Urbanität und Gentrifizierung in Ljubljana

Klarer Heimvorteil

Die Mieten in Ljubljana sind relativ hoch, viele junge Leute finden keine Wohnung. Allerdings hat die Wohnraumproblematik wenig mit der Gentrifizierung in großen Metropolen gemeinsam. Noch ist die Immobilienblase in Slowenien nicht geplatzt, und der Sozialismus war nicht immer schlecht.

Es dauert etwas, bis man den ersten Hundehaufen in Ljubljanas Altstadt findet. Entweder gibt es hier keine Hunde oder die Anwohnerinnen und Anwohner sind gut erzogen. Wahrscheinlich ist letzteres der Fall, davon zeugt auch das ausgeklügelte Mülltrennungssystem, dessen Sammelcontainer nur mit einer speziellen Chipkarte geöffnet werden können. Die Stadt vereint schweizerische Pedanterie und Sauberkeit mit österreichischer Altstadtromantik, aber ohne viel Kitsch, und bietet zudem mediterrane Lässigkeit und zu den Rändern hin sozialistischen Plattenbau-Charme. Im Zentrum flanieren Touristen und Einheimische durch verkehrsberuhigte Gassen zwischen hübsch restaurierten Häusern, sitzen im Sonnenschein in Cafés mit Blick auf die Ljubljanica oder überqueren den Fluss auf einer der vielen berühmten Brücken. Einige dieser Brücken wurden von Jože Plečnik erbaut, dem die Stadt auch weitere Wahrzeichen verdankt. Neben dem Philosophen Slavoj Žižek ist der Architekt wohl einer der bekanntesten Slowenen.
Zur Touristenattraktion wurde Ljubljana erst in diesem Jahrhundert, der Tourismus kam mit den Billigfliegern in Schwung. Die Lebensqualität in der Hauptstadt scheint hoch zu sein. Ob sie sich alle leisten können, ist jedoch eine andere Frage. »Die jungen Leute wohnen bis 30 bei ihren Eltern, weil die Mieten zu hoch sind«, beschwert sich Bojan, ein junger Comiczeichner. Besonders für junge Familien sei es schwierig, eine Wohnung zu finden. Seine Kollegin Katerina ist Mitte 40 und wohnt noch im Haus ihrer Eltern. »Sonst könnte ich gar nicht überleben«, meint sie. Viele Leute gäben die Hälfte ihres Einkommens nur für die Miete aus, pflichtet Bojan ihr bei. Ohne Eigenheim gehe es gar nicht. Die Mieten sind zu hoch, darin sind sich viele junge Leute hier einig.
Marko Peterlin vom Institut für Raumpolitik (IpoP) in Ljubljana ist jedoch anderer Meinung: »Für 150 bis 200 Euro finden Studenten hier ein Zimmer. Die Mieten in Ljubljana sind billiger als in Berlin.« Die Wohnungssuche werde vielmehr dadurch erschwert, dass es keine großen Margen bezüglich der Miethöhe gebe, alle Mieten seien ungefähr gleich hoch, auch die Unterschiede zwischen ärmeren und reicheren Vierteln seien nicht besonders groß. Das größte Problem seien aber die hohen Immobilienpreise. 92 Prozent der Sloweninnen und Slowenen sind Eigenheimbesitzer, eine Wohnung mieten muss nur eine Minderheit, oft als Übergangslösung, bis ein Haus oder eine Wohnung gekauft wird.
Die hohe Eigenheimquote hat unter anderem historische Gründe. In sozialistischen Zeiten tolerierte der Staat den Bau von Eigenheimen sogar ohne explizite Baugenehmigung, da er mit dem Wohnungsbau selbst nicht nachkam. Nach der Unabhängigkeit wurde viel staatlicher Wohnraum zu günstigen Preisen privatisiert.Wer noch kein Haus und keine Wohnung hatte, konnte sie nun kaufen. Staatlich geförderten sozialen Wohnungsbau gibt es in Slowenien heutzutage so gut wie keinen. Wohnen zur Miete ist kaum vorgesehen.
Anders als in vielen großen Metropolen spielt Gentrifizierung in Ljubljana daher kaum eine Rolle. Die Altstadt ist aufgewertet, man kann dies als bereits abgeschlossenen Gentrifizierungprozess ansehen, jedoch dauerte dieser über 30 Jahre. Er ging von den Anwohnern selbst aus, die ihr heruntergekommenes Viertel mit Hilfe von Kulturprogrammen in den achtziger Jahren wiederbeleben wollten. Inzwischen sind alle Gebäude im Innenstadtbereich saniert und die Mieten dort relativ hoch, jedoch nicht die höchsten in Ljubljana. Es wohnen kaum noch alte Leute und Kinder dort, die meisten Bewohner sind zwischen 35 und 50 Jahren alt. Wem das Haus sowieso gehört, der muss bei einer Aufwertung des Viertels nicht unbedingt wegziehen.
»Die Abwertung der Lebensqualität ist ein größeres Problem als die Gentrifizierung«, stellt Peterlin daher fest. So wie man nach einem Hundehaufen länger suchen muss, findet man auch kaum Supermärkte, ein gutes öffentliches Verkehrsnetz oder sonstige täglich benötigte Infrastruktur im Altstadtbereich. Allein von schicken Klamotten, Souvernirs und Restaurantmahlzeiten kann man im Alltag schwer leben.
Vor einer Aufwertung der Umgebung fürchten sich auch einige Aktivistinnen und Aktivisten des seit 18 Jahren besetzten alternativen Zentrums Metelkova und sprechen von Gentrifizierungstendenzen. Obwohl das Zentrum von der Stadt toleriert und sogar vom offiziellen Stadtmarketing als kulturelle Besonderheit angepriesen wird, übt die Stadtverwaltung Druck hin zu einer vollständigen Legalisierung aus. Einige Gebäude sind bereits legalisiert und gehören unter anderem der Studierendenorganisation oder dem Kulturministerium. Es gibt rein kommerzielle Veranstaltungen und sogar ein im Reiseführer »Lonely Planet« angepriesenes Hostel im ehemaligen Gefängnisgebäude. Um das zentral gelegene Gelände werden Bürogebäude gebaut, nebenan steht unter anderem das Ethnographische Museum. Allerdings trägt das Metelkova eher selbst zu einer – zumindest kulturellen – Aufwertung des Viertels bei. Mit einer Räumung in absehbarer Zeit rechnet niemand. »Wir sind gegen eine Legalisierung, befinden uns aber offiziell im Legalisierungsprozess. Seit zwei, drei Jahren hat der Druck von Seiten der Stadt allerdings nachgelassen«, meint Matea von einer im Metelkova ansässigen anarchistischen Gruppe.
Es fehlt einfach das Geld für neue Investitionen. Die Immobilienkrise hat auch Slowenien betroffen, allerdings ist die Blase noch nicht geplatzt. Obwohl jede Menge Wohnraum seit drei Jahren leersteht und einige Baufirmen lieber bankrott gegangen sind als günstiger zu verkaufen, bleiben die Preise hoch. Vor allem in Ljubljana, dem dynamischsten Immobilienmarkt in Slowenien, wo in den vergangenen Jahren die Hälfte allen Wohnraums gebaut und verkauft wurde. Die Quadratmeterpreise für Wohneigentum sind höher als in Berlin, in der zukünftigen »Kulturhauptstadt« Maribor sind sie nur halb so hoch. Die slowenischen Banken, die oft ohne Vermittlung durch Projektentwickler direkt mit den Baufirmen verhandelten und ihnen günstige Kredite gaben, bekommen nun auf dem internationalen Finanzmarkt selbst keine Kredite mehr. Bis zum Platzen der Blase werden die Wohneigentumspreise noch hoch gehalten, sonst müssten auch die Banken Verluste in Kauf nehmen.
Ein Einbruch der Preise würde vielleicht einige potentielle Hauskäufer erfreuen, die Krise im Bausektor hat jedoch bereits Auswirkungen auf weite Teile der slowenischen Wirtschaft. Die im internationalen Vergleich weit fortgeschrittene Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse wird sich verschärfen, weitere Entlassungen stehen bevor. Doch schon unter »normalkapitalistischen« Verhältnissen vor der Krise hatten viele Baufirmen keinerlei Sozialabgaben für ihre Beschäftigten abgeführt, was nach dem Bankrott der Firmen bekannt wurde. Nun dürften die Arbeiter nicht einmal mehr ihren Lohn bekommen.
Es ist demnach nicht nur eine wenig nachhaltige Stadtpolitik, die für eine Verschlechterung der Lebensqualität sorgen kann. Gegen diese regt sich immerhin Widerstand in Form von Anwohnerinitiativen – zum Beispiel gegen die Privatisierung öffentlichen Raums –, auch wenn sie häufig von den Investoren und der Stadt ignoriert werden. Im realsozialistischen Jugoslawien gab es offizielle Nachbarschaftsorganisationen, die zwar in das System integriert waren, jedoch einige Forderungen, etwa nach mehr Grünflächen oder bezüglich nötiger Infrastrukturmaßnahmen, gegen staatliche Bebauungspläne durchsetzen konnten. Nach der Unabhängigkeit wurden die Initiativen nicht mehr konsultiert, der Staat verabschiedete sich von einer umfassenden, langfristigen Stadtplanung, die nun größtenteils dem »freien Markt« überlassen wurde. Die heutigen Initiativen stünden zwar in der Tradition der Nachbarschaftsinitiativen, bildeten sich jedoch meist ad hoc aus betroffenen Anwohnern, meint Peterlin. Das IPoP versuche unter anderem, diese Strukturen zu stärken und auf eine längerfristige Organisation hinzuwirken, die auch eigene Forderungen einbringen kann statt nur zu reagieren. Eine solche Alternative werde in der Bildung von Wohnungsbaukooperativen gesehen, die es ebenfalls bereits während des Sozialismus gegeben hat und die heute vor allem die Schweiz zum Vorbild hätten. Schweizerische Ordnungsverhältnisse haben sich ja bereits bewährt. Mit der Unterstützung von Kooperativen hätte der Staat die Lösung der Wohnraumproblematik dann auch in Form von »Outsourcing« gelöst.