Die Reaktion der Parteien auf Proteste gegen die Banken

Ein Protest zum Knutschen

Seitdem die Occupy-Bewegung in den USA auf die Straße geht, gibt es auch in Deutschland Versuche, die Empörung über die ­Finanzkrise in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Demonstranten stoßen bei den Politikern auf Verständnis, mittlerweile haben alle Parteien bankenkritische Positionen aufgenommen.

Es scheint fast so, als hätten Politiker aller Lager nur auf die Anti-Banken-Proteste gewartet. Die Demonstranten vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main können sich jedenfalls der zahlreichen Sympathiebekundungen kaum erwehren. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nimmt die Anliegen der Demonstranten »sehr ernst«, ebenso wie Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin meint, dass sich »in den Demonstrationen eine tiefe Sorge ausdrückt und auch ein Gerechtigkeitsverlangen der Menschen«, wie sie kürzlich wissen ließ. Mittlerweile fordert sogar der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle, die Banken stärker zu kontrollieren.
Das ist nicht unbedingt verwunderlich, denn mittlerweile droht die Bundesregierung die Kontrolle über die Finanzen zu verlieren. Rund 240 Milliarden Euro musste sie nach Berechnung der Bundesbank seit 2010 aufwenden, um marode Banken zu retten. Und nun bahnt sich schon die nächste Katastrophe an. Kommt es zu dem zu erwartenden Schuldenschnitt in Griechenland in Höhe von bis zu 60 Prozent, könnten nicht nur französische, sondern auch deutsche Geldinstitute in ernsthafte Bedrängnis geraten.

Für allgemeine Entrüstung sorgt dabei der Umstand, dass sich offenbar seit dem Crash der Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008 nicht viel verändert hat. Im Gegenteil nimmt der Umgang mit den Problemen auf dem Finanzmarkt bizarre Züge an. Als die europäischen Regierungen in den vergangenen Jahren den Banken mit riesigen Summen beisprangen, um sie vor dem Bankrott zu bewahren, dienten die Gelder der Rettungspakete vornehmlich dazu, die ausstehenden Kreditraten zu bedienen. Sie flossen also mehr oder weniger direkt auf die Konten deutscher oder französischer Banken. Und weil sich wegen der Rettungspakte die Schuldenquote vieler EU-Staaten in den letzten fünf Jahren fast verdoppelt hat, stufen Rating-Agenturen wiederum deren Kreditwürdigkeit herab. Mittlerweile ist selbst Frankreich nicht mehr sicher. Die Regierungen sitzen gewissermaßen in der Falle: Weil sie die Banken gerettet haben, erhalten sie auf dem Finanzmarkt schlechte Noten. Stellen sie aber die Hilfe ein, droht ein Dominoeffekt, der zum Zusammenbruch des gesamten Bankensystems führen könnte. So wird selbst bei der FDP die Forderung immer lauter, die Finanzbranche endlich zu regulieren.
Im Gespräch ist derzeit vor allem der Vorschlag, sogenannte Trennbanken einzuführen. Demnach sollen die Institute in zwei Teile zerlegt werden: die spekulativen Tätigkeiten im Investmentbanking einerseits und das traditionelle Einlagen- und Kreditgeschäft andererseits. Banken, die sich riskanten Investments verschreiben, würden demnach nicht mehr mit staatlichen Garantien versehen und müssten im Zweifelsfall die Verluste selber tragen. Die sogenannte Realwirtschaft wäre davon nicht betroffen, da sie von den traditionellen Banken weiterhin Kredite erhalten würde.
Insbesondere von der Opposition wird der Vorschlag aufgegriffen: »Es ist unbedingt notwendig, über ein Trennbankensystem zu sprechen. Es ist ärgerlich genug, dass die Bundesregierung diese Diskussion bisher abgeblockt hat«, meint etwa Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen. Auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel will über den Vorschlag zumindest diskutieren. »Das schlägt die OECD vor, auch eine Kommission in Großbritannien. Nur in Europa setzt sich die Bankenlobby durch«, sagte er kürzlich.

Mit solchen Reformen will sich die Linkspartei nicht begnügen. Auf ihrem Parteitag vergangene Woche umriss Oskar Lafontaine eine ganz eigene Vision, mit der er die Branche radikal verändern möchte. »Wir sind dazu verpflichtet, eine ganz andere Finanzwelt zu errichten, eine demokratische Finanzwelt«, wetterte er vor den Delegierten und gab die Parole aus: »Sparkassen statt Zockerbuden.« Ob nun ausgerechnet die Sparkassen die Rettung bringen werden, darf jedoch bezweifelt werden. Schließlich waren es in Deutschland vor allem die Landesbanken, allesamt Töchter der Sparkassenorganisationen, die sich in dubiosen Finanzgeschäften verhedderten und mit Milliarden an Steuergeldern gerettet werden mussten. So investierten deutsche Landesbanken noch in den US-Immobiliensektor, als dessen Kollaps bereits abzusehen war.
Fraglich ist außerdem, ob mit einer Aufspaltung der Geschäftsbereiche tatsächlich weitere Bankenkrisen verhindert werden können. Die Bank Lehman Brothers, deren Pleite die Finanzkrise auslöste, widmete sich ausschließlich dem Investmentgeschäft. Und auch bei der Deutschen Bank, die im vergangenen Jahr eine Bilanzsumme von fast zwei Billionen Euro auswies, umfasst das traditionelle Kreditgeschäft lediglich vier Prozent.

Andere Vorschläge zielen daher darauf ab, das Eigenkapital der Institute zu erhöhen. Bei der Deutschen Bank beträgt diese Summe, mit der das Unternehmen im Ernstfall haftet, gerade einmal zwei Prozent der Bilanzsumme. Bei Industrieunternehmen sind hingegen zwischen 20 und 40 Prozent üblich. Insbesondere das deutsche Finanzministerium und die EU-Kommission in Brüssel schließen deshalb eine Zwangskapitalisierung der Institute nicht mehr aus. So sollen wegen des anvisierten Schuldenschnitts in Griechenland die europäischen Banken ihr Eigenka­pital um rund 100 Milliarden Euro anheben. Ob sie dazu alleine in Lage sind oder ob sie staatliche Hilfe brauchen, ist unklar. Sicher ist nur, dass auch dieser Schritt kaum ausreichen wird, um die »systemrelevante Bedeutung« der Institute zu mindern, wie von Bundeskanzlerin Merkel nach der letzten Bankenkrise gefordert. Sie sind immer noch zu groß, um pleite zu gehen.
Dennoch sind die Klagen über die Machtlosigkeit der Politik wenig überzeugend. Schließlich waren es die Regierungen selbst, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Branche konsequent dereguliert und damit die Grundlage für die heutige Entwicklung geschaffen haben. »Lasst uns die Regeln, die den Erfolg bremsen, wegwerfen«, postulierte 1986 die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher, und fast alle westlichen Regierungen folgten diesem Aufruf. Noch 2003 ließ die rot-grüne Koalition in Deutschland völlig unkontrollierte Kreditgeschäfte (Derivatehandel) und die hochspekulative Tätigkeit von Hedgefonds zu. Ohne diese Zulassung wäre die von Josef Ackermann bei der Deutschen Bank ausgegebene Devise »25 Prozent Rendite auf alles« kaum möglich gewesen.

Die selben Zeitungen, die heute der Occupy-Bewegung applaudieren, klatschten auch damals Beifall. Die Liberalisierung der Finanzbranche werteten sie als Zeichen einer »modernen Politik«, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes als »notwendige Maßnahme«. Beide Entscheidungen gehörten zusammen: Die liberalisierten Finanzmärkte schufen in den vergangenen Dekaden ein schuldenfinanziertes Wachstum, das ebenso von einem flexiblen Arbeitsmarkt bedient wurde.
Diese Entwicklung sorgt nun tatsächlich für »systemrelevante« Risiken. Sollten die viel kritisierten Finanzmärkte tatsächlich reguliert werden, dann dürfte auch das kreditfinanzierte Wachstumsmodell zusammenbrechen. Übrig bliebe dann ein flexibilisierter Arbeitsmarkt mit schlecht bezahlten Jobs, während man in Europa wohl deutlich weniger Waren »made in Germany« importieren würde. Welche Entscheidung die Bundesregierung auch treffen mag, einen schnellen Ausweg aus der Krise wird es nicht geben.