Charlotte Roche nervt mit ihrem Roman »Schoßgebete«

Vater, Mutter, Sex

Wie man das Poloch des Gatten massiert, ohne sich dabei vom Nachwuchs erwischen zu lassen, erzählt Charlotte Roche in ihrem Roman »Schoßgebete«. Claire Horst ist vom pornographisch aufgeppten Hello-Kitty-Gequatsche schwer genervt.

Charlotte Roche hat wieder ein Buch geschrieben. Die Erstauflage, 500 000 Stück, ist bestimmt schnell ausverkauft. Es geht nämlich wieder um Sex. Aber anders, denn diesmal ist die Heldin verheiratet. Und ehelicher Sex ist eines unserer letzten Tabus, sagt der Verlag. Was tabu ist, ist immer gut. Und deshalb schreibt Roche darüber: »Unter dem Sack massiere ich mit der Zunge den Damm und lasse etwas Spucke für meinen Finger am Poloch. Ich mache meine Zunge ganz fest und spitz und fahre mit ihr von unten über den Damm und die Hodenhaut zwischen die Eier bis ganz nach oben zur Eichel und reibe zugleich mit dem Zeigefinger um die Rosette. Ich mache meine Lippen und die Eichel vorher mit Spucke nass.«
Wer »Feuchtgebiete« nicht als feministisches Aufbegehren gegen Sauberkeitswahn und Schönheitsfimmel, sondern wegen der geilen Sexszenen gelesen hat, den machen vielleicht auch die Pimmel-Gebrauchsanweisungen der neuen Heldin Elizabeth an. Obwohl, in den Pornos können die Frauen das noch besser, findet Eliza­beth, aber sie bemüht sich. Ihr Mann hatte früher immer nur »Frauen, die er bis zum Abwinken bedienen musste, und dann blieb nicht mehr viel für ihn übrig. Na, vielen Dank, liebe Frauenbewegung! So war das doch auch nicht gedacht. Dass nur noch die Frauen kommen und die Männer gucken müssen, wo sie bleiben. Er liebt es, wenn ich seine Sexdienerin bin.«
Die Frauenbewegung findet Elizabeth sowieso ganz, ganz doof. Vor allem, weil Sex ganz wichtig ist für sie. Und deshalb ist sie ganz, ganz böse auf ihre Mutter und auf Alice Schwarzer, weil: »Meine Mutter und führende Feministinnen haben mich so erzogen, dass es einen vaginalen Orgasmus nicht gibt.« Und »Alice Schwarzer sitzt immer beim Sex zwischen mir und meinem Mann und flüstert mir ins Ohr: ›Ja, Eli­zabeth, das bildest du dir nur ein, dass du jetzt einen vaginalen Orgasmus hast, das bildest du dir nur ein, um dich deinem Mann und seinem Machtschwanz zu unterwerfen.‹« Denn die Alice, die hat ganz viel Zeit und hockt da immer nur rum und guckt der Elizabeth beim Sex zu. Aber zum Glück hat sich die Elizabeth trotzdem von den bösen Feministinnen emanzipiert. Ihr Mann kann ihre Vagina nämlich ganz toll lecken, weil er immer ganz viele Pornos guckt, da lernt man das. Und weil er das so gern hat, geht sie manchmal mit ihm in den Puff. Ein bisschen macht es ihr auch Spaß, Frauen anzufassen, und dann fragt sie sich: »Bin ich lesbisch?« Eigentlich will sie aber lieber mit anderen Männern schlafen, aber das erlaubt ihr Mann nicht, und eigentlich ist es auch gut, dass Elizabeth mitgeht in den Puff, denn es »ist dann nicht so ein trauriges Freier-Nutten-Verhältnis, er wird dann nicht so abgemolken, wie es den Männern meistens passiert, wenn sie allein dahin gehen«.
Ihre Therapeutin findet das nicht so gut, dass Elizabeth in den Puff geht. Aber sonst ist sie sehr verständnisvoll und hört immer zu, wenn Elizabeth von ihrem Poloch erzählt und den gerissenen Schamlippen und ihren toten Brüdern zwischendurch und von ihrem Kind, das erst vom Tisch aufstehen darf, wenn alle aufgegessen haben. Aber Elizabeth hat das schon durchschaut, dass sie ein Kontrollfreak ist. Von ihrer Therapeutin weiß sie, dass das alles Schutzmechanismen sind. Aber sie will es eben besser machen als ihre Eltern, weil: »In der Therapie habe ich gelernt, dass es das Wichtigste ist, dass die ­Eltern dem Kind unmissverständlich klarmachen, dass es nichts für die Trennung kann ( … ). Meine Eltern hatten keine Therapieerfahrung und meinten, nicht mal ein Buch über Erziehung oder Scheidungskinder lesen zu müssen.« Deshalb macht Elizabeth alles richtig und gibt dem Kind nur Bio-Obst und Bio-Milch und passt auf, dass es sie nicht beim Sex erwischt.
Manchmal ist Elizabeth auch richtig wütend. Zum Beispiel, wenn sie an die »Druck-Zeitung« denkt, die damals über ihre toten Brüder geschrieben hat. Und dann wundert sie sich über die bösen Männer bei der Zeitung und fragt sich, warum die Frauen von denen nichts gemacht haben, weil Frauen sind ja nicht so böse eigentlich. »Warum die überhaupt Ehefrauen haben, ist mir ein Rätsel. Müssten nicht alle Frauen zusammenhalten und sich kollektiv weigern, mit den Machern einer solchen Zeitung Sex zu haben? Dann würden die doch schon aus Notgeilheit schnell aufhören damit, egal, wie viel Geld sie vorher verdient haben mit dem Bösen.«
Ganz, ganz böse sind manche Männer, und weil die Charlotte in den Interviews immer sagt, dass das Buch ganz viel mit ihr zu tun hat, darf man hier auch mal vergleichen. Das mit den bösen Männern, das ist nämlich auch im echten Leben so. Deshalb wollte die Charlotte den Vorstandsvorsitzenden des Springer-Konzerns, Mathias Döpfner, mal »hauen«. Wegen der Berichterstattung über den Unfalltod ihrer Brüder. Aber dann hat sie ihm nur gesagt, dass er ein ganz schlechter Mensch ist, »wegen der Bild-Zeitung«.
Dann hat sie dem Spiegel noch mehr erzählt über ihr echtes Leben, kurz vor dem Erscheinungstermin. Sie hat nämlich ganz viele psychischen Probleme: Magersucht, Depressionen, Ängste, Alkoholsucht, Selbstmordgefährdung. Und wie der Elizabeth hat auch ihr die Therapeutin ganz, ganz viel geholfen. »Sie hat mir schon ganz oft das Leben gerettet. Ganz im Ernst.«
Wie die Elizabeth denkt die Charlotte auch ganz viel nach. Seit sie mal auf einem Konzert von Jan Delay einen Attac-Stand gesehen hat, ist sie politisch engagiert und war auch bei den Castor-Protesten. Dem Christian Wulff hat sie voriges Jahr Sex angeboten, wenn er das Abkommen zur Laufzeitverlängerung der AKW nicht unterschreibt. Das ist Pro-Sex-Feminismus für die Charlotte. Und Pro-Sex heißt irgendwie Anti-Sprache bei der Charlotte. Das Buch kann man nämlich ganz leicht lesen, weil es in echt so geschrieben ist, wie die Charlotte spricht. Wie die Charlotte plappert auch die Elizabeth immer gleich alles vor sich hin, was ihr so durch den Kopf geht. Und da ist dann nicht immer Zeit, das irgendwie schön zu verpacken in eine ausdrucksvolle Sprache oder so.
Und das finden viele total gut, sogar die FAZ, die das Buch als erste lesen durfte. »Entwaffnend umgangssprachliches Erzählen«, nennt sie das niedliche Hello-Kitty-Gequatsche, und die Berliner Zeitung lobt das »hervorragend geschriebene Porträt einer jungen Frau«. Vielleicht sind die alle auch ein bisschen enttäuscht vom Inhalt. Denn beim letzten Buch konnte man noch ganz viel lernen über Arschrasuren, Avocadokerndildos und Muschischleim. Die Helen aus »Feuchtgebiete« war ein einziger Wutschrei. Auch wenn ihre Emanzipationsversuche in Selbstverstümmelung mündeten, war ihre Ablehnung allen Schönheitswahns trotzdem emanzipatorisch. Bei »Feuchtgebiete« hat auch die Spracharmut noch ganz gut funktioniert. Der Ekelfaktor war so hoch, das allgemeine Entsetzen so groß und der Bruch zwischen Niedlich- und Piepsigkeit der Autorin und Schroffheit der Texte so brutal, dass der Befreiungseffekt größer war als der Nervfaktor.
In »Schoßgebete« gibt es nur noch ein bisschen Wurmbefall, Elizabeths Selbstheilungs- und Befreiungsversuche sind nur noch banal. Ihre Emanzipation mündet in der Erlaubnis ihres Mannes, mit anderen Männern zu schlafen. Ihren albernen Machtkampf gegen den Second-Wave-Feminismus und Übermutter Alice Schwarzer agiert Elizabeth aus, indem sie sich mit dem eigenen »Poloch« oder dem ihres Mannes beschäftigt. Elizabeth ist eben kein jugendliches Scheidungskind mit Hang zum Fäkalen mehr, sondern eine perfektionistische Mutter, Ehefrau und irgendwie am Rande auch Fotografin, die mit tiefsten Verletzungen kämpft. Wie schwer die sind, wie dramatisch der Verlust sein muss, den sie erlitten hat, müssen die Leser sich allerdings selbst ausmalen.
Die gefühlsleeren und vollkommen bilder­armen, irgendwie aneinandergereihten Sätze dienen jedenfalls nicht dazu, mehr als müdes Erstaunen über diese komplett aus Außenfläche bestehende Person zu erwecken. Mehr, als ihr ständig über die Lippen plappert, scheint sich auch hinter der Schädeldecke nicht abzuspielen. Mag sein, dass das alles Strategie ist. WAZ und Taz zumindest wittern eine gekonnte Persiflage auf was auch immer, der Spiegel diagnostiziert wagemutig eine »Mischung aus Frauenzeitschriftenkolumne und Bewusstseinsstrom im Stile James Joyces«. Wahrscheinlicher ist, dass die Autorin wie ihre Heldin einfach nicht über eine andere Sprachebene verfügt. Das »entwaffnend umgangssprachliche Erzählen« führt jedenfalls dazu, dass nach zwei Seiten tödliche Langeweile einsetzt und dass auch grausame Erlebnisse wie der Unfalltod der drei Brüder einen völlig gleichgültig lassen. Höchstens nimmt man der Autorin übel, dass sie den persönlichen Verlust zu einem Roman verwurstet hat, statt sich in eine Talkshow zu setzen. Selten hat man sich so nach der Sprachgewalt eines Houellebecq gesehnt – selbst ein Antifeminist und Rassist berührt einen mehr, wenn er wenigstens ­schreiben kann.

Charlotte Roche: Schoßgebete. Piper, München 2011, 16,99 Euro, 288 Seiten