Über den neuen peruanischen Präsidenten und sein Kabinett

Perus moderater Papa

Perus neuer Präsident Ollanta Humala hat es in den vergangenen Monaten geschafft, sein Image zu wandeln. Der einst gefürchtete Linksnationalist präsentiert sich nun als wirtschaftsfreundlicher Sozialreformer und fürsorglicher Familienvater. In sein Kabinett berief er auch unternehmernahe Minister.

Arequipa, Pisco und Ende August Puno – Perus neuer Präsident Ollanta Moisés Humala Tasso meint es ernst mit der Ankündigung, sich überall im Lande ein Bild von der gesellschaftlichen Situ­ation zu machen. »Das hat vor ihm kaum ein Präsident gemacht – mit Ausnahme des ehemaligen Diktators Alberto Kenya Fujimori. Vor allem auf dem Land wollen die Leute mit ihren Sorgen ernst genommen werden«, erklärt Salomón Lerner Febrés. Der 65jährige Philosoph, der nach dem Ende der Herrschaft Fujimoris die sogenannte Wahrheitskommission leitete, ist sich sicher, dass die Stimmen der auf dem Land lebenden Peruaner entscheidend für Humalas Sieg waren.
In ländlichen Gegenden lässt sich der 49jährige ehemalige Offizier Humala derzeit häufig sehen, um sich über die zahlreichen Umwelt- und Sozialkonflikte im Land zu informieren. Davon gibt es in den letzten Jahren immer mehr, Sozial- und Umweltorganisationen sprechen von rund 250 Konflikten. Diese sind auch einer der wichtigsten Gründe dafür, dass erstmals seit Mitte der achtziger Jahre wieder ein Reformer in den Präsidentenpalast eingezogen ist. Ein Großteil der Bevölkerung ist unzufrieden mit der peruanischen Politik. Die konnte in den vergangenen Jahren auf ein beachtliches Wirtschaftswachstums verweisen, davon profitieren allerdings nur wenige. Mehr als ein Drittel der peruanischen Bevölkerung ist arm, und der Bergbau, auf den ein Großteil des Wachstums der vergangenen Jahre zurückgeht, schafft kaum Arbeitsplätze.

Hier will der neue Präsident ansetzen, mit Sozialprogrammen und einer Politik, die nicht mehr ausschließlich die Interessen der internationalen Bergbaukonzerne bedient. »Mein einziger Chef ist das peruanische Volk«, hatte Humala nach der Stichwahl vom 5. Juni mehrfach betont. Die Erwartungen an ihn sind hoch. Bei den Wahlen von 2006 wurde er noch vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez unterstützt. Damals scheiterte Humala wegen seiner Nähe zu dem »Sozialisten des 21. Jahrhunderts«, vor allem weil die Medien die Angst schürten, Humala könnte es seinem Förderer Chávez nachmachen und eine Verstaatlichungspolitik betreiben.
Davon ist heute nicht mehr die Rede. Nicht an Venezuela, sondern an Brasilien will Humala sich orientieren. Er hat sich die Berater des ehemaligem brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva nach Lima geholt. Auf Ausgleich bedacht gibt sich der 1962 in Lima geborene Sohn eines Rechtsanwalts als Familienmensch, kaum ein Auftritt Humalas findet ohne seine Ehefrau Nadine Heredia, seinen Sohn und seine beiden Töchter statt. Die vier machen aus dem hartgesottenen Linksnationalisten, als der er 2006 noch verschrien war, den Familienvater Humala. Das haben seine Wahlkampfmanager schnell erkannt. Von bescheidenen acht Prozent Zustimmung in Umfragen Ende 2010 stieg Humala zum strahlenden Herausforderer in der Stichwahl vom 5. Juni auf – und lag im ersten Wahlgang vor dem ehemaligen Präsidenten Alejandro Toledo und anderen wirtschaftsliberalen Kandidaten.
Deren Ruf ist in Peru alles andere als gut, denn das Ausmaß der Korruption und die steigende Zahl von Umweltskandalen als Folge des Bergbaus, für den die Vorgängerregierung unter Alan García noch bis kurz vor Ende der Amtsperiode unzählige Konzessionen vergeben hatte, haben das einst unter Alberto Kenya Fujimori eingeführte liberale Wirtschaftsmodell diskreditiert. Mehr Soziales und mehr Gerechtigkeit, lautet eine Parole des neuen Kabinetts unter Humala, dem der erfolgreiche Unternehmer Salomón Lerner Ghitis als Ministerpräsident vorsteht. Dieser hatte Humala schon 2006 als Berater zur Seite gestanden und gilt als Sozialdemokrat. Die weitere Postenvergabe sorgte jedoch für Zweifel an der neuen Ausrichtung, denn der neue Wirtschafts- und Finanzminister Luis Miguel Castilla war bereits unter Alan García Vizeminister im gleichen Ressort, und auch der Zentralbankvorsitzende Julio Velarde bleibt im Amt. Miguel Caillaux, ein Vertreter des Exportverbandes, wurde Außenhandelsminister, und Carlos Herrera bleibt der Verantwortliche für Bergbau und Energie. Dies ist ein Signal an die Wirtschaft, dass sie um die Wahrung ihrer Interessen nicht bangen muss.

Gleichwohl soll der Staat unter Humala aktiver in die Wirtschaft eingreifen. Die ersten Maßnahmen der Regierung gehen tatsächlich in diese Richtung. Zusätzliche Steuern für den Bergbausektor wurden beschlossen, um den Staat an den Gewinnen, die in den vergangenen Jahren enorm waren, künftig teilhaben zu lassen. Dabei orientiert sich Humala am chilenischen Besteuerungsmodell. Die zusätzlichen Mittel benötige Humala, um seine Politik zugunsten der Armen und für mehr soziale Gerechtigkeit einzuleiten, meinen Beobachter wie der Menschenrechtler Lerner Febrés. Er verspricht sich vom neuen Präsidenten endlich Initiativen im Bildungsbereich, damit das Land auf lange Sicht unabhängiger vom Bergbau wird. »Bildung ist ein grundlegendes Thema für die Zukunft des Landes, denn die Lehrer in Peru sind nicht nur schlecht bezahlt, sie sind auch schlecht ausgebildet. Auf diese Weise können wir nicht weiterkommen, gerade die Kinder aus einfachen Verhältnissen haben so keine Chance«, meint er.

Humala möchte sich an Brasilien ein Beispiel nehmen. Dort konnte Lula mit einer Mischung aus Stabilitätspolitik, Sozialprogrammen und der Förderung von privaten Investitionen auf allen Ebenen Erfolge verzeichnen. Ein Modell, das Humala abgewandelt in Peru einführen will, dafür wirbt er um politischen Rückhalt auch bei anderen Parteien. Diesen hat er nötig, denn seine Partei Perú Gana verfügt im Parlament nur über 47 von 130 Sitzen und braucht die Unterstützung von Parteien wie Perú Posible des ehemaligen Präsidenten Alejandro Toledo oder der Christlichen Volkspartei von Lourdes Flores. Das erklärt auch, weshalb im Kabinett viele Vertreter der alten Politik sitzen. Das Hauptproblem Humalas ist es, eine Balance zu finden und diejenigen nicht zu enttäuschen, die ihm ihre Stimme gaben. Dazu gehört unter anderem die afroperuanische Minderheit, die mit der bekannten Sängerin Susana Baca als Kulturministerin erstmals im Kabinett vertreten ist, vor allem aber die indigene Bevölkerungsmehrheit. Diese ist in den vergangenen Dekaden politisch ignoriert worden, ihre Einbeziehung ist die größte Herausforderung, vor der die Regierung Humalas steht. Dem »Ethnocarcerismus«, dem reaktionären indigenen Rassen-Nationalismus seines Vaters Isaac Humala Núñez, eines linken Anwalts aus Ayacucho, der ein ideoligischer Vordenker der ethnonationalistischen Bewegung gewesen ist, hat Ollanta Humala zumindest offiziell abgeschworen. Derzeit profiliert er sich vor allemdurch Präsenz in den indigenen Kernregionen.