Griechenland bekommt eine Übergangsregierung

Die Rettung lässt auf sich warten

Mit dem Vorschlag, die griechische Bevölkerung in einem Referendum über das Darlehensabkommen mit der EU entscheiden zu lassen, ist der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou gescheitert, er gibt sein Amt auf. Nun soll eine Übergangsregierung gebildet werden. Die griechische Bevölkerung fühlt sich von Gläubigern und der internationalen Politik unter Druck gesetzt, ist jedoch auch von den griechischen Parteien enttäuscht.

»Mit diesem Verbrechen will ich nichts zu tun haben!« sagt die 28jährige Privatangestellte Vassiliki P. entschlossen. Als am Freitagabend die Abstimmung über die Vertrauensfrage für den noch amtierenden Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou stattfand, hatte sie den Fernsehapparat bewusst abgestellt. Das Ergebnis interessierte sie nicht. Denn schon längst findet die junge Frau, dass das, was im Parlament und auf den internationalen Treffen über die Krisenbewältigung besprochen wird, nichts mit dem Willen der Bevölkerung zu tun hat, und dass das Land eigentlich vom Ausland regiert wird. »Die Griechen haben so oft gegen diese Politik protestiert. Was nützt es, wenn wir unsere Meinung sagen können, diese jedoch nicht mehr gehört wird?« fragt sie empört.
Seit Montagabend steht fest, dass Griechenland eine Regierung erhalten wird, auch wenn deren genaue Zusammensetzung beim Treffen der Finanzminister der EU noch nicht feststand und am Dienstag weiter über sie spekuliert wurde. Als zukünftiger Ministerpräsident einer Übergangsregierung der »nationalen Einheit« gilt Lucas Papademos, der ehemalige stellvertretende Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Eine große Koalition soll sich schriftlich verpflichten, das mit der EU vereinbarten Sparprogramm einzuhalten. Neuwahlen sollen erst im Februar stattfinden.
Dies wird jedoch den Zorn der griechischen Bevölkerung sowie ihr Misstrauen gegenüber dem politischen System nicht mildern. Laut einer aktuellen Umfrage lehnen 59 Prozent der befragten Griechinnen und Griechen wegen der damit verbundenen Sparmaßnahmen ein neues Darlehensabkommen ab. Beim EU-Gipfel in Brüssel wurde ein 50prozentiger »Schuldenschnitt« für Griechenland vereinbart. Die »Troika-Delegation«, die aus Experten der Europäischen Kommission, der EZB und des Internationalen Währungsfonds (IWF) besteht, soll nun permanent zur Kontrolle in Athen bleiben.

Die jüngsten Umfragen bilden die Hoffnungslosigkeit und die Ratlosigkeit vieler Griechinnen und Griechen ab: Auf die Frage, wer der richtige Politiker sei, um Griechenland aus der Krise zu führen, antworteten 53 Prozent der Befragten klipp und klar: »Niemand.« 78 Prozent der Befragten glauben, dass die Krise noch nicht zu Ende sei und das Schlimmste noch bevorstehe. 54,8 Prozent sind der Meinung, dass, egal welche Regierung die Macht hat, nur wenig Spielraum besteht, um eine andere Politik zu betreiben. In der Sonntagsausgabe der linken Zeitung Avgi ist zu lesen, das Modell einer Regierung der »Nationalen Rettung« sei eines, das die internationalen Mächte in allen Ländern, die von der Krise betroffen sind – oder besser: die als die ersten Opfer der Krise ausgewählt worden sind –, durchsetzen möchten. »Die europäischen Erpressungen, die terroristischen Dilemmata, mit denen diese Mächte versucht haben, Neuwahlen und jegliche Form einer Volksabstimmung zu verhindern, die ihre Pläne gefährden könnten, sind der größte Beweis ihres Scheiterns«, schreibt die Zeitung.
Die griechische Bevölkerung drückte am Nationalfeiertag, am 28. Oktober, auf den Straßen der großen Städte ihren Unmut eindrucksvoll aus. Die Parade in Thessaloniki musste zum ersten Mal in ihrer Geschichte abgebrochen werden, denn der Staatspräsident Karolos Papoulias war mit wütenden Bürgerinnen und Bürgern konfrontiert, die ihn als »Verräter« beschimpften. Dieser spontane Wutausbruch alamierte die Regierung und war nach Meinung vieler Beobachter ausschlaggebend für die Entscheidung Papandreous, ein Referendum über das auf dem EU-Gipfel am 27. Oktober vereinbarte »Rettungspaket« zu erwägen. Wie die französische Tageszeitung Libération berichtete, soll Papandreou dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy anvertraut haben, er habe sich aus Angst vor einem Militärputsch für ein Referendum entschieden. Als »Beherrscher des Chaos« beschrieb die griechische Presse in der vergangenen Woche Papandreou, nach den turbulenten Vorgängen, die er auf internationaler Ebene ausgelöst hatte.

Aufgrund des starken Drucks durch internationale Gläubiger sagte Papandreou am Donnerstag vergangener Woche das Referendum jedoch wieder ab und stellte sich einer Vertrauensabstimmung. Um Mitternacht am Freitag vergangener Woche gewann er sie schließlich mit 153 Ja-Stimmen. Der Ausgang des Votums war ungewiss, denn mehrere Abgeordnete seiner sozialistischen Partei Pasok hatten angekündigt, gegen die Regierung zu stimmen. Papandreou konnte sie nur mit dem Versprechen überzeugen, eine Übergangsregierung zu bilden, in der er selbst nicht mehr Ministerpräsident sein werde. Es kam zur paradoxen Situation, dass die Abgeordneten einem Premierminister das Vertrauen aussprechen sollten, damit er nicht mehr regiert.
Die Übergangsregierung soll vier Monate im Amt bleiben und Griechenland die Euro-Hilfszahlungen sichern. Der Vorsitzende der konservativen Partei Nea Demokratia, Antonis Samaras, hatte bereits vor der Vertrauensabstimmung eine Zustimmung seiner Partei zum »Rettungspaket« signalisiert, das er bisher entschieden abgelehnt hatte. Der Druck auf Samaras ist sehr groß, sowohl in Griechenland als auch im Ausland. Die Gläubiger lehnen seinen Wunsch strikt ab, das Hilfsprogramm neu auszuhandeln.
Während bei den Politikerinnen und Politikern Nervosität vorherrscht, ist die Stimmung in der Bevölkerung äußerst gereizt. Wenn die Probleme in der griechischen Gesellschaft nicht rechtzeitig gelöst würden, drohten die Parteien völlig die Kontrolle über die Situation zu verlieren, sagt Zisis Papadimitriou, Professor für politische Soziologie an der Aristoteles-Universität von Thessaloniki. »Die Gesellschaft wird spontan und emotional reagieren, was eine große Gefahr für ihren Zusammenhalt darstellt«, warnt er. Michalis P., ein 45jähriger Freiberufler, der an fast jeder Protestveranstaltung vor dem Parlament teilnimmt, steckte anfangs in dem Zwiespalt, ob er überhaupt an einem Referendum über den Euro teilnehmen sollte. »Man kann die Griechen nicht unter den gegeben Umständen über einen Verbleib oder einen Austritt aus der Eurozone befragen. Es ist reine Erpressung!« sagt er.
In den letzten Umfragen zu dem Thema sagten 72,5 Prozent der befragten Griechinnen und Griechen, dass sie in der Eurozone bleiben wollen. Als die Vertrauensabstimmung lief, stand Michalis zusammen mit Hunderten von Mitbürgerinnen und Mitbürgern vor dem Parlament. Sie hatten sich dort spontan versammelt, um der Regierung ihre Abneigung zu zeigen. »Es ist wie ein Vulkan, der vor sich hin brodelt«, beschreibt Michalis die Stimmung in der Gesellschaft. »Der Fall der sozi­alistischen Regierung würde den Menschen helfen, ihren Kampf für ihre Würde von einer besseren Position aus fortzusetzen«, sagt er.

Bis jetzt konnte die Linke in Griechenland nicht von dem Unmut der Bürgerinnen und Bürger über die zwei großen Parteien profitieren. In einer Umfrage der Zeitung Proto Fema bekamen das Linkbündnis Syriza 5,3 Prozent der Stimmen, die Kommunisten 7,8 Prozent und die Grünen nur 2,7 Prozent. Die konservative Nea Demokratie wäre mit 22 Prozent die führende Partei. Die Sozialisten kämen nur noch auf 15 Prozent und die rechtsextreme Partei Laos auf 5,7 Prozent. »Die Krise hat sehr deutlich die Unzulänglichkeit der griechischen Linken gezeigt, die in Dogmen der Vergangenheit und persönlichen Differenzen gefangen scheint«, sagt Apostolos Dedousopoulos, Wirtschaftsprofessor an der Pandeion-Universität in Athen.
Trotz der Ratlosigkeit, die in Griechenland zurzeit herrscht, finden viele Griechinnen und Griechen, dass die Zeit reif sei für eine neue politische Partei. »Alle Parlamentsabgeordneten sollen zurücktreten. Es sollen junge Politiker an die Macht kommen, die über die Staatsschulden neu verhandeln werden. Es gibt bestimmt diesen Weg«, sagt Anna A., eine 45jährige Privatangestellte. Die schmale Frau mit dem starken Blick steht vor dem Parlament am Syntagma-Platz, dort, wo sich seit einigen Monaten die Demonstratinnen und Demonstranten immer wieder versammeln. »Sie können Löhne kürzen und Steuern erhöhen, aber nicht die Souveränität unser Landes wegen der Staatschulden, die sie selbst gemacht haben, an fremde Mächte abgeben. Wir werden weiterkämpfen. Wir haben keine andere Wahl«, sagt Anna.