Hat den ehemaligen Vergnügungspark im Berliner Plänterwald besucht

Vergessene Welt

Vier Tage lang war das Gelände des ehemaligen Vergnügungsparks im Berliner Plänterwald für Besucher wieder geöffnet. Aber vor lauter Installationen und Feuerzauber hatte man Mühe, die umgefallenen Plastiksaurier zu entdecken.

Weit über die Wipfel des Plänterwalds ragt ein Riesenrad. Es erinnert gleich doppelt an eingezäuntes Gebiet: an die DDR und deren zum 20jährigen Bestehen der Staatsgründung als Prestigeobjekt eröffneten VEB Kulturpark. Beider Geschichte wurde von westdeutschen Investoren überschrieben, im Falle des Kulturparks mit wenig Erfolg. Nach der Privatisierung des sozialistischen Betriebs gelang es dem Schausteller und Unternehmer Norbert Witte, mit Hilfe der Berliner Politik den zuvor florierenden Freizeitpark binnen zehn Jahren in eine verlassene und unzugängliche Brachlandschaft zu verwandeln.
Was von diesem Ruin an Ruinen übrig ist, hat das Theater Hebbel am Ufer (HAU) nun an vier Tagen wiederzubeleben versucht und damit an eine Tradition erinnert, die älter ist als die DDR: Der ursprüngliche Lunapark entstand zwischen 1904 und 1909 nach dem Vorbild von Coney Island als Märchenrummel mit Wasserrutschbahn, Schießbuden, Boxkämpfen und Revuen auf einem Gelände in Berlin-Halensee.
Ein solcher Vergnügungspark schwebt auch den Initiatoren vor, sie wollen ein Naherholungsgebiet für die Berliner schaffen, die, so heißt es ironisch im Ankündigungstext, einmal Urlaub von den Touristenströmen bräuchten. Rund 20 000 Besucher kamen in der vorvergangenen Woche, um bei der kurzzeitigen Wiedereröffnung des Geländes dabei zu sein, daruntertypische Theatergänger, Anwohner, Kunsthipster, Aus­flugs­rentner, Spaßprolls sowie Kleinfamilien aller Art. Ihnen wurde ein bemüht he­terogenes Programm mit Konzerten, Kunstaktionen, Kino, Rummelbuden, Zauberspaß und Zuckerwatte geboten.
Der verwaiste Park mit seinem rostigen Rie­senrad und der kurzfristig wieder in Betrieb genommenen Bimmelbahn war die eigentliche Attraktion. Das Kaffeekannenkarussell wurde mit der Hand in Schwung gebracht, die alten Plastikdinosaurier wurden beklettert und die Schwanenboote besetzt. Sehenswert sind vor allem die verfallenen Fachwerkhäuschen im alt­englischen Stil, die früher ein Spiegellabyrinth und ein begehbares Geisterhaus beherbergten, sowie das Rohgerüst des in den neunziger Jahren geplanten Geisterschlosses, dessen Bau vor Fertigstellung der Außenfassade gestoppt wurde. Überall gibt es inmitten der mittlerweile vertümpelten Wasserlandschaft und der verwucherten Achterbahngerippe Überreste des alten Parks zu entdecken, etwa das Drachenmaul am Eingang des Tunnels, durch den einmal der Spreeblitz fuhr.
Wenig überzeugend fielen jene Programmpunkte aus, die für den Neubeginn des Vergnügungsparks stehen sollten. Nach dem Vorbild des Burning Man Festivals in Nevada waren Besucher eingeladen, ihre »Wünsche und Ängste« in einem überdimensionalen Obstkisten-Koloss zu verbauen, um die Holzskulptur dann »in einem überbrodelnden Ritual zu opfern«. Kollektiv eine Figur namens Burn Out Man zu verbrennen, erinnert eher an unheilvollen Runen-Paganismus als an US-amerikanische Spacehippie-Events.
Ähnlich unpassend mutete das Projekt des an übersinnlichen Phänomenen interessierten israelischen Künstlers Ariel Efraim Ashbel an, der einen so genannten Telekineseworkshop anbot, bei dem mittels telekinetischer Energie die schrottreifen Riesenräder zum Rotieren gebracht werden sollten. Mit dem wohl witzig gemeinten Titel des Workshops, »Telekinese Concentration Camp«, liegt der Künstler in jedem Fall daneben. Nach der Schließung des Lunaparks durch die Nationalsozialisten 1933 diente das Gelände am Halensee als zweitgrößtes Zwangsarbeiterlager Berlins.
Über die zukünftige Nutzung des Geländes im Plänterwald wurde auf einer Podiumsdiskussion gestritten: Das Grundstück ist mit Altschulden von zirka 15 Millionen Euro belastet und für Neuinvestoren damit äußerst unattraktiv. Das Land Berlin könnte den Erbbaurechtsvertrag, der noch immer mit der alten Spreepark GmbH besteht, auflösen und dieser die Nutzungs­rechte entziehen, müsste dann aber deren Schulden bei der Deutschen Bank übernehmen. Die Deutsche Bank wird die Schuldsumme kaum löschen, weil sie sich darauf berufen kann, dass sie sofort Investoren fände, würde man auf dem Gelände anstelle des Vergnü­gungs­parks exklusive Townhouses errichten. Zur Zeit hofft man auf eine Zwangsversteigerung.
Der ehemalige Betreiber des Spreeparks, Norbert Witte, hatte die juristische Regelung, die heute zur Pattsituation zwischen Land und Bank führt, noch mit dem von der CDU geführ­ten Senat unter Eberhard Diepgen getroffen. Witte hatte großzügige Spenden an die CDU geleistet und die Mitarbeiter des Spreeparks verpflichtet, Wahlplakate zu kleben oder gleich in die Partei einzutreten. Als der Park dann wegen sinkender Besucherzahlen Insolvenz anmelden musste, setzte Witte sich zunächst nach Peru ab. Bei dem Versuch, rund 160 Kilogramm Kokain nach Berlin zu schaffen, wurde er verhaftet. Nach verbüßter Haft wohnt er heute auf dem Gelände seines alten Parks.
Vergnügungsparks waren seit jeher eine Art Spielplatz für Erwachsene, eine Gegenwelt aus Mutproben, Abenteuerlust, buntem Unsinn und Absurditäten. Sie erlauben einen Ausnahmezustand nach speziellen Regeln. In dem kurzzeitig wiedereröffneten Park mit seinen »Rangern« und »Workshops« war von der Anarchie des Vergnügens aber wenig spüren. Zu wünschen wäre nur, dass der Verfall erhalten bliebe.