Über die österreichische Atompolitik. Teil 10 einer Serie über die internationalen Atomdebatten

Atomstrom ohne AKW

In Österreich gibt es nur ein AKW, das aber nie in Betrieb genommen wurde. Das Land stellt sich gerne als »atomfrei« dar, Atomstrom wird aber aus den Nachbarländern importiert, unter anderem aus Tschechien und der Slowakei. Der tatsächliche Anteil wird dabei verschleiert. Teil 10 einer Serie über die internationalen Atomdebatten.

»Grobe Sicherheitsmängel in Wiener Atomkraftwerk!« Die Schlagzeile, die die rechtsextreme FPÖ vor zwei Wochen zirkulieren ließ, war nicht ganz ernst zu nehmen. Sie bezog sich auf den Versuchsreaktor des Atominstituts der Technischen Universität, der in der Ausbildung und Forschung eingesetzt wird und für Besucher öffentlich zugänglich ist. Tatsächlich ist in Österreich kein AKW in Betrieb, obwohl es eines gibt: das AKW Zwentendorf. Es wurde in den siebziger Jahren gebaut, ging dann aber nie ans Netz. Dabei hatte sich das der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky, dessen 100. Geburtstag die Sozialdemokraten in Österreich in diesem Jahr unermüdlich feiern, so sehr gewünscht. Die christdemokratische Österreichische Volkspartei (ÖVP) verhinderte 1978 eines der wichtigsten Projekte des »Sonnenkanzlers«, wie Kreisky auch genannt wurde, mit einer Volksabstimmung.

Der Bau des AKW war vor 40 Jahren von der österreichischen Regierung beschlossen worden. Im April 1972 wurde in Zwentendorf, am südlichen Donauufer nahe der Kleinstadt Tulln, mit dem Bau begonnen. Bei der von den Konservativen vorangetriebenen Abstimmung im November 1978 sprach sich eine knappe Mehrheit von 50,47 Prozent der Bevölkerung gegen die Inbetriebnahme des AKW aus. Die Volksabstimmung war stark mit Kreiskys Person verknüpft. Er propagierte die »Modernisierung« des Landes – und dazu gehörte seiner Auffassung nach offenbar auch die Nutzung der Atomenergie. Die Christdemokraten hofften, mit der AKW-Abstimmung den übermächtigen Kanzler zu schwächen oder zum Rücktritt zu bewegen. Das Gegenteil war der Fall: Kreisky erzielte bei der Nationalratswahl im Jahr darauf sogar seinen größten Triumph und regierte bis 1983.
Das AKW Zwentendorf wurde einen Monat nach der Abstimmung stillgelegt. Der Bau der heutzutage größten Investitionsruine der Republik Österreich kostete 5,2 Milliarden Schilling (umgerechnet fast 380 Millionen Euro). Im März 1985 wurde die »stille Liquidierung« des AKW beschlossen. Es hatte bis dahin nicht weniger als 14 Milliarden Schilling (mehr als eine Milliarde Euro) verschlungen.

Derzeit hat der Betonmeiler in der flachen Landschaft Niederösterreichs unterschiedliche Funktionen: Mal ist er Austragungsort eines Musikfestivals, mal Filmkulisse, mal Ausweichmöglichkeit für die örtliche Grundschule, die gerade umgebaut wird, mal Museum. Das Kraftwerk in Zwentendorf ist von der gleichen Bauart wie der Reaktor im japanischen Fukushima. Nachdem mehr als drei Millionen Österreicher die Inbetriebnahme des ersten AKW in Österreich verhindert hatten, fehlte jedoch dem staatlichen Energieversorgungsunternehmen »Verbund« die vorgesehene Stromkapazität. Ein Kohlekraftwerk schien die Lösung des Problems zu sein: Es wurde in Dürnrohr, in unmittelbarer Nähe von Zwentendorf, errichtet und 1987 in Betrieb genommen. Die bereits errichteten Stromleitungen des AKW sollten so doch noch genutzt werden. Über Energiesparmaßnahmen oder erneuerbare Energien wurde damals nicht diskutiert, Klimaschutz war noch kein Thema.
Eine weitere Folge der Ablehnung des AKW war, dass in Österreich noch im Jahr 1978 ein Atomsperrgesetz verabschiedet wurde. Demnach dürfen auch in Zukunft keine AKW ohne Volksabstimmung gebaut werden. Das Gesetz wurde 1999 durch das Bundesverfassungsgesetz »für ein atomfreies Österreich« verschärft. Davor war das Land der Europäischen Gemeinschaft beigetreten – und damit auch der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom). Die Diskussion darüber dauert bis heute an: Die EU wird generell von vielen Österreichern eher gehasst als geliebt. Und dass das kleine »atomfreie« Land die Euratom-Gemeinschaft mitfinanziert, regt viele auf, vor allem eine überzeugte Öko-Minderheit. Anfang März scheiterte jedoch das Volksbegehren »Raus aus Euratom!«, weil es lediglich von 98 698 Unterstützern unterzeichnet wurde.
Atomstrom kommt aber sehr wohl aus den österreichischen Steckdosen – produziert wird er in den Nachbarländern, gegenüber denen sich Österreich gerne schulmeisterlich verhält. Die Verbraucher wissen nicht, ob ihr Strom aus Atomkraftwerken oder erneuerbaren Quellen stammt. Etwa 17,5 Prozent der Elektrizität könnten keiner speziellen Quelle zugeordnet werden, schätzt die Energieregulierungsbehörde E-Control. Etwa ein Drittel davon dürfte angesichts der unterschiedlichen Erzeugungsmethoden in Europa aus Atommeilern stammen. Damit könnte Atomenergie etwa sechs Prozent des Stroms liefern. Der konservative Umweltminister Niki Berlakovich spricht von etwa drei bis fünf Prozent importiertem Atomstrom. Ihm sei auch das zu viel, sagt er.

Der Anteil des Atomstroms in Österreich sei in Wirklichkeit weitaus höher, behauptet hingegen die Umweltschutzorganisation Greenpeace und spricht von etwa 15 Prozent. Bei zehn Prozent des in Österreich verwendeten Stroms würde durch den Handel mit Zertifikaten über internationale Strombörsen verschleiert, dass es sich um Atomstrom handelt. Ein großer Teil des importierten Atomstroms komme direkt oder indirekt aus Tschechien, der Slowakei und Deutschland und somit auch aus bekannten Risiko-Reaktoren wie Mochovce und Temelín oder veralteten deutschen Reaktoren. Dieser Atomstrom werde oft mittels zugekaufter Wasserkraftzertifikate »umetikettiert«, um die offiziellen Werte möglichst niedrig zu halten. Zudem importierten einige Kraftwerksbetreiber billigen Atomstrom zu Niedrigverbrauchszeiten, um damit Wasser in die Stauseen zurückzupumpen und später teuren »Spitzenlaststrom« für den Rückexport zu produzieren.
Wasserkraftwerke erzeugen in Österreich den Großteil des Stroms. Das gilt als ökologisch. Dabei wurde in den achtziger Jahren auch der Bau des Donau-Kraftwerks in Hainburg östlich von Wien und nahe der slowakischen Grenze mit dem Argument verhindert, dass die Flussauen dort geschützt werden müssten. Diese wurden später tatsächlich zum Naturschutzgebiet erklärt. Die Auseinandersetzung führte zur Entstehung der Grünen in Österreich. 1986 zogen sie erstmals in den Nationalrat ein. Seit der Katastrophe von Fukushima fordern umso mehr nicht nur sie, sondern Politiker verschiedener Parteien einen Atomausstieg in ganz Europa. Die Sozialdemokraten planen dazu mit der deutschen SPD sogar ein europäisches Volksbegehren.