Die Bundesregierung und ihre Begehrlichkeiten auf dem Balkan

Friedensenkel im Einsatz

Guido Westerwelle, Dirk Niebel und Angela Merkel bereisen die Balkan-Staaten. Der Bundesregierung geht es darum, die Abspaltung des Kosovo von Serbien zu vollenden und der deutschen Wirtschaft den Zugriff auf Südosteuropa zu sichern.

Während manche Politiker in den Sommerferien weilen, sind Mitglieder der Bundesregierung umtriebig und begeben sich dienstlich in andere Länder. Von einer diplomatischen Reisewelle wird derzeit Südosteuropa heimgesucht. Zunächst begab sich der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel (FDP), Anfang August nach Albanien und Bosnien-Herzegowina. Wenige Tage später reiste Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nach Montenegro, Kroatien und in das Kosovo. Am kommenden Montag möchte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Serbien und Kroatien aufbrechen.
In Priština traf sich Westerwelle am Donnerstag voriger Woche mit dem ehemaligen Anführer der UCK, Hashim Thaçi. Die UCK war für die Vertreibung von mehr als 200 000 Serben und Roma aus dem Kosovo verantwortlich. Mittlerweile bekleidet Thaçi das Amt des Premierministers. Nach dem Handschlag mit ihm sagte Westerwelle: »Die territoriale Integrität der Staaten dieser Region, sie ist für Deutschland nicht verhandelbar.« Diese Aussage ist angesichts der jüngsten Geschichte der deutschen Balkan-Politik grotesk. Die Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens durch die Bundesrepublik im Dezember 1991 erfolgte unter Missachtung der territori­alen Integrität Jugoslawiens. Und 1999 beteiligte sich Deutschland im Kosovo-Krieg militärisch an der Zerschlagung der territorialen Integrität Serbiens.

Westerwelle geht es derzeit um die angeblich bedrohte territoriale Integrität des Kosovo. Serbien hat, neben vielen weiteren Staaten, das Kosovo zum Missfallen Deutschlands bis heute nicht als unabhängigen Staat anerkannt. Ende Juli kam es wieder einmal zu Grenzstreitigkeiten zwischen Kosovo-Albanern und Serben. Die seit Jahren schwelende Auseinandersetzung um Handelsblockaden und Zollfragen eskalierte, es gab gewaltsame Zusammenstöße an zwei Grenzposten im Nordkosovo. Kosovarische Truppen versuchten zunächst, eine von Serben kontrollierten Grenzstation in ihre Gewalt zu bringen. Ihr Ziel war es, ein Einfuhrverbot für serbische Waren durchzusetzen, nachdem Serbien Güter aus dem Kosovo mit einem Importverbot belegt hatte. Einige hundert im Nordkosovo lebende Serben blockierten daraufhin Straßen und brannten eine Grenzwache nieder. Ein kosovarischer Polizist wurde bei den Kämpfen getötet.
Die Kosovo-Schutztruppe Kfor verlegte wegen der Auseinandersetzungen 1 000 Soldaten in die Konfliktregion. Der deutsche Generalmajor Erhard Bühler, seit September vergangenen Jahres Oberbefehlshaber der Kfor, sorgte auf seine Art für Frieden. Er drängte die serbische und die kosovarische Regierungen Anfang August dazu, einen von ihm erdachten Vorschlag für eine Übergangslösung zu unterzeichnen. Darin ist vorgesehen, dass die Kfor die umkämpften Grenzübergänge Jarinje und Brnjak bis Mitte September alleine kontrolliert. In der Zwischenzeit soll eine dauerhafte Lösung gefunden werden. Die Serben verpflichteten sich, alle von ihnen errichteten Straßenblockaden wieder abzubauen. Waren aus Serbien dürfen nicht mehr in das Kosovo eingeführt werden. Dies ist ein klarer Erfolg für die kosovarische Regierung.
In Serbien dürfte dagegen die Erkenntnis wachsen, dass auch die Auslieferung des ehemaligen Generals und mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ratko Mladic an das Jugoslawien-Tribunal in Den Haag nicht ausgereicht hat, um Deutschland zur Zustimmung zu EU-Beitrittsverhandlungen zu bewegen. Die noch zu erfüllenden deutschen Bedingungen bestehen in der Aufgabe des serbischen Einflusses im Norden des Kosovo und in der Anerkennung der Unabhängigkeit des Landes. Dazu ist die serbische Regierung bislang nicht bereit, schließlich käme dies einer Kapitulation gleich.
Zur weiteren Stabilisierung der Lage im Nordkosovo forderte Generalmajor Bühler die Ope­rational Reserve Force (ORF) an. Die ORF ist ein 700 Mann starkes deutsch-österreichisches Bataillon, das auf Abruf für Einsätze im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina bereitgehalten wird. Das Nato-Kommando in Neapel stimmte der Stationierung dieser Truppe zu. Sie traf bereits in der vergangenen Woche im Kosovo ein und soll drei Monate dort bleiben.
Damit sind Enkel und Urenkel der deutsch-österreichischen Waffenbrüder, die 1914 mit der Parole »Serbien muß sterbien« in den Ersten Weltkrieg marschierten, wieder vereint auf dem Balkan im Einsatz. Möglicherweise gesellen sich auch die Enkel von Waffenbrüdern aus dem Zweiten Weltkrieg zu ihnen, schon bald könnte eine italienische Einheit die ORF im Kosovo verstärken.

Der Norden des Kosovo war für die deutsche Rüstungs- und Kriegsmaschinerie von 1933 bis 1945 wirtschaftlich wichtig. Denn dort befanden sich die großen Blei- und Zinkminen von Trepca bei Mitrovica. Nach dem Überfall auf Jugoslawien im April 1941 und der Aufteilung des Landes zwischen dem Deutschen Reich, Italien und Bulgarien erzwang die deutsche Regierung von italienischen Firmen die Garantie, das Bauxit aus den unter ihrer Kontrolle stehenden Gruben in das Deutsche Reich zu liefern. Zudem musste Italien den nörd­lichen Teil des Kosovo dem deutschen Protektorat Serbien überlassen, womit die bis dahin unter britischer Mehrheitsbeteiligung betriebenen Minen von Trepca in deutsche Hände fielen. Sie zählten zu den »reichswichtigen Erz- und Hüttenbetrieben« Serbiens und galten als unentbehrlich für die deutsche Kriegswirtschaft. Im April 1941 besetzte ein Kommando der Wehrmacht die unbeschädigten Gruben von Trepca. Die Schnelligkeit des deutschen Vorstoßes hatte die von der englischen Direktion vorbereiteten Sprengungen verhindert.
Aus den Minen von Trepca stammten fast 80 Prozent der jugoslawischen Blei- und Zinkförderung. Bereits vor dem Krieg wurden jährlich etwa zwei Fünftel der aus Trepca kommenden Erzeugnisse in das Deutsche Reich geliefert, nach der deutschen Besetzung war es die gesamte Produktion. Mit insgesamt 23 000 Tonnen war Serbien 1942 größter Bleilieferant Deutschlands. Die deutschen Schulden für die Ausbeutung der jugoslawischen Rohstoffreserven sind bis heute nicht bezahlt.
In den Minen von Trepca, dem damals größten Arbeitgeber im Kosovo, waren Ende der achtziger Jahre mehr als 20 000 Menschen beschäftigt. Im Jahr 2000 wurden die Gruben stillgelegt und alle Arbeiter entlassen. 1999 errichtete die UN-Verwaltung unmittelbar neben den Abraumhalden in Nord-Mitrovica Flüchtlingslager für Roma. Mehr als 600 Menschen waren seitdem in diesen Lagern einer schweren Bleibelastung ausgesetzt. 2010 wurde eines der Flüchtlingslager nach großen internationalen Protesten geschlossen, ein Teil der Roma wurde in anderen Teilen Mitrovicas angesiedelt. Doch noch immer müssen mehr als 20 Familien auf dem bleiverseuchten Gebiet leben. Die Minen von Trepca müssten dringend abgedeckt oder vollkommen abgetragen und geräumt werden.
Dort hätte Niebel als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ein dringend notwendiges Projekt finanzieren können. Doch der Politiker ließ sich auf seiner Sommerreise stattdessen im Nachbarland Albanien für die Einweihung von Stromtrassen feiern, die in das Kosovo und nach Montenegro führen. Weniger erfreut war Niebel bei seinem Besuch in Bosnien-Herzegowina. Die deutsche Botschafterin entschied sich statt eines Besuches mit dem Minister in Srebrenica für ein Treffen mit ihrem Lebensgefährten, von bosnischer Seite waren nur zweitrangige Beamte zu einem Gespräch mit dem deutschen Minister bereit. Hauptsächlich prangerte Niebel die Korruption und das Fehlen einer Verfassung an. Solche Bedingungen sind schlecht für das Geschäft. So klagen deutsche Firmen bei der Bundesregierung über »Investitionsrisiken« in dem Land. »Germany Trade & Invest«, ein dem Wirtschaftsministerium zugeordnetes Unternehmen »für Außenwirtschaft und Standortmarketing«, führt »mäßige Bewertungen« für das »Investitionsklima« in Bosnien-Herzegowina an.

Optimistischer gab sich Außenminister Westerwelle bei seinem Besuch in Kroatien. Das Land habe »seine Hausaufgaben« gemacht und sei »beispielhaft für andere Balkanstaaten«. Kroatien soll Mitte 2013 in die EU aufgenommen werden. Bis dahin müssten jedoch noch die Justiz reformiert, die Korruption stärker bekämpft und vor allem die Werftindustrie privatisiert werden, sagte der Minister. Wer von dieser Privatisierung pro­fitieren dürfte, ist offensichtlich: Deutschland ist der zweitwichtigste Handels- und drittwichtigste Investitionspartner Kroatiens.