Die Tierfreundlichkeit des neuen Siegels »Tierwohl«

Schwänzchen, ringel dich

Ein neues Siegel soll bald Lebensmittel kennzeichnen, die besonders tierfreundlich erzeugt worden sind. Ob damit mehr Klarheit für Verbraucherinnen und Verbraucher geschaffen wird, ist aber offen.
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Für die »beispielhafte Rettung der Katze Cindy von einem Baum« erhielt die Arbeitsbühnenvermietung Spielhoff das Siegel »Prädikat tierfreundlich« vom Wuppertaler Tierschutzverein »Licht im Dunkeln«. Dass dies dem kleinen bergischen Unternehmen größere Vorteile bringt, darf jedoch bezweifelt werden. In diesem Fall ist das Siegel nur eine sympathische Geste von Tierliebhabern, die ihre Dankbarkeit ausdrücken wollten, denn vermutlich hat sie alle das Drama um Cindy im Baum emotional sehr berührt.
Die meisten Tierschutzsiegel haben allerdings eine andere Funktion. Sie zeichnen Waren aus, die besonders ökologisch oder tierfreundlich produziert wurden. Zumindest wird dies behauptet. Inzwischen gibt es jedoch derart viele Siegel und Labels, dass Kunden sie kaum noch auseinanderhalten können, geschweige denn beurteilen, wie seriös sie im Einzelnen sind – und was sie angeblich garantieren. Und demnächst kommt noch ein neues dazu.
Dass es verschiedene Siegel gibt, ist durchaus vernünftig. Denn etwas, das »bio« ist, muss noch lange nicht »tierfreundlich« sein – und umgekehrt. Ob zum Beispiel das Soja, das die Schweine als Futter vorgesetzt bekommen, frei von Gentechnik ist oder nicht, dürfte die Schweine wenig kümmern. Hier stehen eindeutig die Interessen der menschlichen Konsumenten im Vordergrund. Da es auf dem Weltmarkt wenig gentechnikfreies Soja gibt und der Anbau und der aufwendige Import von großen Mengen Soja ökologisch sowieso bedenklich sind, bringt die Schweinezucht nach Bio-Kriterien viele Schwierigkeiten mit sich. Das zeigt sich auch am Lebensmittelmarkt. Während Bio-Produkte dort in Deutschland insgesamt 3,5 bis 4 Prozent ausmachen, liegt der Marktanteil von Bio-Schweinefleischprodukten bei unter einem Prozent.

Dass tierfreundlich nicht unbedingt ökologisch ist, ergibt sich auch daraus, dass Rinder, die auf der grünen Wiese gehalten werden, viel mehr Nutzfläche benötigen als jene in tierunfreundlichen Intensivhaltungen. Dasselbe gilt für Hühner. Bereits jetzt ist über die Hälfte der Flächen in Deutschland und fast ein Drittel der Erde landwirtschaftliche Nutzfläche. Und die Weltbevölkerung wächst und wächst. Auch der ökologische Landbau beansprucht wesentlich größere Flächen als der unter Einsatz von synthetischen Düngemitteln, Pestiziden und Gentechnik, weil er viel niedrigere Erträge bringt. Immer größere Flächen landwirtschaftlich nutzbar zu machen, geht aber auf Kosten von Wäldern und anderen Ökosystemen und den Tieren, die dort leben.
Die biologische oder ökologische Landwirtschaft erfolgt nicht in erster Linie aus Tierliebe, sondern im Sinne der Konsumenten und der Produzenten. Das zeigt schon ein Blick auf ihre Geschichte. Erfinder des »biologisch-dynamischen« Landbaus war 1924 Rudolf Steiner. Die Produkte der Anthroposophen-Marke »Demeter« finden sich heute in fast jeder linken WG-Küche, und nicht nur dort: Demeter produziert über 3500 Lebensmittel und außerdem Kosmetika, die in Bioläden und Reformhäusern die Regale füllen. Zwar gibt es auch bei Demeter einige Regeln, die den Tieren zugute kommen, aber auch viele, die nur der spirituellen Befriedigung der Esoterikanhänger dienen. Etwa die Regel, dass im Herbst ein Kuhhorn in den Boden eingegraben und dieser so »mit Lebenskräften angereichert« werden soll. Zwei bis drei »Horninhalte« werden später in Wasser »rhythmisch verrührt« und auf den Ackerboden aufgetragen, um diesen fruchtbarer zu machen. Den Tieren werden einerseits homöopathische, also wirkungslose Mittel verabreicht, andererseits ist die tierquälerische Anbindehaltung, also die dauerhafte Fixierung der Rinder in Ställen, bei Demeter nicht verboten.
Neben dem esoterisch inspirierten Biolandbau gibt es den ganz irdischen und rationalen organisch-biologischen Landbau, dessen Produkte zum Beispiel mit den Siegeln »Bioland« und »Naturland« gekennzeichnet sind. Aber auch hier steht nicht das Tier im Mittelpunkt, sondern der Landwirt. Die »Pflege des Bodens und die Erhaltung seiner langfristigen Fruchtbarkeit« ist bei Bioland oberstes Prinzip. Die Naturland-Bauern düngen organisch mit hofeigenem Dünger und verzichten auf chemisch-synthetischen Pflanzenschutz, nicht zuletzt, um unabhängig von den Produzenten chemischer Pestizide zu bleiben.
Die Tierhaltung hingegen steht vor allem bei dem Siegel »Neuland« im Mittelpunkt. Neuland-Produkte sind nicht »bio«. Sie stehen für eine »möglichst artgerechte Haltung und Ernährung von Schlachttieren«. Neuland wurde 1988 unter anderem vom Deutschen Tierschutzbund und dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gegründet. Zu den Neuland-Grundsätzen gehört, dass alle Tiere auf Stroh gehalten werden, einen Auslauf ins Freie haben müssen und im Stall nicht dauerhaft angebunden werden dürfen. Das Futter darf nicht aus dem Ausland importiert werden, Fisch- und Tiermehl sind als Futter nicht zugelassen, alles muss zudem frei von Gentechnik sein.

Das neue »Tierwohl«-Label, das vom Herbst an, spätestens jedoch im kommenden Jahr, auf dem deutschen Markt sein soll, widmet sich ebenfalls vor allem der Tierhaltung – zunächst von Schweinen und Hühnern. Das Futter darf bei diesem neuen Siegel zwar auch mit Hilfe von Pestiziden und Mineraldünger angebaut worden sein, dafür wird unter anderem die Kastration von Ferkeln ohne Betäubung und das Kupieren der Ringelschwänze untersagt. Schlachttiere müssen deutlich mehr Platz im Stall haben, als es die Tierschutzgesetze vorschreiben. Außerdem dürfen nur noch langsam wachsende Rassen gezüchtet werden – dies betrifft vor allem die Hühner. In den Mastbetrieben, auch den Biomastbetrieben, werden nämlich meistens Hühnerarten gehalten, die schneller Fleisch ansetzen, als ihr langsamer wachsendes Skelett tragen kann. Dass Tiere darunter leiden, ist allzu offensichtlich.
Weshalb allerdings auch bei diesem Siegel gentechnisch manipulierte Futterpflanzen nicht verwendet werden dürfen, wie Marius Tünte vom Deutschen Tierschutzbund der Jungle World bestätigte, bleibt unklar. Unabhängig davon, wie man zu Gentechnik steht, bedeutet dies, dass das neue Siegel nicht ausschließlich Tierschutz-Aspekten folgt und somit Konsumenten, die genau darauf Wert legen, nicht ansprechen wird. Und es wird so auch Firmen, die keinesfalls auf genetisch manipulierte Futtermittel verzichten wollen oder aus ökonomischen Gründen können, nicht dazu motivieren, überhaupt Tierschutzmaßnahmen zu ergreifen. Darum ist der Zusatz »gentechnikfrei« beim Tierwohl-Siegel dem Tierschutz sogar eher abträglich als dienlich.
Eine Konkurrenz zu »Neuland« wird »Tierwohl« übrigens nicht sein, nur eine Ergänzung. Denn auch das neue Siegel wird vom Deutschen Tierschutzbund vergeben. Große Unternehmen wie Tengelmann (Kaiser’s) und der Nahrungsmittelkonzern Vion haben bereits ihre Zusammenarbeit angekündigt, weshalb die Tierschützer zuversichtlich sind, dass sich der Marktanteil von tierfreundlichen Produkten, gerade auch beim Schweinefleisch, deutlich vergrößern lässt.
Das neue Siegel wird zunächst nur in Deutschland eingeführt. Ein europäisches Siegel ist zwar geplant, die Realisierung »geht aber leider nicht voran«, wie Marius Tünte kritisiert. Ein weltweites Label wird es wohl nie geben. Zu unterschiedlich sind die ökonomischen Verhältnisse und die kulturellen Vorstellungen vom Umgang mit Tieren. Weltweit leben mehr als 20 Milliarden Nutztiere in menschlicher Obhut, darunter 13 Milliarden Hühner, eineinhalb Milliarden Rinder und jeweils eine Milliarde Schafe und Schweine.

Die Definition von »tierfreundlich« ist zuweilen zweifelhaft. Dies lässt sich zum Beispiel an dem Siegel »Dolphin Safe – delphinfreundlich gefangen« zeigen, welches Thunfisch kennzeichnet, der gefangen wurde, ohne dass nebenbei Delphine in die Netze gegangen sind. So verkauft sich der Thun gleich viel besser, denn Menschen lieben Delphine. Genaugenommen lieben sie Thunfische und Delphine. Delphine im Wasser und Thunfisch auf der Pizza. Tatsächlich sind, seitdem in den siebziger Jahren das Problem mit dem damals immensen Delphinbeifang durch die Medien ging und sehr wirksame Gegenmaßnahmen getroffen wurden, heutzutage nur noch wenige Hundert Delphine pro Jahr betroffen. Dies bestätigt die Umweltorganisation WWF, die zusammen mit der Supermarktkette Edeka selbst ein Thunfischsiegel (»kontrolliert und nachhaltig gefangen«) betreibt. Inzwischen ziert fast jede Thunfischdose irgendein Etikett mit lachenden Delphinen. Viel stärker vom Thunfischfang in Mitleidenschaft gezogen werden Haie, Meeresschildkröten, Manta­rochen und Schwertfische, die zusammen mit dem Thun in die Netze gehen und verletzt oder tot ins Meer zurückgeworfen werden. Dies jedoch geht aus den Siegeln zugunsten der Delphine nicht hervor.
Die »delphinfreundlichste« Fangmethode ist außerdem eine sehr traditionelle, wie sie in wenigen Gegenden im Mittelmeer noch von einigen Fischern betrieben wird, vor allem, um den seltenen, fürs japanische Sushi aber besonderes begehrten Roten Thun zu jagen. Dabei werden die Thunfische in ein Netzlabyrinth gelockt, dann werden die Fische zwischen Booten zusammengetrieben, Enterhaken in ihre Körper geschlagen und die wild zappelnden, bis zu drei Meter großen Tiere mit bloßer Muskelkraft direkt aus der Netzfalle ins Boot gezogen. Einen Beifang anderer Tiere gibt es dabei nicht, allerdings ist, was delphinfreundlich und auch schildkrötenfreundlich ist, nicht unbedingt thunfischfreundlich. Die Fangmethode nennt sich rund um Sizilien nicht zufällig mattanza, was so viel wie Massaker heißt, denn hier kämpfen die großen Fische einen langen, sehr blutigen Überlebenskampf, bevor sie im Boot in einer Salzlache ihr Ende finden.

Andererseits verweist dieses Beispiel auf eine Art der Fleischgewinnung, die merkwürdigerweise bei fast allen Öko- oder Tierschutz-Siegeln ausgeklammert wird: die Jagd. Die bedeutet, wenn es um Rot- oder Schwarzwild geht, normalerweise ja kein solches Gemetzel wie das beschriebene Thunfischmassaker. Kein Schlachtvieh, egal wie »bio«, »öko« oder tierfreundlich es gehalten wurde, hat ein besseres Leben vor dem Tod als Rehe, Hirsche oder Wildschweine, die im Wald geschossen werden. Und auch in den riesigen kilometerweiten Großgehegen, in denen etwa in Neuseeland Wild vor allem für den europäischen Markt gezüchtet wird, ist es unvergleichlich angenehmer für die Tiere als in jedem Mastbetrieb.
Wobei auch hier die Frage, wie das Wohl der Tiere eigentlich zu messen sei, nicht abschließend zu beantworten ist. Legt man Maßstäbe wie für Menschen an (abzüglich gesellschaftlicher Komponenten), dann müssten Gesundheit und Lebenserwartung bei den Kriterien weit oben stehen. Die meisten Tierarten haben aber beispielsweise im Zoo und auch auf Bauernhöfen – wenn sie nicht gerade Schlachtvieh sind, natürlich – eine wesentlich höhere Lebenserwatung als in Freiheit. Nicht zuletzt dank ausgewogener und stressfreier Futterversorgung und guter medizinischer Betreuung – auch chemisch-pharmazeutischer Art. Am Ende stellt sich die Frage, wie tiergerecht eigentlich die Natur ist. Eine der grausamsten Arten zu sterben ist es zweifelsfrei, als Maus von einer Katze zerlegt zu werden. »Bio«, »öko«, delphin- und katzenfreundlich ist es aber allemal.