Südafrika wirft Israel Apartheid vor

Besonders unverantwortlich

In Südafrika gilt Israel als »Apartheidsstaat«. Darüber sind sich fast alle einig.

Nicht nur Deutschland, auch Südafrika will Lehren aus seiner Geschichte ziehen. Die Erinnerung an und der Kampf gegen Apartheid sind Teil der nationalen Identität, die auf einer »besonderen Verantwortung« fußt. Bei der Mehrheit der Bevölkerung herrscht das Bewusstsein vor, sich erhoben und gesiegt zu haben über das unüberwindbar geglaubte System der Rassentrennung. Es war ein historisch notwendiger und weltweit umjubelter Sieg. Und scheinbar prädestiniert diese Erfahrung Südafrika dazu, Unrecht in der Welt zu entdecken und zu verurteilen. Um heute die Nichteinhaltung moralischer Standards anzu­prang­ern, bieten sich weltweit einige Orte an. Doch solange für die Rechte der Palästinenser Partei ergriffen werden kann, drücken die ehemaligen Anti-Apartheid-Strategen bei anderen Ländern gerne ein Auge zu. Das freut nicht nur den Diktator Robert Mugabe im Nachbarland Zimbabwe. Solidaritätsaufrufe aus Südafrika zur Unterstützung der unterdrückten zimbabwischen Bevölkerung gibt es zurzeit nicht.
Die Palästinenser sind in Südafrika das auserwählte Objekt internationaler Solidarität. Bewiesen hat das wieder einmal das »Russel-Tribunal zu Palästina«, ein »Gerichtshof des Volkes«, der am vergangenen Wochenende in Kapstadt darüber verhandelte, ob Israel des Verbrechens der Apartheid schuldig sei. Doch es braucht keine gesonderte Konferenz antizionistischer Aktivisten, um Israel zu verdammen.

Israelkritik stiftet Einheit beim politischen Tagesgeschäft und ist unwidersprochener Konsens fast jeder größeren Bewegung Südafrikas. Die seit 1994 regierende Partei African National Congress (ANC) verbindet mit den Palästinensern nicht nur das militärische Training aus vergangenen Tagen zusammen mit Kämpfern der PLO, in der offiziellen Staatsrhetorik ist Israel ein »Apartheidsstaat«. Ein anderes Beispiel ist Cosatu, der größte Gewerkschaftsbund. Er zeigte sich im Oktober zu Recht verärgert, als dem Dalai Lama zur Feier von Desmond Tutus 80. Geburtstag ein Einreisevisum verweigert wurde. China ist einer der stärksten Handelspartner Südafrikas, der ANC wollte wohl die wirtschaftlichen Beziehungen nicht gefährden. Doch kommt Cosatu in seiner Erklärung, in der er kritisiert, dass politische Rechte zugunsten wirtschaftlicher Beziehungen missachtet würden, nicht ohne einen Verweis auf das ungeklärte Verhältnis des Dalai Lama zu antiisraelischen Boykottmaßnahmen aus.
Auch die südafrikanischen Universitäten sind fest in der Hand der Israel-Boykotteure. Im März dieses Jahres folgte die Leitung der Universität von Johannesburg der von den meisten Professoren und Studierenden des ganzen Landes unterstützten Forderung nach einem akademischen Boykott israelischer Institutionen. Die Beziehungen zur Ben-Gurion-Universität in Israel wurden durch den Senat daraufhin offiziell beendet.

Auf einer Protestkundgebung gegen eine israelische Studentendelegation forderten im August die beiden größten Studentenorganisationen des Landes ihre Kommilitonen dazu auf, sich für »von Apartheid befreite Zonen« einzusetzen. Im Aufruf gegen die als »Agenten der Apartheid« bezeichneten Israelis heißt es unter anderem: »Wir haben in der Apartheid gelebt, wir wissen, was Apartheid ist; wir erkennen Apartheid, wenn wir sie sehen. Und wenn wir uns Israel anschauen, sehen wir ein Regime, das Apartheid praktiziert.« Es ist ein Versuch der Vergangenheitsbewältigung in der postrassistischen Gesellschaft.
Salonfähig wurde der Apartheidsvorwurf gegen Israel, der die von der UN beglaubigte Gleichsetzung von Zionismus und Rassismus fortsetzt, seit der berüchtigten »Weltkonferenz gegen Rassismus« 2001 im südafrikanischen Durban. Herrscht »Apartheid« in einem Land, kann es keinen kritischen Dialog und keine Einigung geben.
Der Einsatz gegen Israels staatliche Legitimität ist für die ehemals von Apartheid Betroffenen ein verbindendes Moment. Der vermeintliche Kampf gegen Ungleichheit und Rassismus muss so nicht mehr nur im eigenen Land ausgetragen, sondern kann mindestens genauso passioniert in den über 7 000 Kilometer entfernten Mittelmeerstaat verlagert werden.