Der Wahlkampf der Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern

Der Wahlkampf ist Nebensache

Statt mit dem Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin hat die Linkspartei jüngst mit Debatten über den Mauerbau und Kuba auf sich aufmerksam gemacht. Dabei könnten die Wahlen entscheidend für die Zukunft der Partei sein.

Die Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern hätte eigentlich viel zu tun. Am Wochenende wird der Landtag neu gewählt. Seit den Wahlen 2006 regiert in Mecklenburg-Vorpommern eine Koalition aus SPD und CDU, nachdem Sozialdemokraten und PDS zuvor zehn Jahre lang eine rot-rote Koalition gestellt hatten. Die »Linke« hofft auf eine Rückkehr an die Regierung. Ein gutes Ergebnis in Mecklenburg-Vorpommern wäre enorm wichtig. In Berlin stehen in zwei Wochen ebenfalls Wahlen an, jüngsten Umfragen zufolge ist der Verlust der Regierungsbeteiligung dort wahrscheinlich.

Doch weder die mecklenburgische Landespartei noch die »Linke« auf Bundesebene erweckten in den vergangenen Wochen den Eindruck, sich im Wahlkampf zu befinden. Vielmehr jagte eine Debatte die nächste. Von Mai bis Juli stritt man sich vor allem um die Frage, wie viel Antisemitismus die Partei in den eigenen Reihen dulden möchte (Jungle World 30/11). Im August war die »Linke« hauptsächlich mit Diskussionen über ihr Verhältnis zu Kuba und zum Mauerbau beschäftigt. Mit solchen Themen gewinnt man allerdings nicht gerade Wählerstimmen.
Aber im Gegensatz zur Antisemitismus-Debatte, in der sich aus den Landesverbänden in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern eher die vernünftigen Stimmen zu Wort meldeten, trägt die »Linke« im Nordosten diesmal eine Mitschuld an dem miserablen Bild, das die Partei in der Öffentlichkeit abgibt. Pünktlich zur Schlussphase des Wahlkampfes erregte der traditionslinke Flügel Aufsehen mit einem Streit über den Mauerbau. Dieser sei »alternativlos« und eine »zwingende Konsequenz« aus dem Kalten Krieg gewesen, hieß es in einem Positionspapier der »Antikapitalistischen Linken« aus Mecklenburg-Vorpommern. Am 13. August, dem 50. Jahrestag des Mauerbaus, sollte der Mauertoten auf einem Landesparteitag gedacht werden. Doch drei Delegierte blieben während einer Schweigeminute demonstrativ sitzen und machten den Skandal damit perfekt.
Die anderen etwa 100 Delegierten beteiligten sich an der Gedenkminute, was verdeutlichte, dass es sich bei den Mauerfreunden um eine kleine Minderheit handelt. Der Landesvorsitzende Steffen Bockhahn betonte zudem, dass man »aller Maueropfer gedenke« und die Linkspartei Verantwortung für sie zu tragen habe. Er wurde mit 67 Prozent der Stimmen wiedergewählt. In einer kurz darauf vom NDR in Auftrag gegebenen Umfrage verlor die Linkspartei zwar einen halben Prozentpunkt. Mit 17,5 Prozent würde sie aber immer noch ihr Ergebnis von 2006 übertreffen.

Da der Erhebung zufolge die SPD mit Gewinnen und die CDU mit Verlusten zu rechnen hätte, wäre nach der Wahl sowohl eine rot-schwarze als auch eine rot-rote Mehrheit möglich. In einem Interview mit dem Radiosender NDR1-MV äußerte der amtierende Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) Befriedigung über die Tatsache, sich nach der Wahl vermutlich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden zu können. Die Erpressbarkeit als kleiner Koalitionspartner dürfte in der »Linken« allerdings für weiteren Streit zwischen dem Reformflügel und den selbsterklärten Parteilinken führen.
Die Parteiführung trägt nicht dazu bei, die Konflikte zu lösen oder zumindest zu entschärfen. Klaus Ernst und Gesine Lötzsch, die beiden seit Mai 2010 amtierenden Vorsitzenden der Bundespartei, sind eher Teil des Problems. In der Debatte um den Mauerbau konnte sich Lötzsch nicht zu einer klaren Distanzierung überwinden. Zwar konstatierte die Parteivorsitzende: »Ein Sozialismus hinter Mauern, der funktioniert nicht.« Doch mit ihrer Aussage, ohne den Zweiten Weltkrieg »hätte es ja auch die deutsche Teilung nicht gegeben, dann hätte es auch keinen Mauerbau gegeben«, legte sie nahe, der Mauerbau sei als Folge des Nationalsozialismus eine historische Notwendigkeit gewesen. Gregor Gysi, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, bemerkte dazu: »Klar, Geschichte folgt aus Geschichte. Das hilft uns aber nicht weiter.« Zudem bemühte er sich um eine Beruhigung der Lage, indem er den Mauerbau eindeutig als »zutiefst inhuman« bezeichnete.
Kurz darauf sorgten Lötzsch und Ernst aber schon für neue Empörung in der Öffentlichkeit. In einem Schreiben gratulierten sie Fidel Castro anlässlich seines Geburtstags zu seinem »kampferfüllten Leben und erfolgreichen Wirken« und lobten Kuba als »Beispiel und Orientierungspunkt für viele Völker dieser Welt« (Jungle World 34/11). Auf die autoritären Verhältnisse in dem Land gingen sie nicht ein. Mittlerweile hat sich Ernts um Schadensbegrenzung bemüht und den Stil des Schreibens als Fehler bezeichnet. Die Vorsitzenden der reformorientierten Landesverbände in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin mahnen derweil verzweifelt, sich im Wahlkampf auf wichtige Sachthemen zu konzentrieren.

Es würde helfen, wenn die Bundespartei über Kernthemen spräche, sagte etwa Bockhahn. Der Berliner Landesvorsitzende Klaus Lederer forderte, zu einer »politischen Kultur des Miteinander« zurückzukehren. Benjamin Hoff, Bundessprecher des reformorientierten »Forums Demokratischer Sozialismus« und Berliner Gesundheitsstaatssekretär, wies mit Blick auf die Kuba-Debatte darauf hin, dass die Partei in Berlin seit 20 Jahren einen antistalinistischen Grundkonsens habe. Der prominente Musiker Andrej Hermlin, Sohn des DDR-Schriftsteller Stephan Hermlin, erwägt inzwischen einen Parteiaustritt, sollten sich »rückwärtsgewandte Tendenzen in der Partei verbreiten und den demokratischen Konsens ablösen«.
Angesichts der Vorgänge sind nicht nur für den Programmparteitag Ende Oktober hitzige Debatten zu erwarten. Eine Neuwahl der Parteiführung ist eigentlich erst im Sommer 2012 vor­gesehen. Doch sollten die Wahlergebnisse in den beiden ostdeutschen Bundesländern schlecht ausfallen, könnte diese Debatte schon früher auf die »Linke« zukommen.