Piraten mit NPD-Vergangenheit

Piraten mit Vergangenheit

Kürzlich wurde bekannt, dass zwei Funktionäre der Piratenpartei zuvor Mitglieder der NPD waren. Die Partei versucht, sie als Einzelfälle zu präsentieren.

Der Mann mit den zum Pferdeschwanz gebundenen langen Haaren und dem blau-weißen Käppi verfolgt, gemeinsam mit seinen Kumpeln, die kleine Demonstration verächtlich grinsend. Einer der Männer fotografiert, ein anderer steht in typisch aggressiver Pose daneben, während die anderen aufmerksam zuschauen.
Rund sechs Jahre sind diese Fotos alt, die im August 2005 bei Indymedia veröffentlicht wurden. Anlass des Artikels war eine »Aktion gegen das Naziinternetcafé in Wolgast«, das von Christian Deichen, einem NPD-Kader und Mitglied des rechtsextremen »Heimatbund Pommern«, im Zentrum des im Landkreis Vorpommern-Greifswald gelegenen Städtchens betrieben wurde. Der von PDS und SPD initiierten Kundgebung gegen den Nazi-Treffpunkt schloss sich eine spontane Demonstration mit etwa 20 Antifas an, die von Deichen und seinen Freunden angegriffen wurden.
Das Internetcafé ist mittlerweile geschlossen, gleichwohl ist die Geschichte nach wie vor interessant. Der auf den Fotos zu sehende Mann mit dem blau-weißen Basecap sitzt nämlich mittlerweile im Kreistag von Mecklenburg-Vorpommern – und zwar für die Piraten. Die konnten sich nicht lange über das gewonnene Mandat freuen, denn kurz nach der Wahl ging Matthias Bahner mit einer »persönlichen Erklärung« an die Öffentlichkeit. Transparenz sei ihm sehr wichtig, hieß es da nach einem ausführlichen Dank »an die Wählerinnen und Wähler für das entgegengebrachte Vertrauen«. Daher wolle er zu einem »Fehler aus der Jugend, den ich heute sehr bereue, Stellung nehmen«. Im Jahr 2003 sei er als 18jähriger in die NPD eingetreten. Seine Aktivitäten innerhalb der Partei seien »ausschließlich auf Freizeitaktivitäten mit meinen damaligen Schulfreunden« beschränkt und außerdem »zu keinem Zeitpunkt Ausdruck meiner politischen Einstellung« gewesen.

Innerhalb der Piratenpartei wurde Bahners Outing kontrovers diskutiert. Während die einen fanden, bei einer NPD-Mitgliedschaft handele es sich um eine lässliche »Jugendsünde« und ein erwachsener Mann könne durchaus erst im Nachhinein feststellen, dass es sich bei der NPD um eine rechtsextreme Partei handele, forderte die Parteigruppe »Piraten gegen Rechtsextremismus« »alle Piraten mit einer NPD-Vergangenheit, die diese vor ihrer Wahl nicht publik gemacht haben, dazu auf, mit sofortiger Wirkung von ihren Ämtern zurückzutreten«.
Bahner reagierte mit einer zweiten Stellungnahme: »Da die Medien in diesem Lande mich – Student der Politikwissenschaft und unbescholtener Bürger – innerhalb von 48 Stunden durch eine Mitgliedschaft als Teenager in der NPD – deutschlandweit zum ›Staatsfeind Nummer 1‹ erkoren haben und die Piratenpartei Deutschland nun auf eine öffentliche Stellungnahme durch mich drängt, gebe ich zu, dass ich – wie jeder ›normale Mensch‹ – erst persönlich Rücksprache mit einem Anwalt und dem Vorstand halten werde.« Sein Mandat hat er bis heute nicht zurückgegeben, obwohl weitere Ungereimtheiten in seinem Fall auftauchten. Wie ein Insider erklärte, bestand Bahners Anruf bei dem von den Piraten gestellten Juristen lediglich in einem kurzen Klingelnlassen des Telefons. Anschließend habe er auf Rückrufe nicht reagiert. Nun stellen Mitglieder des Kreisverbands der Region Greifswald den Antrag, dass der Landesparteitag der Piraten in Mecklenburg-Vorpommern Bahner auffordern soll, sein Mandat im Kreistag niederzulegen.
Gleichzeitig mit dem Fall Bahners war bekannt geworden, dass ein weiterer Pirat eine braune Vergangenheit hat. Valentin Seipt, amtierender Kreisvorsitzender im bayerischen Freising, war von 2007 bis 2009 stellvertretender Kreisvorsitzender der NPD. Drei Monate nach seinem Austritt hatte er im Januar 2010 gemeinsam mit anderen den Piraten-Kreisverband Freising gegründet. Seine vorherige Politkarriere wurde allerdings nicht etwa durch Recherchen seiner neuen Partei bekannt, sondern durch die rechtsextreme Szene. Der »Aktionsbund Freising« hatte, offenbar als Reaktion auf ein Interview im Freisinger Wochenblatt, auf seiner Internetseite über Seipts Vergangenheit berichtet und zudem erklärt, dass der Pirat mit dem Wuschelbart sich beim Aufbau des Kreisverbands »von ehemaligen Kameraden« beraten ließ. »Jeden Hinweis und Tipp zur Gründung« habe er »dankend« angenommen, hieß es in der Stellungnahme, in der auch darauf verwiesen wurde, dass das ehemalige NPD-Mitglied aufgrund des Paragrafs 86a (Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole, in seinem Fall wohl auf einem T-Shirt) zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist.

Seipt, der unter anderem mit der NPD gegen die Wehrmachtsausstellung in Peenemünde demonstrierte und an einem Landesparteitag teilnahm, gab nach heftigen Protesten, auch von Piraten aus anderen Bundesländern, seinen Posten als Kreisvorsitzender auf – in der Partei darf der System­administrator trotzdem bleiben. Schließlich handele es sich um eine »Jugendsünde«, wie auch der 25jährige findet, dessen Begründung für seinen NPD-Eintritt genauso lautet wie die Erklärung vieler neuer Parteifreunde dafür, dass sie den Piraten beitraten: »Ich war politikverdrossen, die Klüngelei hat mich geärgert – bei jeder Partei, und ich wollte daran etwas ändern.«
Die Enthüllungen über Bahner und Seipt zeigen, dass eine weitere Piraten-Personalie eben nicht der Einzelfall ist, als der sie so gern hingestellt wird. In Foren und auf Mailinglisten wird der Eindruck erweckt, dass nur das seit mehr als zwei Jahren verschleppte Ausschlussverfahren gegen den Holocaust-Relativierer Bodo Thiesen endlich abgeschlossen werden müsse, und schon sei die Partei frei von jeglichen rechten Belastungen. Dabei hat es in der Vergangenheit immer wieder Nazi-Vorfälle gegeben: André Stüwe, ehemaliger Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen, hatte beispielsweise im Januar 2010 in einem Blogkommentar zum Thema Iran geschrieben, das Magazin »Spiegel gehört indirekt Israel und hat somit selbst das Anliegen dem Iran zu schaden«. Und ein Mitglied des Schiedsgerichts des Landesverbandes Sachsen erklärte vor einiger Zeit, es wolle sich »von den Antifanten nicht den Terminkalender diktieren lassen«. Ein niedersächsischer Pirat warb dagegen im Januar für eine Petition zur Freilassung des Holocaust-Leugners Horst Mahler und erklärte: »Dass der staatlich verordnete Genozid eher unprima war und Leute, die ihn weniger unprima finden, nicht zu meinen bevorzugten Gesprächspartnern gehören, sollte klar sein. Insofern teile ich Horst Mahlers Meinung nicht, bin aber als Pirat der Überzeugung, eine Meinung könne niemals ein Verbrechen sein!«

Im übrigen wird noch längst nicht jede Nazi-Personalie bei den Piraten auch öffentlich bekannt – in Süddeutschland etwa wollte sich vor wenigen Wochen ein ehemaliges Mitglied einer rechtsextremen Vereinigung ausgerechnet um die Mitgliederverwaltung kümmern, was jedoch verhindert werden konnte, weil der dortige Vorstand umgehend einschritt. Und weitere Skandale werden folgen, denn auf den bereits erwähnten parteiinternen Mailinglisten und im geschlossenen Forum finden sich immer wieder verschwörungstheoretische und rechtsextreme Äußerungen. Dass der Wahlerfolg in Berlin zu einem Mitgliederansturm geführt hat, sehen deshalb auch nicht alle Piraten positiv: In einem eigenen Blog werden mittlerweile die abstrusesten Anfragen von (rechtsextremen) Spinnern gesammelt. Abschreckender dürfte allerdings eine Initiative wirken, die zum Parteitag Anfang November eingebracht werden soll: Neue Mitglieder müssten demnach angeben, ob sie zuvor in Parteien und Organisationen aktiv waren, die nicht mit den Zielen der Piraten, die sich unter anderem in ihrem Programm klar gegen Rassismus positionieren, kompatibel sind. Einigen Mitgliedern geht dies jedoch zu weit, weil »linksextremistische Parteien wie die Linke« schließlich auch total gefährlich seien. Und weil »Gesinnungsschnüffelei« nicht zu den Piraten passe.