Das »Asien-Bild deutscher Eliten«

Im Osten was Neues

Die Körber-Stiftung, ein einflussreicher Think Tank für deutsche Außenpolitik, hat Vertreter aus Wirtschaft und Politik nach ihrem »Asien-Bild« befragt.

Der Kapitalismus produziert fortwährend Gewinner und Verlierer. Am besten wissen das natur­gemäß die Inhaber gesellschaftlicher Spitzenpositionen, die sich hierzulande jedoch neuerdings auf der Verliererseite wähnen. Einer aktuellen statistischen Erhebung zufolge sind drei Viertel von ihnen überzeugt, dass »Europas weltpolitische Bedeutung« durch den ökonomischen Aufstieg asiatischer Staaten wie China und Indien »zurückgehen« werde.
Herausgefunden hat dies die Hamburger Körber-Stiftung, in deren Auftrag das Meinungsforschungsinstitut Emnid 405 »führende Vertreter aus Medien, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft« über ihr »Asien-Bild« befragte. Die Körber-Stiftung wurde 1959 von Adolf Körber gegründet, der während des Nationalsozialismus Rüstungsindustrieller und Mitglied der NSDAP war. Seitdem hat sie sich – gestützt auf ein Vermögen von mittlerweile mehr als 500 Millionen Euro – zu einer der einflussreichsten außenpolitischen »Denkfabriken« in Deutschland entwickelt. So unterhält sie beispielsweise ein »Netzwerk für den außen- und sicherheitspolitischen Führungsnachwuchs«, das sich selbst als »exklusiver Kreis jüngerer Mitarbeiter aus den Büros von Bundestagsabgeordneten und Fraktionen, dem Bundeskanzleramt, dem Auswärtigem Amt, dem Bundesministerium der Verteidigung sowie aus Berliner Botschaften und Think Tanks« definiert.

Das nun von der Körber-Stiftung erschlossene »Asien-Bild deutscher Eliten« zeichnet sich allerdings nicht nur durch die Furcht vor dem weltpolitischen Abstieg Europas aus, sondern ebenso durch die Angst vor der immer wieder gerne beschworenen »gelben Gefahr«. 86 Prozent der Befragten messen der Volksrepublik China eine »überragende politische und wirtschaftliche Bedeutung« zu und sehen das Land als ernstzunehmenden »Konkurrenten« Deutschlands. Eine Mehrheit von 69 Prozent rechnet zudem mit einem sich verschärfenden »Wettbewerb um die globale Vorherrschaft«, der eine militärische Dimension gewinne – es werde »mehr sicherheitspolitische Konflikte geben«, meinen immerhin 60 Prozent. Als Schauplatz möglicher kriegerischer Auseinandersetzungen gilt der Mehrheit der befragten »Führungskräfte« der Nahe und Mittlere Osten: 81 Prozent vertreten die Ansicht, China werde sich »aufgrund seiner bedeutenden Energie- und Wirtschaftsinteressen« künftig verstärkt in der Region engagieren. Daher seien, so denken immer noch mehr als die Hälfte der Befragten, »vermehrt Konflikte zwischen den USA – der bisherigen Vormacht – und China zu erwarten«.
Ganz ähnlich sieht man das offenbar beim ebenfalls in Hamburg beheimateten German Institute of Global and Area Studies (Giga), dem vormaligen Deutschen Übersee-Institut, das vom Auswärtigen Amt und von der Hamburger Landesregierung mit jährlich sechs Millionen Euro finanziert wird. Angesichts einer »schwächelnden EU« vollziehe sich ein »Aufstieg der regionalen Führungsmächte« China, Indien und Brasilien, der geeignet sei, die bisherigen »globalen Machtverhältnisse« nachhaltig in Frage zu stellen, meint etwa Giga-Präsident Robert Kappel. In einer aktuellen Analyse seines Instituts beschreibt er insbesondere China als »Exponenten« einer sich »neu formierenden Weltordnung«, die sich mit »überwältigender und unaufhaltsamer Dynamik« Bahn breche: »Viele Regierungen wenden sich von den USA und der EU ab und den regionalen Führungsmächten zu, die zu neuen Zentren mit Welteinfluss geworden sind.«

Daraus dürfte sich eine für die EU und die USA ziemlich ungemütliche Situation ergeben, prognostiziert Kappel: »Der – uneinige – Westen wird lernen müssen, dass China, Brasilien, Indien und andere Staaten sich nicht vorschreiben lassen, wie sie wirtschaftlich, politisch, kulturell usw. agieren sollen. Und schon gar nicht folgen sie einfach den westlichen Werten und Normen, die ja häufig genug von Doppeldeutigkeiten (Menschenrechte und ihre Anwendung) und Dominanz- und Ausbeutungsbestrebungen gekennzeichnet sind. (…) Sie lassen sich weniger denn je extern steuern. Sie steuern selbst, nehmen ihre Interessen deutlich wahr und gehen nicht um jeden Preis Kompromisse ein.«
Passend zur Körber-Stiftung und zu den von ihr befragten deutschen »Eliten« sieht auch der Präsident des Giga insbesondere China als treibende Kraft einer Politik, die darauf ausgerichtet ist, die westliche Dominanz in der Welt zu unterminieren: »Immer häufiger kommt es zu Kollisionen der geostrategischen, energie- und wirtschaftspolitischen Interessen. Das Misstrauen untereinander wächst. Die chinesische Regierung setzt auf eine relative Schwächung der USA und agiert aggressiver als noch vor einigen Jahren.« Demgegenüber verliere der Westen »trotz Nato« zunehmend an »globaler Gestaltungs-, Steuerungs- und Ordnungsfähigkeit«, sagt Kappel. Die EU verspreche zwar viel, schaffe es jedoch nicht einmal, eine »kohärente Außen- und Sicherheitspolitik« zu entwickeln, und bleibe daher »handlungsschwach«.

Für die hiesige »Strategic Community« indes ist offenbar bereits ausgemacht, dass zumindest die USA nicht gewillt sind, ihrem weltpolitischen Bedeutungsverlust gegenüber China tatenlos zuzusehen. Washington bereite sich bereits seit längerem auf einen »potentiellen militärischen Schlagabtausch mit der Volksrepublik« vor, sagte etwa der Trierer Politologe Martin Wagener im Juni anlässlich einer Tagung der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Baks), des zentralen militär­politischen Think Tanks der Bundesregierung. Wie Wagener weiter ausführte, unterhielten die USA nicht nur Bündnisse mit Japan, Südkorea, Australien, Thailand und den Philippinen, sondern verfügten darüber hinaus über eine »Vornepräsenz« von rund 75 000 Soldaten in der Region – die auf Hawaii stationierten Truppen nicht mitgerechnet. Washington verbessere seine Raketenabwehr, treibe die »Arbeiten am Air-Sea-Battle-Konzept« voran, »diversifiziere« sein »Militäraufgebot in Ostasien« und baue Guam als »Ausweichbasis« für den Fall aus, dass andere Stützpunkte in der Region verloren gingen, führte Wagener aus. Seiner Ansicht nach ähnelt die US-Präsenz in Ostasien einem »Feuerring«, der »präventiv um China gelegt« werde und im »Konfliktfall« jederzeit »aktiviert« werden könnte.
Mögliche militärpolitische Strategien Deutschlands gegenüber China wurden bei der Tagung der Baks nicht diskutiert; lediglich der Versuch der Bundesregierung, Indien zum Kauf von Eurofightern zu bewegen, kam am Rande zur Sprache. Unerwähnt blieb, dass deutsche Waffenproduzenten seit Jahren systematisch die erklärten Partner der USA in Ostasien aufrüsten: Südkorea, Australien, Singapur und Brunei halten Spitzenplätze auf der Rangliste der Importeure deutschen Kriegsgeräts. Gleichfalls unerwähnt blieb, dass sich einer Untersuchung der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung zufolge deutsche »Leitmedien« gerne in martialischer antichinesischer Rhetorik üben. Die Berichterstattung sei geprägt von »kollektiv abwertenden Schlagwörtern«, »Angstszenarien« und »Drohkulissen« und verbreite die Auffassung, »dass ein Aufstieg Chinas einen Abstieg Deutschlands bzw. Europas evoziere«, heißt es dort.