Maßnahmen gegen Rassismus im Internet in Skandinavien

Virtuelle Trolle und reale Rassisten

Seit Anders Breiviks Massenmord wird in Skandinavien über die Gefahren rassistischer Blogs und anonymer Kommentare in Medienportalen diskutiert. Gegen ­Rassismus wird eine Veröffentlichung der Identität der Blogger und User allerdings kaum helfen.

Die E-Mail war anonym und deutlich. »Willst Du Prügel?« fragte der offenbar aus Schweden stammende Absender, bevor er ankündigte, dass er »einige Muslime engagieren« wolle, »die Dich vergewaltigen, wenn Du weiterhin daran zweifelst, dass der Islam und Muslime hinter den Vergewaltigungen stecken«. Dann drohte er nochmals: »Also hör auf, Dreck über Breivik zu erzählen, denn sonst bekommst Du Besuch.«
Die Drohungen bezogen sich auf ein Interview, das der schwedische Gewaltforscher Peter Gill der norwegischen Tageszeitung Vårt Land gegeben hatte. Gill, der einer Kommission zur Prävention von Amokläufen in Schulen angehört, hatte die Taten von Anders Behring Breivik in Zusammenhang mit gestiegenen Vergewaltigungszahlen in Oslo gebracht. Dort hatten sich die Zahlen der gemeldeten Vergewaltigungen, bei denen die Opfer von Unbekannten überfallen wurden, bis November 2011 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Sieben Täter wurden bislang verhaftet, etwa 50 konnten nicht gefasst werden, wobei die Kriminalpolizei davon ausgeht, dass es sich in einigen Fällen um Serientäter handelt.

»Es ist falsch, Breivik nur als einen einsamen Verrückten zu sehen«, hatte Gill im Interview gewarnt und darauf hingewiesen, dass die Taten Nachahmer auf anderen Gebieten finden könnten. Er gehe davon aus, dass die gestiegenen Vergewaltigungszahlen mit den Morden auf Utøya zusammenhingen: »In jedem von uns befinden sich Teile von Breivik – er hat diese Teile jedoch für sich alle zusammengesetzt und darauf hingearbeitet, seine Phantasien zu verwirklichen. Es wird norwegische Männer geben, denen Breivik imponiert – seine Taten können ein Trigger für andere sein, ebenfalls Grenzen zu übertreten.« Gill widersprach damit auch dem in Norwegen vorherrschenden Eindruck, dass die Vergewaltiger fast ausschließlich Migranten seien. Derzeit wird zwar ein mittlerweile nach Pakistan geflohener Mann verdächtigt, für einige der Taten verantwortlich zu sein, aber die Mehrzahl der Täter dürften trotzdem gebürtige Norweger sein.
Hass durch erfundene Geschichten über sexuelle Übergriffe von Migranten zu schüren, gehört schon lange zum Repertoire der von Breivik präferierten Blogs und Websites. Im Januar wurde beispielsweise die Geschichte verbreitet, ein elfjähriges Mädchen sei von mindestens 20 Asylbewerbern in einer Stockholmer Schwimmhalle vergewaltigt worden. Die Naziorganisation Nordisk Ungdom griff daraufhin ein in der Nähe gelegenes Flüchtlingsheim an, obwohl die zuständige Polizeibehörde mehrmals klargestellt hatte, dass die Geschichte pure Erfindung war. In seinem sogenannten Manifest hatte Breivik auf Seite 485 in Rassistenkreisen kursierende Falschmeldungen aufgegriffen und behauptet, dass in Oslo pro Einwohner fünf Mal so viele Vergewaltigungen geschähen wie in New York und zwei Drittel der Täter Migranten seien. Im vergangenen Jahr kam in New York statistisch eine Vergewaltigung auf 6 230 Einwohner, 2011 in Oslo eine auf 12 291. Von Fakten lassen sich Rassisten jedoch nicht ihre Weltanschauungen zerstören, erst recht nicht, wenn die falschen Angaben selbst in norwegischen Massenmedien – ohne Bezug zu Breivik – verbreitet werden: Auf »document.no«, einer der Plattformen, auf denen der Mörder besonders aktiv war, listet man immer noch jede mutmaßlich von einem Migranten begangene Vergewaltigung genüsslich auf, während Taten, die Norweger begingen, nicht erwähnt werden.

Inwieweit der Massenmörder daran beteiligt war, mit Fehlinformationen ausländerfeindlichen Hass zu schüren, könnte bald geklärt sein, ebenso die Frage, welche internationalen Verbindungen er hatte. Denn während sich zum Beispiel die Bestandteile seiner angeblich offiziellen Uniform als wahllos und für wenig Geld im Internet zusammengekaufter Trödel entpuppten, steht noch nicht ganz fest, zu welchen Gruppen oder Einzelpersonen er Kontakt hatte. Um Breiviks Leben im Internet möglichst gründlich zu erforschen, stellte die Osloer Polizei vor einiger Zeit Rechtshilfeersuchen an mehrere europäische Länder. Geklärt werden soll, ob auffällige Accounts, E-Mail-Adressen und Foren-Nicks von dem Norweger benutzt wurden und mit wem er sich vernetzte. Während Breivik Kommentare und Statements, die er für legal hielt, unter seinem echten Namen postete, scheint er für seine justiziable Hetze falsche Identitäten benutzt zu haben.
Nachdem Breivik verhaftet worden war, wurde nicht nur rassistischen Blogs größere öffentliche Aufmerksamkeit zuteil, sondern auch den Kommentarspalten der großen Medien, die bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend unmoderiert geblieben waren und in denen es von Hetze und Hass nur so wimmelte. Anders Heger, der Leiter des Verlags Cappelen Damm, brachte die Situation kurz nach Breiviks Morden auf den Punkt, indem er feststellte, in Norwegen habe man den »Kommentarfaschismus« nicht ernst genommen. Dabei hätte man gewarnt sein können.
Im Mai, also kurz vor den Attentaten, hatte bereits das Wissenschaftsportal »forskning.no« vor den eigenen Usern kapituliert und erklärt, dass es grundsätzlich unter Artikeln über den Klimawandel keine Kommentare mehr erlauben werde. Redakteurin Nina Kristiansen begründete diesen Schritt damit, dass eine Diskussion und ein Meinungsaustausch zwischen den Lesern nicht mehr möglich seien, da einige wenige rechtsextreme Verschwörungstheoretiker die Debatte mit »vielen und langen Beiträgen, die dazu auch noch unter jedem Artikel gepostet werden«, bestimmten und Neulinge regelrecht wegmobbten.
In einer gemeinsamen Initiative beschlossen im Spätsommer norwegische und schwedische Massenmedien, die Kommentarfunktionen stark einzuschränken. Um 98 Prozent der User müsse man sich gar keine Sorgen machen, zitierten die Zeitungen Erik Martin, den Hauptgeschäftsführer von Reddit, der auf einer Konferenz zum Thema Community-Management auch sagte: »Was man tun muss, ist, sich um die Arschlöcher kümmern, damit die die normalen Leute nicht vertreiben.« Zudem fragte er: »Warum sich Sorgen darüber machen, dass man diese Kommentare nicht länger erlaubt, wenn es ohnehin keinen ernsthaften Austausch dort gibt?«
Auch der norwegische Autor Eirik Newth hatte eine Zensur gefordert. »Die Netzmedien können den Sumpf, zu dem ihre Kommentarfelder geworden sind, nicht mehr austrocknen«, sagte er in einer Debatte der Zeitung Klassekampen. »In einem Land, in dem die Hälfte der Einwohner bei Facebook aktiv ist und zehn Prozent eigene Blogs betreiben, kann man nicht ernsthaft behaupten, dass die Meinungsfreiheit in Gefahr ist, wenn einige Kanäle geschlossen werden.«

Warum es als Allheilmittel gegen Nazis und Rassisten gilt, nur die Symptome, also in diesem Fall die Kommentare von Usern, und nicht die Ursache, nämlich den Rassismus, der ungehindert weiter grassiert, zu bekämpfen, wird wohl auf ewig das Geheimnis der beteiligten Medien bleiben. Zumal sich nicht viel geändert hat.
Egal, um welches Thema es geht: Es dauert nicht lange, bis diejenigen sich äußern, die man schon beim flüchtigen Lesen als Trolle ausmachen kann. Ob in Threads über den Zustand der norwegischen Straßen oder über internationale Politik, spätestens auf der zweiten Seite findet sich jemand, der »linke Infiltrationssoldaten« oder »schwarze Propaganda« am Werke sieht, allgemein beklagt, dass »die Berichterstattung über die wahren Ausmaße der Ausländerkriminalität unterdrückt wird« und Muslime dabei seien, gewaltsam das Land an sich zu reißen. Breivik würde in diesem rassistischen Wust nicht auffallen.