Die jungen Piraten haben kein Verständnis von Politik

Partei der Avatare

Die Piratenpartei ist die Organisationsform einer Generation, die von Politik gar keinen Begriff mehr hat.

Unter den 15 Kandidaten der Piratenpartei, die dank des überraschenden Wahlerfolgs vollzählig ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen werden, findet sich eine einzige Frau. Für eine sich als progressiv verstehende Partei ist das, vorsichtig gesagt, bemerkenswert. Doch die Berichterstattung über dieses Thema verärgert die Piraten und nicht nur die Männer, sondern auch die wenigen Frauen in der Partei reagieren beleidigt. Auf dem Blog des »Kegelklubs«, einer informellen Gruppe von Berliner Piratinnen, findet sich etwa der echtes politisches Talent verratende Gedanke, nicht der Frauenmangel, sondern die Berichterstattung darüber sei das eigentliche Problem: »Liebe Presse, ihr schreckt hiermit viele interessierte Frauen ab, die wir freudig und freundlich aufgenommen hätten!«

Gerne wird auch denen, die den »Frauenmangel« thematisieren, Sexismus vorgeworfen – schließlich seien sie es, die Menschen nach Geschlechtern sortierten, und nicht die Piraten. Tatsächlich lehnt die Piratenpartei die staatliche Erfassung des Merkmals »Geschlecht« ab und erfasst es auch selbst nicht, weshalb der Frauenanteil unter den Parteimitgliedern unbekannt ist. Viele Piraten verstehen sich als »post-gender«, was letztlich bedeutet, dass sie sich über eine Auseinandersetzung mit dem Thema Gender erhaben wähnen, weil Sexismus sie vermeintlich nicht betrifft. Es ist die postmodern aufgepeppte Version des alten Märchens, der Feminismus habe sich erübrigt, weil Frauen ja längst gleichberechtigt seien.

Zugleich sind solche Reaktionen der Ausdruck einer profunden Unfähigkeit zu politischem Denken. Hierin heben sich die Piraten negativ von den frühen, ja selbst noch von den heutigen Grünen ab. Das Problem ist freilich nicht der – tatsächlich eher sympathische – Mangel an sogenannter politischer Kompetenz, über den sich Journalisten und professionelle Politiker lustig machen, sondern vielmehr ein restlos verdinglichtes, an IT-Problemen geschultes Denken, das keine gesellschaftlichen Verhältnisse und keine historischen Zusammenhänge kennt. Der deprimierende Slogan der Piraten, »Klarmachen zum Ändern«, macht noch nicht einmal das ganze Elend deutlich; man muss sich zudem noch vor Augen führen, dass der durchschnittliche Pirat sich dieses »Ändern« als debugging des politischen Betriebssystems vorstellt.

Es steht zu befürchten, dass die Piraten nicht trotz, sondern wegen ihres ganz und gar unpolitischen oder, wie manchmal gesagt wird, »post­ideologischen« Denkens so erfolgreich sind, und dass sich deshalb die bereits jetzt minorisierten kritischeren und reflektierteren Piraten in Zukunft noch weiter an den Rand gedrängt sehen werden. Die technokratische Ideologie der Piratenpartei ist zeitgemäß, sie entspricht der Mentalität der nach dem Ende der Blockkonfrontation sozialisierten Generation, die liberal ist, ohne einen Begriff von Freiheit zu haben, und individualistisch ohne einen Begriff des Subjekts. Eine und sei es noch so unzulängliche Kritik, wie sie noch die Achtundsechziger formuliert haben, die durch das etablierte System erst vereinnahmt oder integriert werden müsste, kann diese Generation offenbar nicht verstehen, geschweige denn formulieren. Vielmehr wollen die jungen Wilden von vornherein nichts anders, sondern nur manches besser machen.