Streit um das Freiwilligenmodell bei der Bundeswehr

Opt-out beim Bund

Die hohe Zahl an Abbrechern unter den Bundeswehrfreiwilligen sorgt für Diskussionen um die Wehrreform. Das Verteidigungsministerium gibt sich gelassen, doch das neue Modell wird auch aus anderen Gründen kritisiert.

Der 19jährige Jan-Piet Jaschinski könnte unfreiwillig zu einer Symbolfigur für die Bundeswehrreform werden. Anfang Juli hatte er seinen freiwilligen Dienst beim Berliner Wachbataillon angetreten und wurde sogar von Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) persönlich begrüßt. Den Dienst quittierte Jaschinski allerdings bereits 48 Stunden später. »Das bietet mir hier zu wenig geistige Herausforderung«, resümierte er unumwunden die Tätigkeit, die de Maizière unter dem Motto »Wir. Dienen. Deutschland« bewerben lässt.
Seit Juli gibt es keine Wehrpflicht mehr. Sie wurde im Zuge der Bundeswehrreform abgeschafft. Daher muss die Bundeswehr ihren Bedarf an Soldaten, deren Zahl von derzeit 220 000 auf künftig 170 000 reduziert werden soll, nun auch über die Anwerbung von Freiwilligen decken. Diese sollen einen knapp zwei Jahre dauernden Dienst leisten und – zusammen mit den längerfristig verpflichteten Berufs- beziehungsweise Zeitsoldaten – die Sollstärke der Bundeswehr sicherstellen. Allerdings wird bereits öffentlich darüber gestritten, ob das Freiwilligenmodell nicht zum Scheitern verurteilt ist. Anlass zu dieser Debatte ist die jetzt schon hohe Abbrecherquote unter den neuen Freiwilligen.

In der Diskussion um die Abbrecher scheint die Bundeswehr bemüht, Zahlen und Statistiken in ihrem Sinne auszulegen. Hatte der mittlerweile zurückgetretene Verteidigungsminister Theodor von Guttenberg (CSU) ursprünglich bis zu 15 000 Freiwillige eingeplant, spricht sein Nachfolger de Maizière nur noch von 5 000. Daran gemessen, sind die fast 3 500 Rekruten, die sich zum ersten möglichen Einstellungstermin gemeldet hatten, nicht unbedingt ein Misserfolg, auch wenn die Bundeswehr mehr Freiwillige erwartet hatte. Allerdings sind binnen des ersten Monats etwa 440 von ihnen wieder aus dem Dienst ausgeschieden. Sie machten damit von der Möglichkeit Gebrauch, das Dienstverhältnis während der sechsmonatigen Probezeit wieder zu beenden. In diesem Fall wird der Vertrag innerhalb von 24 Stunden aufgelöst. Rekrut Jaschinski hat bewiesen, wie schnell man sich dafür entscheiden kann.

Andere Rekruten brauchten länger, dennoch waren es bis September bereits 780 Aussteiger. Bei der Entscheidung zum Abbruch spielen offenbar auch banale Gründe eine Rolle. »Manche kommen nicht damit klar, um fünf Uhr morgens aufstehen zu müssen«, kommentierte Jan Meyer, Pressesprecher des Bundeswehrverbands, den Schwund an Freiwilligen. Die Vertreter der Bundeswehr demonstrieren jedoch Gelassenheit. »Als ich die Zahlen gehört habe, ist keine Welt für mich zusammengebrochen,« sagte Thomas Sohst, der Vorsitzende des Landesverbandes West im Deutschen Bundeswehrverband, bereits im Juli in der Presse.
Über eine hohe Frustrationstoleranz scheint auch der Sprecher der im Saarland stationierten Bundeswehreinheiten, Alexander Pillris, zu verfügen. Er erläuterte, dass eine Abbrecherquote von 20 Prozent »nicht unüblich« sei. Und Kai Schlolaut, ein weiterer Sprecher der Bundeswehr, verbreitete gar Optimismus, als er sagte: »Wir befürchten keine Engpässe.« Er fügte hinzu: »Laut Verteidigungsministerium brauchen wir jährlich 4 000 Freiwillige.« Wieso die Zahl der Planstellen plötzlich um 1 000 niedriger ist als nach den Angaben von de Maizière, ist bisher unklar.

So kann es das Verteidigungsministerium erst einmal als Erfolg verkaufen, dass im Oktober weitere 4 500 Freiwillige den Dienst angetreten haben. Darüber hinaus wird das Ministerium nicht müde, darauf hinzuweisen, dass man erst 2012 eine wirkliche Bewertung des neuen Modells vornehmen könne. Bis dahin scheut es keine Kosten und Mühen, um am Ende eine Erfolgsgeschichte präsentieren zu können. So bekam die in Düsseldorf ansässige Agentur »Zenithmedia« den Auftrag, ein millionenschweres Werbekonzept zur »Planung und Durchführung personalwerblicher Kampagnen der Bundeswehr im Medienmix« zu entwickeln.
Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr wiederum beschäftigte sich mit der Mentalität von Bundeswehrangehörigen, offenbar um die Außendarstellung der Truppe zu verbessern. Den Studienergebnissen zufolge schätzen die untersuchten Personen den sicheren Arbeitsplatz, die Kameradschaft, die medizinische Versorgung und das Gehalt. Eines der zentralen Probleme der Bundeswehrangehörigen sei etwa das geringe Ansehen, das die Bundeswehr in der Gesellschaft genieße, wie in der Studie festgestellt wurde. Mittlerweile wirbt die Bundeswehr denn auch mit dem Versprechen krisenfester Arbeitsplätze, günstiger medizinischer Betreuung und attraktiver Bezahlung.

Auch der Deutsche Bundeswehrverband will mithelfen und hat eine »AG Personalmanagement« gegründet, die einen 25 Punkte umfassenden Forderungskatalog entwickelt hat. Demnach strebt der Verband an, beim Umgang mit den Soldaten darauf zu achten, »dass eine vollständige Integration der verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppierungen erfolgt«. Ob dies auf die Wehrfähigen in Deutschland zielt oder auf ein kultursensibles Management bei Auslandseinsätzen, wird nicht klar. Ebenso unklar bleibt, wie sich der Verband die Praktika bei der Bundeswehr vorstellt, die er vorschlägt. Immerhin plädiert er dafür, dass jeder interessierte Bewerber während eines Praktikums »sich die Bundeswehr vor Ort anschauen« und »so realistisch wie möglich am Truppenalltag teilnehmen« können sollte.

Doch es gibt auch grundlegende Kritik an dem neuen Freiwilligenmodell. So bemängelte der ehemalige Generalinspekteur Harald Kujat öffentlich, dass Soldaten erst ab einer Dienstzeit von 18 Monaten vernünftig eingesetzt werden könnten. Das bedeutet entweder, dass Freiwillige bloßes Kanonenfutter darstellen. In diesem Falle bekäme die Einschätzung des verteidigungspolitischen Sprechers der SPD-Bundesfraktion, Rainer Arnold, dass der freiwillige Wehrdienst »auf einen siechenden Tod angelegt« sei, eine unfreiwillig zynische Bedeutung. Oder aber es bedeutet, dass die freiwilligen Soldaten ohne genügenden militärischen Nutzen sind. »Dieses Modell läuft vielleicht drei, vier Jahre, dann wird man es aufgeben müssen«, sagte Kujat.
Bei der Lösung der Strukturprobleme der Bundeswehr könnten vielleicht die Grünen hilfreich sein. Diese hatten bereits vor fünf Jahren die Struktur einer interventionsfähigen Berufsarmee skizziert, wie sie derzeit entstehen soll. Damals hatten sie die Union und die SPD in dieser Frage noch gegen sich. Mittlerweile dürfte es aber eine wirklich große Koalition für »eine kleinere, aber besser einsetzbare Armee« geben, wie der Grünen-Politiker Volker Beck das Ziel damals definierte. Und vielleicht ist man heute offener für die Ideen der grünen Militärvisionäre.