Die Entscheidung über die PID im Bundestag

Am Anfang ist die Diagnose

Der Bundestag hat einer beschränkten Zulassung der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID) zugestimmt. Dass sich nun der gesellschaftliche Status von Behinderten verschlechtern könnte, befürchten nicht nur Behindertenverbände.

Die überwältigende Mehrzahl deutscher Medien hatte Ende der vergangenen Woche ausnahmsweise einmal Lob für den Deutschen Bundestag übrig. Die etwa vierstündige Diskussion um die umstrittene Präimplantationsdiagnostik (PID) wurde mal als »Sternstunde des Parlaments« (Tagesspiegel), mal als eine »faire Debatte« (Welt) gepriesen. Das Thema war in der Tat kein einfaches. Schließlich geht es bei der PID um grundlegende ethische Fragestellungen. Und die Entscheidung des Bundestags könnte für wesentliche Veränderungen in der Gesellschaft sorgen.

Die PID ermöglicht es, durch künstliche Befruchtung entstandene Embryonen auf genetische Erkrankungen oder Fehlbildungen hin untersuchen zu lassen. Nur gesunde Embryonen werden danach in die Gebärmutter eingepflanzt. Lange Zeit war die Rechtslage zur PID in Deutschland unklar. Der Fall eines Berliner Gynäkologen, der sich im Jahr 2006 nach einer erfolgten PID bei Embryonen von Paaren mit einer genetischen Disposition für Erbkrankheiten selbst anzeigte, um Rechtssicherheit zu haben, sorgte für große mediale Aufmerksamkeit. Der Bundesgerichtshof (BGH) sprach den Arzt im vergangenen Jahr frei und stellte fest, dass die PID dem 1991 in Kraft getretenen Embryonenschutzgesetz zufolge nicht grundsätzlich untersagt sei.
Seitdem oblag es dem Bundestag, eine eindeutige rechtliche Regelung zur PID zu finden. Nach langer Vorbereitung und mehreren intensiven Vordiskussionen ging es am Donnerstag vergangener Woche dann um eine grundsätzliche Entscheidung zur PID. Dem Parlament lagen drei Gesetzentwürfe zur Abstimmung vor: Einer beinhaltete ein Verbot der PID, ein anderer die weitgehende Freigabe und der dritte die eng begrenzte Freigabe des Verfahrens. Die Parlamentarier stimmten nach der Debatte überraschend eindeutig mit 326 gegen 260 Stimmen für den Antrag auf eine beschränkte Zulassung des medizinischen Verfahrens.
Die Befürworter der begrenzten Freigabe um die Abgeordneten Ulrike Flach (FDP) und Peter Hintze (CDU) verlangen zwar eine Prüfung des Einzelfalles durch eine Ethikkommission und eine Anwendung in lizenzierten Zentren. Zudem soll die PID auf »schwerwiegende« Fälle beschränkt bleiben. Eine genaue Definition des Begriffes »schwerwiegend« lieferten die Abgeordneten jedoch nicht. Es seien Erbkrankheiten gemeint, die sich »durch eine geringe Lebenserwartung oder Schwere des Krankheitsbildes und schlechte Behandelbarkeit von anderen Erbkrankheiten erheblich unterscheiden«. Allzu präzise ist diese Formulierung nicht. Es gab auch die Überlegung, in einer Art Katalog alle Krankheiten aufzulisten, die eine PID rechtfertigen sollten. Diese Idee wurde jedoch schnell abgelehnt, da sie ein fragwürdiges, kategorisches Urteil über ein vermeintlich lebenswertes oder nicht lebenswertes Leben implizieren würde.
Ein Kompromissvorschlag, ausgearbeitet von ­einer Abgeordnetengruppe um Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), René Röspel (SPD) und Priska Hinz (Grüne), fand keine Zustimmung. Ihm zufolge wäre die PID nur in sehr wenigen, definierten Ausnahmefällen rechtmäßig gewesen. »Wir hatten unseren Antrag an die Wahrscheinlichkeit der Lebensfähigkeit geknüpft, das heißt nur bei erwarteten Fehl- oder Totgeburten wäre die PID erlaubt gewesen«, sagt René Röspel. Den Verweis auf »schwerwiegende« Fälle in dem nun erfolgreichen Antrag empfindet Röspel als nicht stichhaltig. »Durch die sehr schwammige Fassung des Gesetzestextes droht eine Ausweitung der PID«, warnt der Abgeordnete. In der Debatte sei der Antrag seiner Gruppe nicht genügend beachtet worden, da er vieler Erklärungen bedurft habe. Ein einfaches »Ja« oder »Nein« fiel den Abgeordneten nach Röspels Auffassung offenbar weitaus leichter.
Immerhin 260 Stimmen erhielt der Antrag auf ein vollständiges Verbot der PID, den ebenfalls Abgeordnete aller Fraktionen unterstützten, wie etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) oder Wolfgang Thierse (SPD). Dieser lehnt die Technik ab, da sie »die Selektion, eine Qualitätsüberprüfung des Lebens« ermögliche. Zudem befürchten die Anhänger des Verbots, dass sich Eltern behinderter Kinder in Zukunft in verstärktem Maß rechtfertigen müssen. Selbstverständlich gehören dieser Gruppe von Abgeordneten auch stockkonservative Lebensschützer an. Die katholische Kirche unterstützte ebenfalls ausdrücklich das generelle Verbot der PID. »Jedes menschliche Leben ist von Gott geschaffen und schützenswert. PID ist nicht hinnehmbar, weil Menschen bestimmen, was lebenswert ist und was nicht lebenswert ist«, erklärte etwa der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, im Domradio.
Dass sich der Rechtfertigungsdruck für Eltern von behinderten Kindern erhöhen werde, erwarten auch verschiedene Behindertenverbände. »In der Debatte um die gesetzliche Regelung der PID wurde immer wieder ein Leben mit Behinderung mit Leid gleichgesetzt, das es zu verhindern gelte. Deshalb macht mir die Entscheidung des Bundestages Sorge«, sagt Katrin Grüber, die Leiterin des Instituts für Mensch, Ethik und Gesellschaft in Berlin. Das Institut wird von neun Verbänden der Behindertenselbsthilfe getragen und will Menschen mit Behinderungen Gehör in der Politik und der Gesellschaft verschaffen. Die Einrichtung setzt sich dabei hauptsächlich mit ethischen Fragestellungen und Fragen der menschlichen Selbstbestimmung auseinander.
Nach der Zulassung der PID droht nach Grübers Ansicht im schlimmsten Fall ein Paradigmenwechsel, da eine mögliche Behinderung auch als Argument gegen die Einpflanzung eines Embryos herangezogen werden kann. »Ich sehe in der Entscheidung des Bundestages auch einen Widerspruch zur UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Deutschland hat sich mit der Ratifizierung verpflichtet, einen aktiven Beitrag zur Anerkennung von Menschen mit Behinderungen zu leisten. Die PID bedeutet dagegen, dass ein Leben mit Behinderung unter Umständen als nicht lebenswert eingeordnet wird«, sagt sie. Darüber hinaus warnt Grüber vor einer allmählichen Ausweitung der PID nach der Zulassung. Am Beispiel Belgien sehe man, wohin eine nachlässige Handhabung führen könne. »In Belgien wurde sogar der Verdacht auf Adipositas, eine Form von krankhafter Fettleibigkeit, als Grund gegen eine Einpflanzung eines befruchteten Embryos angeführt«, berichtet Grüber.
Die Zustimmung des Bundestags zur PID bringt aber noch weitere heikle ethische Fragen mit sich. So müssen nach Angaben von Experten mindestens acht Embryonen erzeugt werden, damit schließlich einer in die Gebärmutter eingepflanzt werden kann. Was mit den überzähligen Embryonen geschehen soll, ist noch vollkommen unklar. »Dieser Punkt steht in deutlichem Widerspruch zum Embryonenschutzgesetz. Darin ist festgelegt, dass bei Fortpflanzungstechniken nur drei Eizellen befruchtet werden dürfen«, sagt Grüber.

Für Röspel zeigt sich in dieser Detailfrage ein weiteres Mal die fehlende Alltagstauglichkeit des kommenden Gesetzes. Im schlimmsten Fall könne es weitere ethisch umstrittene Entscheidungen nach sich ziehen. So wecken mögliche überzäh­lige Embryonen die Begehrlichkeiten von Stammzellforschern. Und auch die Ausmaße, die die PID selbst annehmen kann, sind wegen der unklar definierten Beschränkungen unvorhersehbar. Es gibt keine Garantie dafür, dass nicht immer wieder neue Krankheiten als »schwerwiegend« anerkannt werden. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, erwartet zwar, dass die Technik jährlich nur in »150 bis 200 Fällen zur Anwendung kommen wird«, wie er der Schweriner Volkszeitung sagte. Aber diese Angaben sind nur Schätzungen, verlässliche Zahlen wird es erst nach der endgültigen gesetzlichen Freigabe der PID geben.