Die Eskalation im Kurden-Konflikt

Die Feinde des Frühlings

Die Regierungen der Türkei, Syriens und des Iran verweigern der kurdischen Bevölkerung weiterhin fundamentale Rechte. Doch auch die Politik der PKK trägt nicht zur Demokratisierung der Region bei.

Werden in der Türkei, dem Iran oder Syrien kurdische Politiker oder Aktivisten verhaftet, gefoltert oder exekutiert, hört man in der Regel weder aus der Region noch von der »internationalen Gemeinschaft« empörte Reaktionen oder gar Verurteilungen. Verübt dagegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) einen Anschlag, ist die Kurdenfrage plötzlich in aller Munde. Politiker fordern dann unisono die Kurden zum Gewaltverzicht auf und stellen sich ostentativ hinter die türkische Regierung. Nachdem die PKK vergangene Woche 24 türkische Soldaten getötet hatte, freute sich ein Kommentator der Tageszeitung Hürriyet. Alle hätten dem türkischen Staat ihre Solidarität versichert, US-Präsident Barack Obama, Catherine Ashton für die EU und auch der iranische Präsident Mahmoud Ahmedinejad.
Früher hieß es in nationalistischen Kreisen in der Türkei, es gebe im Land kein Kurden-, sondern nur ein Terroristenproblem. Dass in Syrien, im Iran und auch in der Türkei weiter Millionen von Menschen, nur weil sie Kurden sind, fundamentaler Rechte beraubt sind, findet äußerst selten auch nur Erwähnung, wenn über die Umwälzungen in der Region gesprochen wird. Dabei müsste eigentlich klar sein, dass, solange die sogenannte Kurdenfrage existiert, der Nahe Osten nicht zur Ruhe kommen wird und ein gesellschaftlicher Wandel nur dann gelingen kann, wenn er nicht auf Kosten der Kurden stattfindet. Die kurdischen Parteien unternehmen ihrerseits wenig, um diesen Zustand zu ändern. Selbst wenn etwa die PKK immer wieder beteuert, ihr gehe es um das Wohl ganz Kurdistans, sollen sich in der Realität die Kurden in Syrien und dem Iran ihrem Diktat unterordnen. Welch desaströse Auswirkungen diese Strategie hat, zeigt sich dieser Tage deutlich in Syrien. Traditionell pflegt die PKK enge Beziehungen zum Regime Bashar al-Assads, obwohl Kurden in Syrien nicht einmal wie Bürger zweiter Klasse behandelt werden.

Seit dem Beginn der Massenproteste ist deshalb die kurdische Bewegung in Syrien gespalten. Während einige Parteien und Organisationen Autonomie innerhalb eines neuen demokratischen Syrien und den Sturz Assads fordern, kollaboriert die PYD, der lokale Ableger der PKK, mit dem Regime. So ist es auch kein Zufall, dass Kritiker der PKK vorwerfen, in Syrien vor einigen Wochen den beliebten kurdischen Oppositionspolitiker Mashal Tamo ermordet zu haben, der für Kooperation und ein friedliches Zusammenleben von Arabern und Kurden plädierte. Seine Position bedrohte nicht nur das Regime Assads, sondern auch den Hegemonialanspruch der PKK.
Die nämlich spekuliert, so erläuterte kürzlich Maria Fantappie in einer Studie für den Think Tank »Carnegie Endowment for International Peace«, auf eine weitere Verstärkung der türkisch-syrischen Spannungen. Sollte die Türkei in Syrien intervenieren, erwartet Fantappie sogar ein offenes Bündnis zwischen der PKK und dem syrischem Regime. Diese Strategie kommt der Türkei keineswegs ungelegen, unternimmt die Regierung doch alles, um die kurdische Bewegung in Syrien möglichst zu schwächen und im Gegenzug die Muslimbrüder zu stärken. Vertreter der Islamisten dominieren den Dachverband der syrischen Opposition in Istanbul, der kürzlich mit dem Segen der USA gegründet wurde. Die Rechte der Kurden in Syrien waren dagegen der Regierung Obamas bislang keine Erwähnung wert.
Ähnlich sieht es im Iran aus. Seit Jahren verschärft das Regime die Repression in den kurdischen Gebieten, unter den zum Tode Verurteilten in iranischen Gefängnissen finden sich überdurchschnittlich viele Kurden. Im Sommer kam es zu heftigen Gefechten zwischen dem iranischen Ableger der PKK, der Partei des Lebens (PJAK), und Revolutionswächtern. Sowohl im iranischen als auch im irakischen Kurdistan solidarisierten sich Tausende mit den Kämpfern der PJAK. Kurz sah es so aus, als wolle auch die PKK in die Kämpfe eingreifen, während die Türkei mit dem iranischen Regime den Kampf gegen die Kurden koordinierte. Dann entzog die PKK plötzlich der PJAK die Unterstützung, offenbar hatte sie sich einmal mehr auf ihre alte Strategie besonnen, im Zweifelsfalle nicht nur mit Syrien, sondern auch mit dem Iran zu kollaborieren.
Sollte die PKK-Führung an dieser Strategie festhalten, fände sie sich einmal mehr in einem offenen Bündnis mit den zwei repressivsten Regimes der Region wieder. Dabei hatten nicht nur in Syrien, sondern auch im Iran, Irak und selbst in der Türkei unzählige Kurden gehofft, dass die Umwälzungen in der Region auch zu einem »kurdischen Frühling« führen würden. Im Nordirak fanden monatelang Massendemonstrationen statt, in Syrien fordern kurdische und arabische Jugendliche gemiensam den Sturz der Assad-Diktatur, im Iran kam es zu Streiks und Demonstrationen. Auch in der Türkei verfolgten die Kurden die Ereignisse in den arabischen Nachbarländern, voller Hoffnung auf grundlegende Verbesserungen in ihrem eigenen Land.

Mit der jüngsten Eskalation zwischen der PKK und dem türkischen Staat droht diese Hoffnung nun bitter enttäuscht zu werden. Derweil üben die USA und die Türkei enormen Druck auf die irakisch-kurdische Regionalregierung aus, endlich militärisch gegen die Lager der PKK im Nordirak vorzugehen. Dies aber käme in den Augen auch derjenigen Kurden, die keinerlei Sympathien für die PKK hegen, einem Bruderkrieg gleich.
Es liegt also im Interesse der Regierungen der Türkei, des Iran und Syriens, die kurdische Bewegung zu spalten. Ob gewollt oder nicht, spielt die PKK ihnen dabei in die Hände. Zum Verstummen gebracht werden dagegen Stimmen, die, wie Mashal Tamo, für eine demokratische und föderale Lösung in der ganzen Region eintreten. Von ihnen geht langfristig eine viel größere Bedrohung aus als von der PKK, deren jüngste Attacken eher ein Ausdruck von Ratlosigkeit als ein Zeichen der Stärke sind. Es ist daher kaum verwunderlich, dass man sowohl im Hauptquartier der PKK als auch in den Regierungspalästen in Ankara und Damaskus die Nachricht von der Ermordung Tamos äußerst erfreut vernahm.