Ezzat Boulos im Gespräch über die Gewalt gegen die koptische Minderheit in Ägypten

»Ich hoffe, dass die Täter bestraft werden«

In Ägypten kommt es immer wieder zu Gewalt zwischen radikalen Muslimen und der Minderheit der Kopten. Ezzat Boulos ist koptischer Christ mit Schweizer Pass und ägyptischen Wurzeln. Er ist Hauptverantwortlicher der Online-Zeitung Copts United, die unter anderem über die Diskriminierung der koptischen Minderheit berichtet und sich als zivilgesellschaftliches Medium versteht, das sich an alle Ägypter wendet.

Vor zwei Wochen gab es in Kairo Ausschreitungen von muslimischen Salafisten gegen christliche Kopten. Zwölf Menschen starben, 200 wurden verletzt. Was ist passiert?
Angefangen hat es mit dem Gerücht, Kopten würden eine zum Islam konvertierte Frau festhalten. Bis zu 4 000 Salafisten, also antimoderne radikale Muslime, sind mit Schusswaffen, Molotow-Cocktails und Steinwürfen gegen Kopten vorgegangen und haben eine Kirche niedergebrannt. Nur die Armee konnte Schlimmeres verhindern.
Es kursieren auch Behauptungen, Kopten hätten aus Angst das Feuer eröffnet.
Der Vorwurf ist so absurd wie typisch. Die Behauptung, die Kopten hätten Waffen in Kirchen versteckt, hat Tradition und ist Teil der antikoptischen Rhetorik.
Viele hochrangige Offizielle spekulieren über die Hintergründe. Es gibt die These, Mubarak-treue Kräfte wollten mit den Anschlägen die Demokratiebewegung zerstören. Wortführer der Salafisten beteuern, es seien keine ihrer Anhänger beteiligt gewesen. Eine andere These besagt, die Täter seien sehr wohl Salafisten, die Unterstützung aus Saudi-Arabien bezögen.
Beide Thesen müssen sich nicht ausschließen. Es ist möglich, dass beide Gruppen im Hintergrund auf die Extremisten einwirken. Unbestritten bleibt aber, dass die Angreifer Salafisten waren. Deren charakteristische Bärte wachsen ja nicht über Nacht. Es gab über 200 Festnahmen, also ließen sich die Täter offenbar feststellen. Ich hoffe nur, dass die Strafverfolgung nicht im Sand verläuft, wie es zu Mubaraks Zeiten immer der Fall war, wenn es um Gewalt gegen Kopten ging, und die Täter jetzt bestraft werden.
Repräsentanten sowohl der Salafisten als auch der Muslimbruderschaft haben die Übergriffe verurteilt und betont, Kopten stünden ihrer Auslegung nach unter muslimischem Schutz.
Meines Erachtens hat da der Wolf Kreide gefressen. Beide Gruppen tun sich ständig damit hervor, gegen Kopten aufzustacheln. Auch die Muslimbruderschaft, die an dieser Aktion ausnahmsweise nicht beteiligt war, hat bis vor kurzem anti-koptische Massenproteste organisiert.
Wie reagieren die Muslime auf die Angriffe?
Es gab während der Übergriffe auch Muslime, die Kopten unterstützten und sich an Demonstrationen für Kopten beteiligten. Man darf nicht den Fehler begehen, alle Muslime zu verurteilen.
Wer genau sind eigentlich »die Kopten«?
Der Name »Kopten« stammt vom griechischen Wort »aigyptios« ab, in der Antike bezeichnete er die Ägypter – unabhängig von ihrer Konfession. Die meisten Kopten sind stolz, die Nachkommen der pharaonischen Ägypter zu sein. Heute werden alle ägyptischen Christen als Kopten bezeichnet, also neben Orthodoxen auch Protestanten und Katholiken.
Als im siebten Jahrhundert arabische Muslime Ägypten eroberten, konnten aufgrund diskriminierender Steuern nur Reiche Christen bleiben. Es gibt das Vorurteil, Kopten seien die Elite Ägyptens. Trotz ihrer angeblich guten Ausbildung bekommen Kopten, die immerhin zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung ausmachen, nachweislich nicht in hohen Verwaltungspositionen an. Aber es gibt auch die zabbalin, das sind Menschen, die vom Müllsammeln leben und hauptsächlich Kopten sind. Dass Kopten als reich gelten, ist häufig die Legitimation, sie auszurauben, was oft als eine Art Kavaliersdelikt behandelt wird.
Sind in der koptischen Gemeinde heute eher religiöse oder säkulare Themen bestimmend?
Der Begriff der Säkularität ist in Ägypten negativ besetzt. Egal ob als Christ oder Muslim, man hat eine Religion zu haben. Das ist in vielerlei Hinsicht ein Problem für die Entstehung einer ägyptischen Zivilgesellschaft. Die Diskriminierung hat dazu geführt, dass sich Kopten oft religiös definieren und abschotten. Leider!
Angeblich haben sich ja viele Kopten am Umsturz des Mubarak-Regimes beteiligt. Der kop­tische Papst Shenuda III. hat sich allerdings für Mubarak ausgesprochen.
Dass Papst Shenuda sagte, alle Kopten ständen hinter Mubarak, war meiner Meinung nach vor allem ein Resultat von Angst. Das System Mubarak war ja so erfolgreich, weil es verfeindete Gruppen gegeneinander ausspielte und sich dann als ihr unverzichtbarer Schutz gerierte. Insbesondere die kultivierte Angst vor der Muslimbruderschaft war ein systemstabilisierendes Instrument. Die Kopten, die sich gegen Mubarak engagierten, sind zu Recht von Papst Shenuda enttäuscht, der sich immer noch nicht klar positioniert. Zum Glück werden auch unter den Kopten die Forderungen nach der Trennung von Kirche und Politik immer lauter.
Gibt es bei den Kopten in diesen Fragen einen Generationskonflikt, ähnlich wie etwa in der Muslimbruderschaft?
Wenn es einen Konflikt gibt, dann zwischen Orthodoxen und liberal denkenden Protestanten. Was den viel diskutierten Generationskonflikt bei der Muslimbruderschaft angeht, würde ich mich nicht wundern, wenn sich dies als Taktik herausstellt. Das wäre nicht neu. Heute lässt die Muslimbruderschaft die Drecksarbeit von den Salafisten verrichten und streicht später die Erfolge ein. Und was hat sie in der Januar-Bewegung zu suchen? Alle dort vertretenen Forderungen widersprechen doch deren Überzeugungen.
Wie sah die Diskriminierung der Kopten vor der Revolution aus?
Seit Nassers panarabischer Politik wurden Kopten systematisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Besonders schlimm war die sogenannte Revitalisierung des Islam seit dem Krieg gegen Israel 1967. Der verlorene Krieg wurde als Ergebnis fehlender Religiosität verstanden und saudische Wahhabiten setzten ihre Petrodollar zur massiven islamistischen Indoktrination ein. Ich habe in Ägypten selbst erlebt, wie der Druck zunahm, Frauen sich immer öfter verschleierten und mein Nachname, der auf den christlichen Paulus verweist, plötzlich wichtig wurde. Die Situation hat sich unter Mubarak verschärft, weil dann die militante Verfolgung der Kopten durch eine Splittergruppe der Muslimbruderschaft einsetzte. In den letzten drei Jahrzehnten gab es wiederholt Massenausschreitungen gegen Kopten, ohne dass die Täter mit nennenswerter Strafverfolgung rechnen mussten. Auch öffentliche Anteilnahme gab es nicht.
Hat sich die Situation nach dem Sturz Mubaraks verändert?
Abgesehen vom traurigen Höhepunkt vor zwei Wochen gab es einige von der Muslimbruderschaft und den Salafisten organisierte Massendemons­trationen gegen Kopten. In den letzten zwei Monaten wurden wiederholt Kopten angegriffen, ihre Häuser in Brand gesetzt und eine Kirche verwüstet. Das sind scheußliche Vorgänge, aber sie gehen von einem eindeutigen Klientel aus. Wichtig ist, dass die Behörden jetzt endlich durchgreifen. Was die entstehende Zivilgesellschaft angeht, zeichnet sich für mich kein klares Bild ab. Einerseits werden Kopten als Teil der Revolutionsbewegung verstanden, andererseits wird ihnen vorgeworfen, sie im Nachhinein durch Rückzug in eine koptische Privatsphäre zu verraten. Aber warum sollte diese Tendenz nur ein koptisches Problem sein? Alle Seiten haben nach über 30 Jahren Überwachungsstaat demokratische Meinungsbildung zu lernen. Trotz und gerade angesichts der blutigen Auseinandersetzungen ist die interreligiöse Zivilgesellschaft der Schlüssel für eine ägyptische Zukunft ohne barbarischen Islamismus.