Die Nazi-Hochburg Zwickau sorgt sich um ihr Image

Zwickau is in Germany

Das Bundesland Sachsen gilt als Hochburg des organisierten Neonazismus. Die Unterzeichner des »Zwickauer Appells« sorgen sich vor allem um Sachsens Image.

Mit der Explosion einer Wohnung im Zwi­ckau­er Stadt­teil Wei­ßen­born begann am 4. November die Aufregung. Das Ereignis machte in der westsächsischen Stadt schnell die Runde, Hunderte Schaulustige fanden sich an diesem Tag hinter den Absperrungen der Polizei ein, um einen Blick auf das zerstörte Haus zu werfen. Seitdem bekannt wurde, dass die Explosion im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Selbstmord zweier Neonazis und ihrem terroristischen Treiben steht, gibt es nur noch dieses eine Thema in der Stadt. Die Rede von der »Zwickauer Zelle« oder dem »Zwickauer Trio«, das jahrelang mordend durch die Republik zog, ist auch in den deutschen Medien allgegenwärtig.

Dass dabei ausgerechnet eine sächsische Stadt der Ort war, von dem aus die Gruppe namens »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) operierte, ist keine Überraschung. Seit den neunziger Jahren gilt Sachsen zurecht als eine der Hochburgen des organisierten Neonazismus in der Bundesrepublik. In keinem anderen Bundesland sind Neonazis sowohl parteiunabhängig als auch in der NPD seit Jahren so gut organisiert. Die Zahl der neonazistischen Übergriffe auf andere Menschen ist seit vielen Jahren äußerst hoch. Dennoch schaffen es ausgerechnet die Politiker in Sachsen immer wieder, sich überrascht zu zeigen, wenn es einen gewalttätigen Übergriff oder gar Tote gibt. Zwickau ist da keine Ausnahme, die Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) veröffentlichte zusammen mit dem DGB Südwestsachsen etwa zehn Tage nach dem Bekanntwerden der Terrorgruppe einen »Zwickauer Appell für Demokratie und Toleranz«.
Die zentrale Aussage des »Zwickauer Appells« ist, dass »Zwickau keine Heimstätte rechtsextremen Terrors ist«. Diese Botschaft ist den Verantwortlichen wichtig, schließlich geht es um das Image der Stadt. Die DGB-Regionsvorsitzende Sabine Zimmermann sagte der Freien Presse: »Mit Zwickau hat das Ganze nichts zu tun!«

Inhaltlich ist der Appell so vage gehalten, dass ihn vom rechten Rand der sächsischen CDU über Kirche, Wohlfahrtsverbände, Sportclubs bis hin zu linken Vereinen offenbar jeder ohne Bedenken unterschreiben konnte. Es geht um »Betroffenheit«, »die Absage gegenüber braunem Gedankengut« und »Demokratie und Toleranz«. Unter den Unterzeichnern findet sich Michael Wilhelm, Staatssekretär im sächsischen Innenministerium, der als rechter Hardliner der CDU gilt. Vor wenigen Wochen erregte er noch die Aufmerksamkeit der Medien, weil er gemeinsam mit Findeiß auf einem Foto mit dem NPD-Kreisrat Jens Gatter posiert hatte. Entstanden war das Bild beim jährlich stattfindenden »Schwimmen für Demokratie und Toleranz«, an dem die NPD und ihre Jugendorganisation JN seit einigen Jahren teilnehmen. In diesem Jahr fand die Veranstaltung in Zwickau statt. Auch die sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Gitta Schüßler war unter den Gästen. Angesprochen auf das Foto, auf dem Wilhelm dem NPD-Mann die Schwimmurkunde überreicht, sagte der Staatssekretär der Zeit zufolge: »Dann müssen die Demokraten eben schneller schwimmen.« Schirmherr der Schwimmveranstaltung war Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), der gemeinsam mit dem Justizminister Jürgen Martens (FDP) ebenfalls zu den Unterzeichnern des »Zwickauer Appells« zählt. Beide sind verantwortlich für die großangelegte Überwachung der Proteste gegen Europas größten Naziaufmarsch im Februar in Dresden. Seit Ulbig und Martens im Amt sind, wurden sie nicht müde zu betonen, dass es stets um einen Kampf gegen jegliche Formen des Extremismus gehe und man nicht nur nach rechts schauen dürfe.
Auch der Oberbürgermeister von Limbach-Oberfrohna, Hans-Christian Rickauer (CDU), hat den Appell unterzeichnet. Er ist in den vergangenen drei Jahren zum Inbegriff für die sächsische Ignoranz gegenüber rechter Gewalt im ländlichen Raum geworden. Die Nazis in Limbach-Oberfrohna terrorisieren alle, die nicht ihren Vorstellungen entsprechen, verübten Körperverletzungen und Brandstiftungen (siehe Jungle World 27/11). Für den Oberbürgermeister sind das Streitigkeiten unter Extremisten, getreu dem Motto: Würden sich die einen nicht so liederlich anziehen, dann würden die anderen sie nicht angreifen.
Als prominenter Sportclub der Region hat der Oberliga-Fußballverein FSV Zwickau, vertreten durch seinen Präsidiumssprecher Gerhard Kneef, den »Zwickauer Appell für Demokratie und Toleranz« unterschrieben. Fans des Vereins sind Ende November bei einem Ligaspiel gegen die zweite Mannschaft von Erzgebirge Aue neben dem üblichen Skandieren antisemitischer und homophober Parolen durch den Sprechchor »Terrorzelle Zwickau – olé olé olé« aufgefallen. Nach der Partie sei aus der FSV-Mannschaftskabine zwischen den »Sieg«-Rufen mindestens einmal auch ein »Heil« zu vernehmen gewesen, wie das Präsidium in einer Stellungnahme zugibt. Der Staatsschutz ermittelt inzwischen wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Das Präsidium des FSV Zwickau schrieb auf seiner Website, dass man sich »gegen derartige Verunglimpfungen« verwahre. Man gehe davon aus, dass man das Problem des »Sieg-Heil«-Rufs eines Spielers mannschaftsintern ­lösen werde.

Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Appells trafen sich gemeinsam mit etwa 2 000 Menschen am 25. November in Zwickau zu einem »Marsch der Anständigen«, um das in solchen Fällen übliche »Zeichen zu setzen«. Unter den Anwesenden waren auch etwa 100 Teilnehmer der regionalen Antifa, die sich kritisch äußerten. Sie bezeichneten die Veranstaltung als »widerwärtiges Lehrbeispiel deutscher Schuldabwehr«, das in seiner »ekelerregenden Raffinesse« kaum zu überbieten sei. Zwickau ist laut Auskunft der regionalen Antifa-Gruppen »für Nazis seit vielen Jahren eine ausgezeichnete Adresse«. Im Jahr 2006 stattete der damalige NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt dem bereits damals gut etablierten Kreisverband einen persönlichen Besuch ab. Bis 2009 betrieb Peter Klose, der von 2006 bis 2009 für die NPD im Landtag saß, in Zwickau ein Bürgerbüro. Derzeit ist die Partei mit vier Abgeordneten im Kreisrat vertreten.
Doch auch die parteiunabhängige Szene ist in dem Ort hervorragend aufgestellt. So gibt es eine subkulturell geprägte NS-Hardcore-Szene rund um die Band »Moshpit«, eine Kameradschaft namens »Nationale Sozialisten Zwickau« sowie eine Reihe von Szeneläden und rechten Kampfsportveranstaltungen. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hätten eine bessere Heimstätte kaum finden können. Für Kameradschaft war gesorgt. Die regionale Naziszene ist über die Kanäle des »Freien Netzes« in überregionale Strukturen eingebunden. Gewalttätige Übergriffe von Neonazis stehen wie überall in Sachsen auch in Zwickau auf der Tagesordnung. Die Höhepunkte in diesem Jahr waren ein Überfall von etwa 40 Neonazis auf eine Demonstration für ein »Alternatives Jugendzentrum« im Mai und ein brutaler Angriff Dutzender vermummter Neonazis auf eine Gruppe Punks am Rande des Stadtfestes im August. Wenige Wochen vor Bekanntwerden der neonazistischen Terrorgruppe brach die Stadt Zwickau die Gespräche mit jungen Menschen über ein geplantes alternatives Jugendzentrum ab. Grund dafür war die Angst, dass Angriffe von Neonazis auf ein solches Jugendzentrum das Image der Stadt schädigen könnten.