Die »Schuldenbremse« in der spanischen Verfassung

Bremsen für Merkel

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy haben die Länder der Eurozone aufgefordert, eine »Schuldenbremse« für die Haushaltspolitik in der Verfassung zu verankern. Nun kündigt die spanische Regierung eine entsprechende Verfassungsänderung an. Die Empörten sind empört.

Es war nicht nur für die Abgeordneten eine Überraschung, dass der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero von der regierenden sozialdemokratischen Partei Psoe am Dienstag vergangener Woche verkündete, mit Mariano Rajoy, dem Oppositionsführer des konservativen PP, eine Vereinbarung zur »Schuldenbremse« getroffen zu haben. Denn Änderungen der Verfassung galten bislang als Tabu. Ihre Verabschiedung am 31. Oktober 1978 markierte das Ende des Übergangs von der Franco-Diktatur zur konstitutionellen Monarchie. Neun Wochen später wurde sie in einem Referendum angenommen.

Im Baskenland und in Katalonien stieß die Verfassung jedoch mehrheitlich auf Ablehnung. Denn statt des geforderten regionalen Selbstbestimmungsrechts bis hin zur möglichen Sezession ist in der Präambel die »unteilbare Einheit« der »großen spanischen Nation« festgeschrieben. Weil in Galizien, Katalonien und im Baskenland separatistische Bewegungen die Unabhängigkeit von Spanien propagierten und dabei lange Jahre von bewaffneten Untergrundgruppen unterstützt wurden, bestanden PP und Psoe auf der Unantastbarkeit der Verfassung. Sie konnten Änderungen verhindern, denn das Wahlsystem bevorzugt die beiden großen Parteien, die einander seit 1977 an der Regierung ablösen. In 33 Jahren gab es bisher nur einmal eine Abstimmung über eine Verfassungsänderung. In einem gerichtlich angeordneten Referendum stimmte 1992 eine Mehrheit der Spanier dem Maastrichter Vertrag der EU zu.
Der Tradition der übergeordneten Staatsräson gemäß möchten Psoe und PP die Festschreibung der »Schuldenbremse« in der Verfassung im Schnelldurchgang parlamentarisch beschließen. Das strukturelle Staatsdefizit soll 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten, diese »Schuldenbremse« soll ab 2020 verbindlich sein. Ausnahmen soll es bei schweren Wirtschaftskrisen und Naturkatastrophen geben.
Kaum war der Plan in der Diskussion, regte sich Protest. Nach einigen Stunden gab es Tausende Retweets bei Twitter auf das Hashtag #yoquierovotar. Dort hatte Ignacio Escolar geschrieben: »So unantastbar war die Verfassung, und jetzt soll sie innerhalb von zwei Wochen reformiert werden, ohne Referendum und auch ohne öffentliche Debatte? #ich will abstimmen.«
Die Bewegung der Empörten, um die es während der Sommerferien ruhig geworden war, meldete sich ebenfalls überraschend schnell. Nachdem Zapatero die Verfassungsänderung angekündigt hatte, gab es am gleichen Abend erste Versammlungen einiger hundert Aktivisten an der Puerta del Sol, wo die Bewegung »Echte Demokratie jetzt!« entstanden war. In der Erklärung der Empörten, die an diesem Abend beschlossen wurde, ist von einem »Staatsstreich zugunsten der Märkte« die Rede, denen sich die Regierung erneut »unterwerfen« würde. Es sei »ein Wirtschaftsverbrechen«, in Krisenzeiten eine Begrenzung der Staatsausgaben zu beschließen. Dieser »erneute Versuch, die Gesellschaft zu betrügen«, sei »pure Ideologie«. Wer notwendige staatliche Ausgaben kürze, »verurteilt künftige Generationen dazu, prekär zu leben«. Dabei beginnt die Bewegung, das K-Wort zu benutzen: Zapatero und Rajoy »sind dem Kapitalismus hörig und folgen den Diktaten aus Europa«. Schuld seien einmal mehr die Banken sowie Merkel und Sarkozy.

Fabio Gandara, einer der Sprecher der Empörten, versprach einen »heißen Herbst voller Mobilisierungen«. Zu ersten Demonstrationen gingen am Sonntag in etwa 15 spanischen Städten 18 000 Menschen auf die Straße und forderten: »Nein zu dieser Verfassungsreform« und »Das Volk muss gefragt werden – Referendum jetzt«.
In ihrer Kritik an Merkel, Sarkozy und den Finanzmärkten übersieht die Bewegung der Empörten, dass sich auch die spanischen Kapitalverbände der produzierenden Wirtschaft sehr für die »Schuldenbremse« einsetzen. Sie begrüßten, dass so die Solvenz des Staats verbessert und den ausufernden Sozialausgaben ein Riegel vorgeschoben werde.