Über Amy Winehouse und einen Tod mit Ansage

Am Tag, als Amy Winehouse starb

Es war ein Tod nach Ansage. Bis zuletzt hatte man sich gewünscht, dass Amy Winehouse irgendwann die Kurve kriegt und das nächste ­große Album aufnimmt. Aber das wurde am Ende immer unwahrscheinlicher.

Wenn es dann tatsächlich passiert, das erwartete Unvorstellbare, dann kann man es doch kaum glauben. Amy Winehouse ist tot. Gestorben im Alter von 27 Jahren. Ihre berühmten Vorläufer, an die man sich jetzt wieder erinnert, Janis Joplin, Jim Morrison, Jimi Hendrix, Brian Jones, sind im selben Alter ihren Rock’n’Roll-Tod gestorben. Viel zu jung natürlich, doch damals war 27 nach Rockmaßstäben immerhin schon ein Alter. Heute dagegen wissen wir, dass Popmusik nicht zwangsläufig eine Sache der Jugend sein muss. Im Unterschied zu Jimi Hendrix oder Jim Morrison hat Amy Winehouse der Welt jedenfalls noch nicht das Wesentliche mitgeteilt. Sie stand noch ganz am Anfang, auch wenn sie bereits oben angekommen war.

Andererseits: Vielleicht stimmt das auch nicht. Ihr Album »Back to Black« (2006), das sie über Nacht zu einem Weltstar machte und das gerade mal ihre zweite Platte gewesen ist, war schließlich bereits perfekt. Was also hätte da noch kommen sollen? Man ist sich sicher, dass dieser Gedanke auch die Seele von Amy Winehouse zerrissen hat. Sie hat ihr millionenfach verkauftes Album zusammen mit den Dap Kings eingespielt, der wohl versiertesten Retro-Soul-Rhythmusgruppe der Gegenwart, den Funk Brothers von heute. Auch ihr Produzententeam war nicht zu toppen. Mark Ronson, der König Midas der Branche, hat ihre atemberaubende Soulstimme mit Unterstützung der Dap Kings in sagenhaften Hits wie »You Know I’m No Good« oder »Rehab« präsentiert und sie zu etwas rumpeligen, aber vollauf mainstreamtauglichen Superhits gemacht. Wie also hätte es im besten Fall weitergehen können mit Amy Winehouse? Mit derselben Truppe hätte sie ein ähnlich grandioses Album wie »Back to Black« einspielen können. Wahrscheinlich hätte man sie dann gefragt, wer einen solchen Aufguss braucht. Sie hätte aber auch herumexperimentieren können. Mit einem anderen Produzenten. Mit einer anderen musikalischen Ausrichtung. Diese Neuausrichtung hätte misslingen können. Dieses Gefühl, das Amy Winehouse gehabt haben muss, dieses Gefühl, mit ihrer nächsten Platte scheitern zu können, hat dieser offenbar extrem sensiblen Persönlichkeit schwer zu schaffen gemacht.

Und wir reden noch gar nicht über die Drogen, den Alkoholismus, die englische Boulevardpresse, die Papparazzi, die Essstörungen, die unglückliche Liebe samt On-Off-Beziehung oder ihren Vater, der sich auch öffentlich über seine Tochter äußerte. Die Tragik des Lebens von Amy Winehouse war kaum mehr zu überbieten. Man kann heute sagen: Ihr Tod war ein Tod nach Ansage. Nach allem, was man bisher weiß, sind Amy Winehouse die Drogen und der Alkohol zum Verhängnis geworden. Sie hat es einfach nicht geschafft, die Finger davon zu lassen. Als sie im Juni ihre geplante Tournee absagen musste, nachdem sie beim Auftaktkonzert zu betrunken war, um den Auftritt in Würde zu beenden, da hätte man langsam anfangen können, sich um die Sängerin aus London ernsthaft Sorgen zu machen. Stattdessen gab es viel Häme, Ausschnitte aus dem Konzert wurden Hits auf Youtube.

Man hat sich, genau wie bei ihrem männlichen Pendant, Pete Doherty, an all diese Abstürze gewöhnt. Auch mit einem Pete Doherty hat niemand mehr Mitleid, wenn er mal wieder einen Auftritt absagen muss oder wegen eines Drogendelikts vor Gericht steht. Man dachte über Amy Winehouse dasselbe wie über Doherty: Das Kaputte gehört einfach mit dazu bei diesen destruktiven Persönlichkeiten. Außerdem gibt es ja nicht nur Janis Joplin oder Jimi Hendrix, sondern auch Keith Richards oder Iggy Pop – Überlebende. Ehemalige Drogenwracks, die heute so vital erscheinen, als hätten sie ihr Leben lang nichts Härteres als Kamillentee konsumiert.

Amy Winehouse war krank. Sie war eine Süchtige. Und doch machte man Witze über sie und zog sie durch den Dreck, so wie man das auch gerne bei Pete Doherty macht, dessen Unzuverlässigkeit legendär ist. Amy Winehouse konnte in den letzten Monaten ihr Haus nicht mehr verlassen, ohne eine Unzahl von Paparrazzi aufzuscheuchen, die Tag und Nacht vor ihrer Haustür campierten, um noch mehr Stoff für noch mehr Geschichten zu sammeln. Man erzählte sich, dass die Soulsängerin den Pressevertretern sogar Tee gebracht habe, was schon auf so eine Art Stockholm-Syndrom hindeutete. Man lästerte über die seltsamen Tätowierungen, die sie sich stechen ließ, über ihre Brustvergrößerung und ihre Bienenkorbfrisur, die sie aussehen ließ wie ein Mitglied der Ronettes, aber nicht wie einen zeitgemäßen Popstar. Amy Winehouse war das perfekte Opfer für die Klatschpresse, eine Frau, die ganz oben stand und bei der man sich trotzdem ständig rückversichern konnte, dass man so, in diesem Beziehungs- und Drogenelend, nicht enden möchte.

Letztlich hat sie nicht geschafft, was ein einderer Superstar unserer Zeit hinbekommen hat. Sie war sogar eher das genaue Gegenteil von Lady Gaga. Auch diese ist ein Fabelwesen, ein Freak, der die Phantasie und die Klatschpresse erregt. Doch Lady Gaga hat es mit einem geschickten Kunstgriff eingerichtet, nur ihre Oberfläche anzubieten und eine irgendwie geartete Echtheit, eine Verletzlichkeit, das Private, dieser öffentlichen Wahrnehmung zu entziehen. Selbst wenn jetzt Handyaufnahmen einer zugekoksten Lady Gaga auftauchen würden, wäre das immer noch die Kunstfigur Lady Gaga, die wir sehen würden. Das Verteufelte bei Amy Winehouse war, dass öffentliche und private Person eins waren. Bei ihr war leider alles mehr als Image, und wenn der Popstar Amy Winehouse ihre berühmt-berüchtigten Textzeilen »They tried to make me go to rehab, but I said no, no, no« sang, dann sprach auch die »echte« Amy Winehouse diese Weigerung aus, es endlich mal mit einem Entzug zu versuchen. Für diese enorm talentierte Frau wird es kein Comeback mehr geben. Bleiben wird ihre Musik und ihre Bedeutung, einer der interessantesten Popstars der traurigen Nuller Jahre gewesen zu sein. Ihr musikalisches Erbe haben längst Stars wie Adele angetreten, skandalfreie Neo-Soul-Tantchen, die einen Amy-Wine­house-Sound in der weichgespülten Variante anbieten. Für ihr Privatleben interessiert sich kein Mensch – viel zu langweilig. Ach, hätte Amy Winehouse doch ein etwas langweiligeres Leben gehabt.