lemoiz, die Arbeiter töteten. 1981 entführte ein Kommando der Eta den leitenden Ingenieur von Lemoiz, José María Ryan. Sie forderte die Zerstörung der Baustelle. Als die Betreiber nicht nachgaben, wurde Ryan erschossen. Aus Protest gab es einen Generalstreik, den ersten gegen die Eta. Die Firma Iberduero stellte die Arbeiten in Lemoiz ein. Das Atomprogramm stockte in ganz Spanien, aber auch die Anti-AKW-Bewegung war wegen der Kriminalisierung und des militaristischen Vorgehens der Eta gespalten. Bis 1987 wurden noch einige AKW gebaut, aber von den 43, die unter Franco geplant waren, wurden nur zehn Reaktorblöcke an sieben Standorten fertiggestellt, von denen zwei mittlerweile stillgelegt worden sind.
Die Regierung von Zapatero hatte vor ihrer Wiederwahl 2008 versprochen, alle AKW nach 40 Jahren Laufzeit stillzulegen. Die Abschaltung des ältesten in Betrieb befindlichen Reaktors in Santa María de Garoña wäre im März fällig gewesen. Aber auf Druck der Betreiber hat Zapatero die Stilllegung bis 2013 aufgeschoben. Unmittelbar nachdem die Explosion im Reaktor 1 von Fukushima bekannt geworden war, wies Ladislao Martínez López, Physiker und Mitglied der Anti-Atom-Plattform für die Schließung des AKW in Almaraz, darauf hin, dass der japanische Reaktor, bei dem das Kühlsystem am schnellsten versagt hatte, dieselbe Konstruktion wie der Siedewasser-Reaktor von Garoña aufweise. Beide Reaktoren wurden von dem Konzern General Electric erbaut, haben die gleiche Leistung und gingen 1971 in Betrieb. Aber Martínez López sitzt nicht in der Atomaufsichtskommission CSN.

Die spanische Anti-AKW-Bewegung besteht heute aus kleinen Umweltgruppen, die von der radikalen Linken unterstützt werden. An einer Demonstration für die sofortige Stilllegung von Garoña beteiligten sich nach der Katastrophe in Fukushima in der Provinzhauptstadt Burgos am 9. April gerade einmal einige hundert Leute. Im beginnenden Wahlkampf für die landesweiten Kommunalwahlen am 22. Mai hat die Vereinigte Linke, das Bündnis rund um die KP, das Thema für sich entdeckt und wirbt für Kohle statt Atomkraft, vor allem in den nordspanischen Bergbauregionen.
Dies stößt auf Widerspruch bei Umweltgruppen wie Ecologistas en Acción und etablierten NGO wie Greenpeace. Diese werben für erneuerbare Energien – eine in Spanien erfolgversprechende Strategie, da mit Windenergie bereits jetzt mehr Strom erzeugt wird als mit Atomkraft. Oft müssen die großen Windparks zwangsweise aussetzen, wenn es eine Überproduktion von Strom gibt, da sich die Leistung der Atomreaktoren nicht herunterregeln lässt. 2008 wurden in Spanien mehr Solarkollektoren als im Rest der Welt aufgestellt, dank des Fördergeldes, das jetzt jedoch in Folge der Wirtschaftskrise nicht mehr fließt. Die Wirtschaftskrise war auch das Argument der Industrieverbände, mit dem sie von der Regierung eine Verlängerung der Laufzeiten der AKW forderten. Anfang Februar wurde ein Gesetz zur »Förderung der Wirtschaft« beschlossen. Auf Initiative des katalanischen bürgerlichen Nationalistenbündnisses CiU beschlossen die Regierungspartei, die konservative Opposition und die bürgerlichen baskischen Nationalisten, die Laufzeiten von AKW nicht auf 40 Jahre zu beschränken.
Die Katastrophe in Fukushima kam dem Psoe nach dieser Entscheidung nicht gerade gelegen. Forschungsministerin Cristina Garmendia teilte mit, die Sicherheit stehe nun über allem: »Wir müssen schauen, wie wir die Lebenszeit der Reaktoren mit bestimmten Sicherheitsstandards verlängern können.« Kurz nach dem Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl sagte Zapatero: »Wir werden die Atomenergie so lange weiter nutzen, wie wir sie benötigen, aber die alternativen Energien weiterentwickeln, bis wir keine Atomkraft mehr brauchen.«
Am 30. April wurde bekannt, dass im nordostspanischen AKW Ascó I 25 000 Liter radioaktives Wasser aus dem Kühlkreislauf in das Reaktorgebäude ausgetreten sind, 14 Arbeiter wurden kontaminiert. Ein Störfall von vielen.