Das Attentat auf den Militärführer der libyschen Rebellen

Verrat und Attentat

Nach der Ermordung von Abdel Fattah Younis, dem Kommandanten der libyschen Rebellen, präsentiert die Übergangsre­gierung widersprüchliche Behauptungen über die Täter.

Bereits die erste Erklärung des Transitional National Council (TNC), der Übergangsregierung der libyschen Rebellen, erschien dubios. »Das isolierte diktatorische Regime« bekämpfe »Symbole und Helden« der Revolution, dies wurde am Donnerstag vergangener Woche als Motiv für die Ermordung von Abdel Fattah Younis genannt. Younis kommandierte die Streitkräfte der Rebellen, er und zwei weitere Offiziere waren an diesem Tag erschossen worden. Der Anführer der Attentäter sei verhaftet worden, gab der TNC an.
Erwähnt wurde in der Erklärung aber auch, dass Younis auf dem Weg zu einem Treffen mit einem »juristischen Komitee« war, das ihn zur »Untersuchung militärischer Angelegenheiten« vorgeladen hatte. Überdies sprach der TNC sein Beileid »allen Stämmen, insbesondere dem Stamm der Obeidat« aus, dem Younis angehörte. »Die Obeidis werden sich nicht von der Revolution abwenden« – das klang schon beschwörend.
Einen Tag später präsentierte Ali al-Tarhouni, im TNC verantwortlich für Finanzen und Öl, eine neue Version. Die Attentäter seien keine Anhänger Gaddafis gewesen, vielmehr hätten Mitglieder der islamistischen Brigade Obeida ibn Jarrah Younis getötet. »Seine Leutnants haben es getan«, sagte Tarhouni, die Brigade sei mit Younis verbündet gewesen. Ein Motiv nannte er nicht.
Zahlreiche Mitglieder des TNC waren Funktionäre des Gaddafi-Regimes. Manche sind Technokraten, die im Westen studierten und nach Libyen zurückkehrten, als Gaddafi seine Außenpolitik änderte und Ökonomen für geplante Privatisierungen und die Verhandlungen mit westlichen Konzernen benötigte. Andere hatten im vorgeblichen Öffnungsprozess, den Gaddafis Sohn Saif al-Islam leitete, eine Rolle übernommen. Solche mildernden Umstände konnte Younis nicht geltend machen. Er war bereits am Putsch im Jahr 1969 beteiligt, der Gaddafi an die Macht brachte, wurde dessen Berater und diente dem Regime unter anderem als Innenminister.

So war es Younis, den Gaddafi im Februar nach Bengasi schickte, um den dortigen Aufstand niederzuschlagen. Hätte Younis nicht mit den von ihm kommandierten Einheiten die Seite gewechselt, wäre die Revolte möglicherweise gescheitert. Diese Tatsache und der Mangel an professionellen Militärs in den Reihen der Rebellen verschafften ihm eine Führungsposition.
Doch das Misstrauen blieb, offenbar verdächtigte man Younis, ohne Absprache mit Gaddafi zu verhandeln. Zumindest ohne Absprache mit dem TNC, denn in den Wochen vor dem Mord war von mehreren westlichen Politikern, unter anderem dem britischen Außenminister William Hague und seinem französische Kollegen Alain Juppé, die Ansicht zu hören, Gaddafi könne in Libyen bleiben, wenn er der Macht entsage. Wie diese Lösung mit dem vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausgestellten Haftbefehl vereinbart werden kann, blieb unklar, wie so vieles in der westlichen Politik seit dem Beginn des »arabischen Frühlings«.
Möglicherweise wollten Hague und Juppé nur zum Ausdruck bringen, dass ihnen die Libyen-Intervention lästig ist. Sollte es aber Pläne gegeben haben, den Krieg durch eine Vereinbarung mit Gaddafi zu verkürzen, wäre Younis der geeignete Vermittler gewesen. Zumindest ist wahrscheinlich, dass die Attentäter Younis töteten, um Verhandlungen zu unterbinden oder zu beenden.
Das ist an sich ein berechtigtes Interesse, denn falls Gaddafi in Libyen bleiben darf, wird er zweifellos versuchen, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Wird »Bruder Führer« nicht von der Justiz behelligt, wird es auch kaum möglich sein, seine Funktionäre und Henker zu belangen. Es würde sich ein Machtzentrum der Anhänger des alten Regimes bilden, das für die Demokratisierung noch hinderlicher wäre, als es die ehemaligen Anhänger Gaddafis in den Reihen der Rebellen sind.
Doch die Sorge um die Demokratisierung war wohl nicht das Motiv der Attentäter. Angesichts der ruhigen Lage in Bengasi gibt es keine Rechtfertigung dafür, ein juristisches Verfahren durch den Einsatz einer Todesschwadron zu ersetzen, und es ist wahrscheinlich, dass die Attentäter, die Younis’ Reisepläne gekannt haben müssen, zumindest Informanten im TNC hatten.
Möglicherweise stand der Anschlag auch im Zusammenhang mit Machtkämpfen innerhalb des TNC. Younis dürfte versucht haben, seiner Klientel Privilegien zu verschaffen. Vermutlich deshalb will der TNC sich der Loyalität »der Obeidis« versichern, die befürchten könnten, dass sie nun marginalisiert werden. In Bengasi kam es bereits zu Kämpfen, nach Angaben des TNC wurden Anhänger Gaddafis gestellt, doch die tatsächlichen Umstände sind bislang unklar.
Um einen »Stammeskonflikt« handelt es sich jedoch nicht. Da keine Diktatur Verwandtschaftsbeziehungen kontrollieren kann, ist deren Politisierung eine Möglichkeit, sowohl Privilegien im herrschenden System zu erringen als auch Oppositionsgruppen zu organisieren. Die Führung übernehmen nicht Älteste oder Häuptlinge, sondern Offiziere, Geschäftsleute und Bürokraten, die zu Warlords aufsteigen und wenig auf Traditionen wie die Aushandlung von Kompromissen in Ratsversammlungen geben.
Die Schwäche der Insitutionen des ganz auf die Befürfnisse Gaddafis zugeschnittenen libyschen Staatsapparats begünstigt die Warlordisierung. Ein unausweichliches Schicksal ist sie nicht, die Mehrheit der Libyer scheint die Ansichten der Demokratiebewegung in den Nachbarländern Tunesien und Ägypten zu teilen. Im TNC sind auch ehemalige politische Gefangene und kritische Juristen vertreten, möglicherweise wird sich das Gremium noch zu einer ernsthaften Untersuchung des Attentats durchringen.
Überdies ist die Offensive der Rebellen vor allem im Westen des Landes erfolgreich. Stürzt Gaddafi, kann die Schwäche der Institutionen ein Vorteil sein. Im nachrevolutionäre Libyen werden dubiose Persönlichkeiten großen Einfluss haben, es wird jedoch wohl kein Machtzentrum geben, das, wie derzeit das ägyptische Militär, die Demokra­tisierung blockieren kann.