Durch die Nacht Ljubljanas mit Ivan Nowak von der Band Laibach

Neuer Rock, alte Bekannte

Interviews mit Laibach sind eigentlich nicht vorgesehen. Journalisten schicken Fragen, das Band-Kollektiv schickt ihnen seine Antworten zurück, größtenteils Statements aus dem Textbausteinkasten. So sollte es auch die »Jungle World« machen, aber nicht, ohne vorher mit dem Laibach-Gründer Ivan Novak durch die laue Nacht Ljubljanas zu ziehen.
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Als das Novi-Rock-Festival in Ljubljana vor 30 Jahren etabliert wurde, waren Laibach hier eine ganz große Nummer. Das Festival war für die Independent-Musikszene in Slowenien jahrelang eine Institution. Nick Cave hat hier gespielt, Moby, The Smashing Pumpkins – aber auch viele slowenische alternative Rockbands. In diesem Jahr feiert das Event seinen 30. Geburtstag, und es sind an diesem Freitag, dem 9. September, rund 3 000 Menschen ins Sommertheater Križanke gekommen, in dieses schöne, von Ljubljanas bedeutendstem Architekten Jože Plečnik umgestaltete ehemalige Kreuzritterkloster, um Bands wie Niet, Melodrom und In Drugi zu hören.
Auch Laibach hatte man gefragt, erzählt mir Ivan Novak, mit dem ich zum Festival gegangen bin, doch weil sie hier zwei Wochen später schon einen Auftritt haben, haben sie abgesagt. Ivan ist eines der Gründungsmitglieder von Laibach und – obwohl er bei Laibach anonym auftritt – heute ein bekannter Mann. Nicht nur, dass er mit wichtigen Politikern und berühmten Popstars bekannt ist, auch hier in der Križanke kennt ihn jeder. »Hallo« hier, »Hallo« da, er macht mich mit zahlreichen Größen der Alternativrock-Szene Ljubljanas bekannt – und er ist auch ein wenig gerührt. 30 Jahre … Für ihn und Laibach war das Novi Rock und vor allem das Konzert dort 1982 ein wichtiger Karriere­schritt. Ivan zeigt mir Menschen, die Laibach-T-Shirts tragen, es sind nicht wenige. »Bomb alles« ist der Aufdruck auf einem.
Vorher waren wir in einem Restaurant etwas essen. Ivan hat viel aus dem Nähkästchen geplaudert und mir außerdem einige Ausflugs­tipps verraten. Aber Interviews gibt die Band Laibach prinzipiell nicht. Dies ist also ein informeller Abend, das Interview müssen wir nachträglich noch einmal per E-Mail führen. Denn die Musiker treten nach wie vor als anonymes Kollektiv auf, alles, was sie offiziell sagen, sind mehr oder weniger abgestimmte Verlautbarungen. Die anderen Bandmitglieder, die wir später am Abend auf dem Festival treffen, sind zum Teil junge Typen, einer trägt eine bunte Pluderhose und Bart, man könnte ihn für einen italienischen Globalisierungsgegner halten, wenn er noch eine Pace-Fahne dabeihätte. Schwer vorstellbar, dass dieser Typ bei Konzerten in Uniform und mit strengem Scheitel einen Soldaten oder Vertreter irgendeines totalitären Regimes mimt. Auch bei dem ausgesprochen herzlichen Ivan ist das schwer vorstellbar, obwohl er eine Fassonfrisur mit ausrasiertem Nacken hat, wie sie auch im weltberühmten Video zu »Life is Life« zu sehen ist.
Jetzt feiert das Novi Rock also seinen 30. Geburtstag, im vorigen Jahr hat die Band Laibach den ihren begangen. In Trbovlje, einer kleinen Indus­triestadt, wo seit Jahrzehnten ein Zementwerk das Leben der Einwohner dominiert (siehe Inland-Seite 10) und wo die Laibach-Gründer aufgewachsen sind. Morgens auf dem Schulweg, der an der Fabrik vorbeiführte, wurde man weiß vom Zementstaub, erzählt Ivan, der Industrial Sound war überall. Irgendwie also folgerichtig, dass Industrial auch der Musikstil der Band wurde. Als wir uns spät in der Nacht verabschieden, ist das Konzert immer noch in vollem Gange. Ich schicke Ivan zwei Tage später meine Fragen per E-Mail, am selben Abend schickt er die Antworten zurück und fragt, ob er noch etwas für uns tun kann. Hm … ein »Bomb alles«-T-Shirt wäre ein Traum.

»Der ideale Staat ist der nichtexistente«
Die Band Laibach über Slowenien, Ljubljana, den NSK-Staat, Nazis und Rammstein

Vor 20 Jahren ist Slowenien unabhängig geworden. Findet ihr das aus heutiger Sicht gut oder schlecht?
Slowenien ist nicht unabhängig und kann es niemals sein. Dies ist keine Frage von gut oder schlecht; Unabhängigkeit ist schlicht eine Illusion, politische Unabhängigkeit noch viel mehr. Wir alle hängen voneinander ab, jede einzelne Menschenseele auf der Erde. Einsamkeit ist der einzige Zustand, der der Unabhängigkeit nahekommt, und selbst sie ist ein gutbesuchtes »touristisches« Ausflugsziel geworden.
In welchen Belangen hat sich Slowenien seitdem positiv entwickelt, in welchen regressiv?
Obwohl im Universum die Größe keine Rolle spielt und alles gleich wichtig ist, ist Sloweniens größte Qualität – dass es so klein ist – zugleich auch seine größte Verdammnis, und dieser Umstand berührt alles und jeden. In Slowenien ist Fortschritt keine Illusion, er passiert, aber langsam und insgesamt enttäuschend. Fortschritt gibt es auf der Oberfläche, Regression im Inneren. Wie üblich basieren wirtschaftliche Fortschritte auf dem universellen, angeborenen Wunsch jedes Organismus, über seine Einkommensverhältnisse zu leben. Der durchschnittliche Slowenier bezahlt heutzutage doppelt so viel Steuern, wie er früher als Arbeitslohn erhalten hat, und dies ist auch eine Art Fortschritt. Aber der einzige wirkliche Fortschritt liegt vielleicht darin, zu erkennen, dass wir die ganze Zeit über falsch gedacht haben und immer noch falsch denken.
1991 habt ihr euren eigenen Staat gegründet, den NSK-Staat. War das eine Antwort auf die slowenische Staatsgründung?
Das Motiv, den NSK-Staat zu gründen, war, die Utopie am Leben zu erhalten, nachdem Slowenien 1991 ein international anerkannter Staat geworden war. Jeder Künstler, sogar der sich verleugnende Künstler – wie Laibach –, ist ein Staatskünstler qua Definition und hat jemanden zu versorgen, muss einen Staat haben – ein System aus sozialen, politischen und ökonomischen Werten. Der ideale Staat für Laibach ist der nichtexistente. Also etwas, wie es der NSK-Staat ist. Oder so etwas, wie es Slowenien zwischenzeitlich einmal gewesen ist.
Leben eigentlich alle Laibach-Mitglieder in Ljubljana? Warum lebt ihr nicht in einem New Yorker oder Berliner Loft wie andere internationale Künstler?
Genau deshalb, weil wir internationale Künstler sind, leben wir hier und nicht in New York oder Berlin. Ljubljana und Slowenien befinden sich auf einer Kreuzung von vier großen Kulturen, der romanischen, slawischen, germanischen und ungarischen. Städte wie Venedig, Wien, Budapest, Prag, Zagreb, Sarajevo, Belgrad, Salzburg, Mailand und München liegen um die Ecke und sind leicht zu erreichen. Slowenien gehört zu Mitteleuropa, ist aber gleichzeitig ein alpines und ein mediterranes Land, es ist eines der am besten versteckten Geheimnisse in Europa, ein großartiger Platz, um dort zu leben, und als solcher ein perfekter Unterschlupf für Laibach.
In Deutschland glauben immer noch viele Menschen, Laibach sei eine Nazi-affine Band. Ärgert euch das?
Nein, wir absorbieren jede Interpretation. Laibach kann man nicht beleidigen, und wir brauchen uns nicht zu verteidigen. Wir sind so sehr Nazis, wie Hitler ein Künstler war.
Handelt es sich bei Laibach um ein politisches Projekt? Immerhin war die Band zu jugoslawischen Zeiten faktisch eine Art Opposition.
Wir sind keine politischen Aktivisten. Wir analysieren Politik und benutzen eine politische Sprache, aber wir sind nicht an Tagespolitik interessiert. Und wir können für keine politische Option irgendeine aktive Unterstützung anbieten.
Provokation ist ein wichtiges Stilmittel Laibachs, auch der Name selbst war in den achtziger Jahren eine Provokation …
Provokation ist wichtig, und wir sind immer froh, wenn wir erfolgreich provozieren, aber es ist nicht unser hauptsächliches Ziel. Manchmal benutzen wir Provokation nur als Mimikry. Unser Name war in den Achtzigern eine solche Mimikry, aber sie hat es erfolgreich geschafft, den Teufel zu provozieren, so dass er die Nerven verlor.
Ist es immer noch eine Provokation, in Slowenien den deutschen Namen »Laibach« zu benutzen statt »Ljubljana«? Ich habe den Eindruck, die meisten Slowenen gehen ohne Bedenken damit um und sagen ganz alltäglich auch »Laibach« …
Genau. Aber die Leute sagen jetzt auch ganz unverkrampft »Deutsche«, während vor noch gar nicht langer Zeit jeder Deutsche verächtlich »der Schwabe« genannt wurde. Der Name »Laibach« ist allgemein keine Provokation mehr, weil wir ihn zu sehr exponiert haben. Und wenn er heute dennoch eine Provokation ist, dann weil er mit uns verbunden ist.
Viele vergleichen Laibach mit Rammstein. Könnt ihr das nachvollziehen?
Ja, sicher können wir das. Es ist ja leicht zu verstehen: Rammstein ist Laibach für Halbwüchsige und Laibach ist Rammstein für Erwachsene.
Ist Rammstein deshalb erfolgreicher als Laibach?
Sie sind nicht erfolgreicher, sie haben nur mehr Geld. Aber im Laibach-Universum ist das »Geld nur für die Armen«.
Und wieso ist Laibach in anderen Ländern bedeutender und erfolgreicher als in Slowenien?
Wir sind in Slowenien bedeutender, aber in anderen Ländern erfolgreicher. Das liegt daran, dass es immer angenehmer ist, sich mit etwas Fremdem, weit Entferntem zu identifizieren, weil es für die eigenen Wünsche leichter als Projektionsfläche taugt als etwas, das bereits ein unbehaglicher Teil des lebenden Gewebes der gesamten Nation ist.
Die Band ist jetzt 31 Jahre alt und immer noch sehr aktiv. Was sind eure nächsten Projekte?
Wir sind im besten Alter, also erwarte unsere besten Projekte. Und es werden viele sein in den kommenden Jahren.