Es gibt noch Tomaten

Der Experte hat schon bessere Zeiten gesehen. Ob es um die arabische Welt oder den Finanzmarkt geht, selten geruht die Wirklichkeit, seinen Vorhersagen folgen. Die mangelnde Fähigkeit zu kritischer Reflexion hat wohl etwas damit zu tun, dass die meisten Experten den Gegenstand ihres Expertentums so lieben, wie er ist. Das gilt für viele Islamwissenschaftler, aber mehr noch für die Ökonomen, die sich von einer läppischen Krise nicht beeindrucken lassen. Die Öffentlichkeit folgt einer »falschen Vorstellung«, doziert Professor Hanno Beck. »So wie ein Physiker nicht exakt bestimmen kann, wohin eine Billardkugel rollt, wenn sie angestoßen wird, können auch Ökonomen nicht die Welt voraussagen.« Und überhaupt, es gibt ja noch »unzählige Märkte, die täglich funktionieren«, Gemüsemärkte zum Beispiel. Lang lebe die unsichtbare Hand des Marktes. Man hat sich in seinen Prognosen um rund sechs Billionen Dollar verkalkuliert. Na und? Die Leute können ja immer noch Tomaten kaufen. Im Gegensatz zum Physiker behilft sich der Ökonom damit, Parameter zu erfinden, und prophezeit: »Alle Billardkugeln werden eingelocht.« Der unbedarfte Laie fragt: »Wie kann das sein?« Da strahlt der Ökonom: »Es ist die unsichtbare Hand, die sie lenkt.« Wenn der Spieler dann unter den Billardtisch krabbeln muss, um die Kugeln wieder aufzusammeln, liegt das an seinen falschen Vorstellungen.
Man fragt sich nur, warum ein Experte wie Beck ein, gemessen am Standard der Finanzbranche, dürftig bezahltes und wenig glamouröses Dasein an der Hochschule Pforzheim fristet, statt mit seinem Wissen Milliarden zu scheffeln. Nur Loser leben von Staatsknete. Sollten Experten nicht auf dem freien Markt gehandelt werden? Das US-Unternehmen Expert Insight ist da ein Anfang. Wer bereit ist, Beträge zwischen 100 und 6500 Dollar zu investieren, kann eine Stunde lang seinen Lieblingsexperten im Video-Chat befragen. Zur Verfügung stehen nicht nur Ökonomen, Tracy Quan etwa bietet die »Erfahrungen eines professionellen Callgirls« für Menschen an, die der »Herausforderung, mehr als eine romantische Agenda zu managen«, allein nicht gewachsen sind. Wen kürt die unsichtbare Hand zum Spitzenexperten? Obwohl mit Gary Becker sogar ein Nobelpreisträger für Ökonomie zur Verfügung steht, wird der höchste Tarif für einen Casino-Kapitalisten fällig, nämlich für Tom Dwan, der Pokern lehrt. Dwan hat am Spieltisch 2,1 Millionen Dollar gewonnen, sein Können also anders als die meisten Experten in der Praxis bewiesen. Es ist daher unseriös, das ehrliche und streng regulierte Spiel im Casino als »Zocken« zu verunglimpfen und es mit dem Finanzmarkt und seinen Propheten in Verbindung zu bringen. Vielmehr sollte endlich ein Nobelpreis für Pokern vergeben werden. Und einer für das Management mehr als einer romantischen Agenda wäre auch mal fällig.