Prozess gegen zwei mutmaßliche Kriegsverbrecher aus Ruanda in Stuttgart

Von Fall zu Fall

Zwei mutmaßliche ruandische Kriegsverbrecher stehen derzeit in Stuttgart vor Gericht. Es ist der erste Prozess nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch.

Die Bundesanwaltschaft wirft Ignace Murwana­shyaka und Straton Musoni vor, für 26 Verbrechen gegen die Menschheit und 39 Kriegsverbrechen verantwortlich zu sein. Von Baden-Württemberg aus sollen sie ruandische Milizen im Ostkongo befehligt und gewalttätige Übergriffe auf die lokale Zivilbevölkerung organisiert haben. Bis zu ihrer Festnahme führten Murwana­shyaka und Musoni die Rebellengruppe FDLR (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda). Sie gilt als Nachfolgeorganisation der Hutu-Armee, die im Jahr 1994 den Völkermord an den Tutsi in Ruanda verübte. Von der angrenzenden Republik Kongo aus versucht sie, die Regierung in Ruanda zu entmachten, und verwendet dabei Gewalt gegen die kongolesische Zivilbevölkerung als Druckmittel. Zwischen Januar 2008 und November 2009 sollen die FDLR-Milizionäre mehr als 200 Menschen getötet, zahlreiche Frauen vergewaltigt, Kinder zwangsrekrutiert und Zivilisten als Schutzschilde gegen militärische Angriffe missbraucht haben.

Grundlage für die Strafverfolgung der beiden FDLR-Führer ist das deutsche Völkerstrafgesetzbuch. Demnach können Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit auch dann in Deutschland verfolgt werden, wenn die Taten keinen Inlandsbezug aufweisen. Diese Verbrechen unterliegen dem sogenannten Weltrechtsprinzip, das heißt, dass unabhängig von der Frage, an welchem Ort, von wem und an wem die Taten begangen worden sind, deutsches Strafrecht Anwendung findet. Auf dieser Grundlage können Völkerrechtsverbrechen auch dann verfolgt werden, wenn weder Täter noch Opfer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und die Tat auch nicht in Deutschland begangen wurde. Allerdings ermöglicht es die Strafprozessordnung der Bundesanwaltschaft, in vielen Fällen dennoch von der Strafverfolgung abzusehen.
Tatsächlich hat die Bundesanwaltschaft jetzt erstmals wegen Völkerrechtsverbrechen Anklage erhoben. Das Verfahren gegen Murwanashyaka und Musoni wird deshalb von Menschenrechtsorganisationen als ein Erfolg gewertet. »Aus unserer Sicht ist es grundsätzlich positiv, dass der Prozess geführt wird«, sagt Anna von Gall vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), »vor allem, weil das Völkerstrafgesetzbuch damit nach neun Jahren endlich zur Anwendung kommt.«
Das Völkerstrafgesetzbuch ist 2002 in Kraft getreten. Seine Entstehung hängt eng mit der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag zusammen. Die völkerrechtliche Grundlage dafür ist das sogenannte Römische Statut, das 1998 unterzeichnet wurde und 2002 in Kraft trat. Es sieht vor, dass der Internationale Strafgerichtshof unter bestimmten Voraussetzungen schwere Völkerrechtsverbrechen verfolgen kann. Allerdings soll die innerstaatliche Gerichtsbarkeit dabei ausdrücklich nur ergänzen. Zu diesem Zweck passte das Völkerstrafgesetzbuch das deutsche Strafrecht an das Römische Statut an. »Grundsätzlich sieht das Römische Statut vor, dass die Vertragsstaaten selbst Menschenrechtsverletzungen verfolgen«, erläutert von Gall. Weil das Völkerstrafgesetzbuch das Weltrechtsprinzip vorsieht, hat die deutsche Justiz dabei sogar weiter reichende Befugnisse als der Strafgerichtshof, der nur bei Taten mit Bezug zu einem Vertragsstaat oder auf Beschluss des UN-Sicherheitsrats tätig werden kann.

Menschenrechtsorganisationen hatten deshalb große Hoffnungen in die Einführung des Völkerstrafgesetzbuches gesetzt. So erstattete der Generalsekretär des ECCHR, Wolfgang Kaleck, 2005 Anzeige gegen den usbekischen Innenminister Zokirjon Almatow, der nach Angaben von Human Rights Watch für ein Massaker an Hunderten Demonstranten in Andijan verantwortlich sein soll, die von Sicherheitskräften eingekesselt und erschossen wurden. Almatow hielt sich damals für eine medizinische Behandlung in Hannover auf, ausgestattet mit einem Sondervisum des Auswärtigen Amtes. Er reiste unbehelligt wieder aus, die Bundesanwaltschaft lehnte die Aufnahme eines Verfahrens ab. Ähnlich verhält es sich im Fall eines Diplomaten der Botschaft von Sri Lanka in Berlin. Nach Angaben des ECCHR war Jagath Dias Anfang 2009 Generalmajor während einer militärischen Offensive gegen die Guerillagruppe Tamil Tigers, bei der 40 000 Zivilisten umgekommen sein sollen. Dias hält sich seit September 2009 in Deutschland auf. Er genießt Immunität, und die Bundesregierung macht keinerlei Anstalten, ihm sein Diplomatenvisum abzuerkennen.
Für eine umfassende »Weltrechtspflege« fehlt also offenbar der politische Wille. Tatsächlich diente die Einhaltung des Römischen Statuts auch dazu, nationalstaatliche Interessen gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof zu wahren. Aus dem Gesetzentwurf der damaligen Bundesregierung zum Völkerstrafgesetzbuch wird deutlich, dass es nicht nur darum geht, Menschenrechtsverletzungen zu ahnden, sondern auch darum, »zweifelsfrei sicherzustellen, dass Deutschland stets in der Lage ist, in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshof fallende Verbrechen selbst zu verfolgen«. Denn solange dies geschieht, ist der Weg zum Strafgerichtshof versperrt. Auch in der Bundestagsdebatte zur Beratung des Gesetzesentwurfs spielten diese Überlegungen seinerzeit eine Rolle, wie aus dem Plenarprotokoll hervorgeht. Der damalige rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Edzard Schmidt-Jortzig, fand klare Worte: »Stellt Deutschland also mit einem Völkerstrafgesetzbuch wie dem vorliegenden die inländische Strafverfolgung sicher, verhindert es zugleich, dass deutsche Staatsangehörige an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert werden müssen. Schon deshalb kann man die Gesetzesinitiative eigentlich nur unterstützen.«

Bestätigt hat sich das im Fall von Kunduz. Bei dem Luftangriff auf zwei Tanklaster im September 2009 in Afghanistan waren mehr als 100 Menschen getötet worden, darunter auch viele Zivilisten. Gegen den verantwortlichen Bundeswehroberst Georg Klein gab es daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Die Bundesanwaltschaft stellte das Verfahren jedoch ein, mit der Begründung, die Straftatbestände seien nicht erfüllt. Es ist zwar nicht gesagt, dass der Internationale Strafgerichtshof anders entschieden hätte – aber wegen des Tätigwerdens der Bundesanwaltschaft ist er jedenfalls nicht zuständig.
Insofern ist fraglich, ob weitere Völkerrechtsverbrechen in Deutschland tatsächlich geahndet werden. Der Prozess gegen Murwanashyaka und Musoni mag für sich genommen ein Erfolg sein. Bis jetzt handelt es sich um nicht mehr als einen Einzelfall.