Rechtsextreme Flashmobs

Die Attraktivität der Kleinstadt

Die rechtsextreme Szene bedient sich auch neuer Aktionsformen. Sie setzt auf Flashmobs, Fackelzüge und ländliche Kleinstädte.

»Ich dachte, jetzt werden die gleich alles anzünden«, sagt der ältere Herr, der aus Angst seinen Namen nicht nennen möchte. Er wohnt in Stolpen, einer Kleinstadt in der Sächsischen Schweiz. Sichtlich schockiert berichtet er von einem Aufmarsch, der Ende September unmittelbar vor seiner Haustür stattgefunden hat. An Bilder des Ku-Klux-Klan habe ihn die Szenerie erinnert, nur »viel näher und realer«. Durch Sprechchöre wie »Nationaler Sozialismus – jetzt!« sei ihm klar geworden, dass es sich um Nazis handelte, die mit Fackeln durch die Stadt zogen. Mit dem Nachbarn habe es danach allerdings ein wenig Streit gegeben, denn der habe vermutet, es seien Linke gewesen. Schließlich »waren alle schwarz angezogen, haben Radau gemacht und mitten in der Nacht ein Feuerwerk angezündet«. So etwas machen die Rechten nicht, meinen einige im Ort.

Tatsächlich sind die Szenen, die sich in der sächsischen Kleinstadt abspielten, verstörend. Dass sich rund 150 Neonazis nachts treffen, um vermummt mit weißen Masken im Gleichschritt mit Fackeln, Pyrotechnik und Transparenten durch die Straßen zu ziehen, ist selbst im Freistaat bisher nichts Alltägliches. Die Wirkung dieser spontanen Aktionsform ist eindrücklich, der Slogan, unter dem sie stattfindet, lautet: »Werde unsterblich!« Die Aufmärsche werden gefilmt, professionell geschnitten, mit dem »Matrix«-Soundtrack des amerikanischen Komponisten Don Davis unterlegt und so auf Youtube gestellt. Von der schnellen Verbreitung im Internet erhofft man sich eine größere öffentliche Resonanz. Experten und staatliche Behörden ordnen diese neue Form von Nazi-Aktivitäten der 2007 initiierten »Volkstod«-Kampagne zu, die mit dem Slogan »Die Demokraten bringen uns den Volkstod!« verbunden ist. Mittels neuer, Aktionsformen widmen sich die Neonazis Themen wie der Abwanderung aus strukturschwachen Regionen, dem Geburtenrückgang und der »Überfremdung«.

Weiße Masken dürften derzeit eine gesteigerte Nachfrage erfahren. Innerhalb kürzester Zeit haben »Die Unsterblichen« zahlreiche Nachahmer in der bundesdeutschen Neonazi-Szene gefunden. Neben mindestens fünf Aktionen in Sachsen kam die Kostümierung im letzten halben Jahr auch in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern zum Einsatz. Das Muster ist immer ähnlich. Die Maskierten treffen sich nachts in einer ländlichen Kleinstadt mit geringer Polizeidichte. Sie tragen Fackeln und ein Fronttransparent mit der Aufschrift: »Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass du Deutscher gewesen bist!« Dazu gibt es ein Feuerwerk und Sprechchöre. Nach etwa 15 bis 30 Minuten ist der Spuk vorbei. Auch in Westdeutschland nehmen die Landesämter für Verfassungsschutz diese Aktionen zur Kenntnis. Victoria Krause, Sprecherin des Landesamtes für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg, sagt gegenüber der Jungle World: »Die Kampagne ›Die Unsterblichen‹ stellt neben der Aktionsform ›Flashmob‹ eine relativ neue Erscheinungsform dar, die von Teilen der rechtsextremistischen Szene in Baden-Württemberg inzwischen als interessant eingeschätzt und auch unterstützt wird.«
Die Ästhetik, mit der die Aufmärsche inszeniert werden, spricht unterschiedliche Zielgruppen an. Bei eher traditionell orientierten Neonazis werden Assoziationen zu den Fackelzügen der SA hervorgerufen. Auf das aktionsorientierte Spektrum der Autonomen Nationalisten oder die rechte Hooliganszene dürften die Dynamik der Spontandemonstration, die aggressiven Sprechchöre und das Feuerwerk eine große Anziehungskraft ausüben. Komplizierte Inhalte oder gar Antworten auf komplexe Fragestellungen bieten die »Unsterblichen« nicht. Die Botschaft konzentriert sich auf die Eingliederung in eine imaginäre deutsche Volksgemeinschaft: Du bist nichts, dein Volk ist alles. Im Neonazi-Forum Thiazi schreiben die Organisatoren der Aktion: »Die Masken im Fackelschein lassen die Einzelnen zu einer Einheit der Entschlossenen verschmelzen.« Auf der Internetseite zu dieser Kampagne wird damit geworben, die Beteiligten würden »unsterblich«. Als »Weckruf zum Widerstand« bezeichnen es die Nazis. Gerade in Zeiten erfolgreicher antifaschistischer Blockaden von Nazi-Aufmärschen, insbesondere in Sachsen, sucht man nach neuen Wegen, um auf der Straße präsent zu sein. Eine ganze Stadt wird für einen begrenzten Zeitraum von den Neonazis dominiert. Und die staatliche Gewalt ist für einige Minuten, weil in der Unterzahl, machtlos. Innerhalb der rechten Szene dürfte die Begeisterung über diese neue Aktionsform enorm sein.

Verfolgt man die Spuren der »Unsterblichen«, landet man bei den Spreelichtern, einer Gruppe aus Südbrandenburg, deren Vorgehen als richtungweisend für die bundesdeutschen Nazi-Szene gilt (Jungle World 23/2011). Nicht nur die weißen Masken sind hier seit 2009 im Dauereinsatz. Auch das Hosting und die graphische Umsetzung der Webpräsenz sind identisch. Die erste und bisher größte Aktion der »Unsterblichen« fand mit mindestens 200 Teilnehmern am 30. April dieses Jahres im ostsächsischen Bautzen statt. Die zuständige Polizeidirektion teilte der Jungle World mit, dass die Personalien von 30 Personen aufgenommen wurden, gegen die die Staatsanwaltschaft nun wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ermittelt. Die enge Vernetzung und Zusammenarbeit südbrandenburgischer und ostsächsischer Neonazis ist seit Jahren bekannt. Bereits am 1. Mai 2008 trafen sich rund 300 Neonazis zu einer unangemeldeten Demonstration im Fackelschein in Cottbus. Die Initiatoren dieses Aufmarsches scheinen aus dem gleichen Milieu zu stammen, das auch die derzeitigen Aktionen maßgeblich unterstützt. Die Autokennzeichen, die dabei identifiziert wurden, weisen darauf hin, dass neben den Spreelichtern auch das rechtsextreme Netzwerk »Freies Netz« an der Mobilisierung beteiligt war.
Abgesehen von dem Erfolg, den die derzeitige Kampagne innerhalb der Naziszene hat, ist die Außenwirkung fraglich. Die Mehrzahl der Bewohner der von den Nazi-Spontandemonstrationen heimgesuchten Kleinstädte dürfte sich von vermummten Maskenträgern, Feuerwerk und Pyrotechnik kaum angesprochen fühlen. Darüber hinaus fordern die Neonazis mit dieser Aktionsform die staatlichen Behörden geradezu heraus. Ende September wurden bei einer ersten Razzia nach einer Aktion der »Unsterblichen« im Vogtland bereits zahlreiche weiße Masken beschlagnahmt.