Wer hat’s erfunden?

Berlin Beatet Bestes. Folge 121. Dizzy Gillespie: Oop Bop Sh’Bam (1947).

Der 28jährige Joachim reist 1950 zum ersten Mal in die USA und landet irgendwann im dunklen Keller eines düsteren Hauses in der Nähe der Central Avenue in Los Angeles. In dem rauchgeschwängerten Raum sind etwa 20 Leute, drei Frauen, der Rest Männer – unter ihnen, neben Joachim, nur zwei weitere Weiße.
Was er dann erlebt, schildert er so: »Ich habe selten einen solchen Schreck bekommen, wie an dem Abend, an dem ich dort eintrat. Was ich da hörte, war die unheimlichste Musik, die vorstellbar ist. Die Töne zuckten wie Elektronenladungen durch ein Dunkel, das so undurchdringlich war, dass selbst diese Entladungen es nicht aufzuhellen vermochten. Die Melodiephrasen jagten sich in einer Weise, die man nicht beschreiben kann. Man kann ja nur Musik beschreiben, für die es Maßstäbe gibt. Die Maßstäbe dieser Musik kenne ich nicht.«
Joachim ist begeistert, und doch kommen ihm die Typen in dem Raum seltsam vor, die Mischung aus Intellektualität und »unerschütter­licher, gefühlsmäßiger Sicherheit« kannte er bisher nicht. Schnell kommt er mit den Leuten ins Gespräch. Ihn interessiert vor allem, wie die Musiker zu dieser unheimlichen Musik gefunden haben. Die Antwort gibt ihm ein junger Tenorsaxophonist: »Sehen sie, wir brauchen eine eigene Musik. Wir haben nichts anderes. Unsere Schriftsteller schreiben wie die Weißen, unsere Maler malen wie die Weißen, unsere Philosophen denken wie die Weißen, nur: unsere Musiker spielen nicht wie die Weißen. Sowie wir eine Musik haben, kommt der Weiße und macht sie uns nach. Wir haben nun fünfzig Jahre Jazz, und in den fünfzig Jahren gibt es keinen Weißen, der eine Idee gehabt hätte. Nur die Schwarzen haben die Ideen. Wenn sie dann aber nachsehen, wer die berühmten Namen hat: Das sind alles Weiße. Was bleibt uns übrig? Wir müssen immerzu etwas Neues machen. Wenn wir es haben, nimmt es uns der Weiße und wir müssen uns wieder hinsetzten und von vorn anfangen. Unsere Musik, sehen Sie, das ist jetzt die Musik, die Sie heute abend gehört haben. Die haben die Weißen nicht. Noch nicht. Wer weiß, wie lange. Als wir hier anfingen, haben wir monatelang kein weißes Gesicht gesehen. Heute sind es schon drei. In einem halben Jahr werden es zwanzig sein.«
Diese Geschichte erschien in der ersten, 1953 veröffentlichten Ausgabe des »Jazzbuchs« von Joachim-Ernst Berendt. Es ist bis heute das weltweit meistverkaufte Buch über Jazz. Spätere Fassungen verzichteten dann auf diese Episode aus Los Angeles, die über die afroamerikanische Kultur als Motor der Popkultur des 20. Jahrhunderts alles sagt, was gesagt werden muss. Auch der heutige Hipster, der sich eben noch unbeobachtet glaubte, kann sich in ihr erkennen. Was für eine Mischung aus Bebop und Cool Jazz in dem dunklen Keller gespielt wurde, kann ich nur ahnen. Die deutsche Nachkriegspressung von Dizzy Gillespies »Oop Bop Sh’Bam« ist jedenfalls ein gewaltiger Bop-Hit, der sogar in den Ruinen Berlins einschlug.