Über den Erstkontakt in der Science Fiction

Götter bluten nicht

In der Science Fiction gibt es viele Beispiele dafür, dass die Begegnung mit technologisch überlegenen Zivilisationen für uncontacted tribes unangenehme Folgen haben kann. Aber soll man an den notleidenden Bewohnern anderer Planeten einfach vorbeifliegen?

Die Geschichte des Universums ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Das wissen alle, die den Krieg zwischen den Minbari und der Erdallianz im 23. Jahrhundert überlebt haben, und ganz ehrlich: Ein Kampf gegen die technologisch weit überlegenen Minbari in der Welt der TV-Serie »Babylon 5« ist so aussichtsreich wie der Versuch von Urwaldjägern, einen Hubschrauber mit Pfeil und Bogen zum Absturz zu bringen.
Die Minbari werden wütend, weil die Menschen einen respektvollen Gruß als feindseligen Akt interpretieren und sofort das Feuer eröffnen. Dabei sollte doch klar sein, dass es besser ist, erst freundlich zu winken, wenn man nicht weiß, was los ist. Im Gegensatz zu den Erdlingen der Serie »Babylon 5« hatten die Urwaldbewohner an der peruanischen Grenze das Glück, dass es die im Hubschrauber über sie hinwegfliegenden Menschen von der NGO Survival International gut mit ihnen meinten und kein Pfeil irgendeinen Schaden anrichtete.

An dieser Stelle sollte man den uncontacted tribes zugutehalten, dass sie so uncontacted gar nicht sind und ihr erster Kontakt nach einem Schema abgelaufen sein könnte, das aus einem anderem Universum – nämlich dem von Star-Trek – bekannt ist: »Wir sind die Borg. Sie werden assimiliert werden. Ihre Kultur wird sich anpassen und uns dienen. Widerstand ist zwecklos.« Wer das hört, kann auf die Idee verfallen, dass es besser ist, erst zu schießen und dann Fragen zu stellen. Auch wenn man dem Gegner hoffnungslos unterlegen ist. Tatsächlich war Widerstand gegen die »Gummibarone«, die viele Indigene versklavt und zur Arbeit auf den Kautschukplantagen gezwungen haben, kaum möglich, und der Wunsch, mit dieser Art der Zivilisation nichts zu tun zu haben, ist verständlich.
Zum Glück hat sich die Menschheit weiterentwickelt. Sie hat den Kapitalismus überwunden, die Armut abgeschafft und das Streben nach Profit aus der Liste der die Gesellschaft antreibenden Motive gestrichen – vorerst allerdings nur im Star-Trek-Universum. Dort gibt es ethische Anforderungen an einen Erstkontakt, die aber auch erst einmal kodifiziert werden müssen, wie Captain Jonathan Archer in der Enterprise-Episode »Lieber Doktor« beklagt: »Irgendwann werden sich meine Leute eine Art Leitfaden einfallen lassen. Etwas, das uns sagt, was wir hier draußen tun können und was nicht. Aber bis mir jemand sagt, dass es so etwas gibt, so eine Direktive, so lange werde ich mir wohl jeden Tag vor Augen halten müssen, dass wir nicht hier sind, um Gott zu spielen.«

Das Ergebnis ist die Oberste Direktive, die verlangt, dass man sich nicht in die Geschicke einer Zivilisation einmischt, die noch nicht zu interstellaren Reisen in der Lage ist oder keinen Kontakt wünscht. Das heißt nicht, dass man eine solche Zivilisation nicht erforschen dürfte, aber man muss sich tarnen. Ein Restrisiko bleibt also, die Tarnung kann versagen, und das tut sie auf Mintaka III dann auch. Als Forschungsgegenstand sind die Mintakaner, die schon in ihrer Bronzezeit nach nichtreligiösen Erklärungen für die Abläufe in der Welt suchen, sicherlich reizvoll. Nichtsdestotrotz ist die Wirkung eines enttarnten Forschungslabors nicht zu unterschätzen, denn hier gilt das dritte Clarkesche Gesetz: »Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.«
Ein Mintakaner namens Liko stürzt, er verletzt sich lebensgefährlich, und die Crew des Raumschiffs Enterprise unter Captain Jean-Luc Picard entschließt sich, den Unglücklichen zu retten, sein Kurzzeitgedächtnis zu löschen und ihn zurückzuschicken. Leider klappt das mit dem Löschen wegen Likos unbekannter neuronaler Konfiguration nicht. Dass die Gehirne von Bronzezeit-Atheisten anders ticken als die der Erdenmenschen, hätte man sich eigentlich denken können. Liko erzählt nun, dass »der Picard« ihn zurück ins Leben geholt hätte. Doch kurz bevor ein ständig moralisierender Glatzkopf zur Gottheit erklärt werden kann, gibt Jean-Luc alles, er lässt sich gar mit Pfeil und Bogen anschießen und hat das Glück, dass die Mintakaner keine Interesse an einem Gott haben, der blutet. Diese Weisheit hätte sich mancher von der Menschheit auch gewünscht.
Was den Umgang mit der Obersten Direktive im Verlauf der fünf Star-Trek-Serien interessant macht, sind Fragen nach den Grenzen von Souveränität, wie sie auch in den aktuellen politischen Diskussionen eine Rolle spielen: Wie gestört darf eine Zivilisation, eine Kultur, eine Nation eigentlich sein, wenn sie ungestört bleiben will? Und wie geht man mit Hilferufen um?

Bei diesen Hilferufen ist nicht die Rede von libyschen oder syrischen Rebellen, sondern von Aliens wie Sarjenka, deren Planet in der The-Next-Generation-Folge »Brieffreunde« von einer globalen Erdbebenserie vollständig zerstört zu werden droht. Da sitzt sie nun, nicht einmal erwachsen, irgendwo zwischen den Erdbebenspalten. Die Eltern sind tot, alles, was ihr bleibt, ist ein Funkgerät: »Ist da jemand?« Aber ja! Der allseits beliebte Androide Data antwortet und freundet sich mit Sarjenka an, freilich ohne zu verraten, dass er gar nicht auf ihrem Planeten lebt.
Data hat bereits mit der Antwort gegen die Oberste Direktive verstoßen. Er erhält folgerichtig den Befehl, jeglichen Kontakt zu Sarjenka einzustellen. Aber er bleibt hartnäckig und überzeugt seine Kollegen davon, die Funksprüche des Kindes als offizielles Hilfegesuch zu werten. Einen umkonfigurierten Photonentorpedo später hat der Planet kein geologisches Problem mehr, Sarjenkas Gedächtnis wird gelöscht und alle sind glücklich.
»Die Oberste Direktive wurde entworfen, um zu beschützen, nicht um zu zerstören«, ist die von Picard angebotene Rationalisierung dieses Vorgehens. Wer es gerne deutlicher hätte, ist mit seiner Aussage, dass sich wahre Gerechtigkeit nicht in Regeln fassen lässt, gut bedient. Die stammt allerdings aus einer anderen Episode, in der das junge Besatzungsmitglied Wesley Crusher vor der Gerichtsbarkeit der Edo gerettet werden muss, die eine garstig unangenehme Sorte des Hippietums verkörpern. Sie geben sich friedlich, liebevoll und sexuell freizügig, aber ihre einzige Strafe für alle Vergehen ist der Tod, auch wenn man nur, wie Wesley, beim Ballspiel in eine abgesperrte Grünfläche gestolpert ist.
Ohne Wesley wären »The Next Generation« viele nervtötende Momente erspart geblieben, aber das ist eine andere Geschichte. Er wird gerettet, obwohl Picard doziert: »Die oberste Direktive ist nicht nur eine Reihe von Regeln, sie ist eine Philosophie, eine sehr korrekte Philosophie. Die Geschichte hat immer wieder bewiesen, dass jede Einmischung in die Belange einer weniger entwickelten Zivilisation, wie gut gemeint auch immer, ohne Ausnahme verheerende Resultate produziert.« Hin und wieder macht er aber eine Ausnahme.
Tatsächlich kann der Kontakt mit technologisch überlegenen Zivilisationen verheerende Folgen haben, andererseits braucht jeder irgendwann einmal Hilfe. »Der erste Kontakt«, der achte Star-Trek-Kinofilm, macht deutlich, dass es der Menschheit ohne außerirdische Hilfe keineswegs gelungen wäre, die großartige Zivilisation der Star-Trek-Zukunft zu entwickeln. In der Milchstraße ist die Menschheit nur ein uncontacted tribe unter vielen, und wir brauchen Hilfe. Ist da jemand?