Kein Platz für Mittelmäßigkeit

Ljubljana Beatet Bestes. Spezialfolge. Lindy Hop in Slowenien.

Fährst du auch nach Herräng?« fragte mich Suzana vor dem Ausgang des Stockholmer Flughafens. Herräng ist das weltweit größte Swing Dance Camp, zu dem im Sommer Tausende von Tanzverrückten zusammenkommen. Als ich erfuhr, dass Suzana aus Slowenien kommt, verabredeten wir uns bereits auf der gemeinsamen Busfahrt in das kleine schwedische Küstendorf für September zum Lindy-Hop-Tanzen in Ljubljana. Mit Suzana verbrachten meine Freundin und ich eine großartige Woche in Herräng. Obwohl sie schon seit vier Jahren tanzt und zu den advanced dancers gehört, hat sie mit mir als Anfänger gern und sehr verständnisvoll getanzt. Lindy Hop kann, wie die Swing-Musik auch, unterschiedlich interpretiert werden – komplex und technisch anspruchsvoll oder dynamisch, improvisiert und rockend. Mir liegt letzteres natürlich mehr. Mit Suzana machte es großen Spaß, weil sie sich immer irgendeine kleine Figur, verblüffende Schritte oder auch nur Grimassen ausdachte, die das Tanzen mit ihr überraschend und lustig machten. Trotz aller Ähnlichkeiten mit dem Standardtanz, dem sich der Swing mittlerweile angenähert hat, bleiben dessen Wurzeln, die im afroamerikanischen Streetdance liegen, weiter erkennbar. So viel uns die internationalen Lehrer in den Klassen im Camp auch an Tricks und Schritten beibrachten, betonten sie gleichzeitig immer: Lindy Hop hat keine festen Regeln. Was funktioniert und Spaß macht, ist richtig.
Bis ich Suzana in Ljubljana traf, verging eine halbe Woche, die ich natürlich auch nutzte, um nach Schallplatten zu suchen. Im Vom, einem kleinen, rumpeligen Second-Hand-Plattenladen, stapeln sich die Scheiben unsortiert bis unter die Decke. Die Mehrzahl der Platten ist durch die unsachgemäße Lagerung zwar in einem traurigen Zustand, dafür findet sich hier so ziemlich jede Platte aus dem ehemaligen Jugoslawien. Seltsamerweise ist es dennoch verboten, einzelne Platten anzuspielen, dafür entschuldigte sich der junge Angestellte schulterzuckend. Der Besitzer des Ladens sei der Ansicht, die Platten würden beim Abspielen durch die Kunden zerstört. Meine Frage, ob es auch Schellackplatten gebe, verneinte er. Er wusste gar nicht, wovon ich sprach. Ich war mir sicher, dass ich fündig werden würde, und suchte ohne seine Hilfe weiter. Nach einer Stunde entdeckte ich im hintersten Winkel, unter Kisten vergraben, in einem kleinen Stapel von 10-Inch-Scheiben, eine Jugoton-Platte. Die zwei Swing-Titel von Glenn Miller, eingespielt vom Radioorchester Zagreb unter der Leitung von M. Killer, swingen wirklich killermäßig amerikanisch.
Am Dienstagabend führt mich Suzana dann zu ihrem wöchentlichen social dance im von unserem Appartement drei Minuten entfernten Union Hotel. Das Foyer des Baus aus der Zeit der vorletzten Jahrhunderwende ist mit Programmen und Fotos aus der Frühzeit des Hotelbetriebs dekoriert. Hier wurde sicher schon in den dreißiger Jahren zu Swing getanzt. Die kleine Lindy-Hop-Szene Ljubljanas – es sind 50 bis 60 Tänzer gekommen – tanzt auf hohem Niveau. Viele tanzen seit sieben Jahren und sehen im Verhältnis zu der jüngeren und größeren Berliner Szene irgendwie lässiger aus. Ich sehe auch gar keine schlechten Tänzer. Wer hier tanzt, tanzt gut. Wie ich höre, besuchen alle regelmäßig Workshops und bilden sich weiter. In diesem kleinen Land ist scheinbar kein Platz für Mittelmäßigkeit. Slowenien ist wirklich die Schweiz des Balkan. Ich bin beindruckt und sogar ein wenig eingeschüchtert. Suzanas Freundinnen tanzen dennoch mit mir und wir haben einen Riesenspaß. Ich brauche allerdings wohl noch einige Workshops.