Genderglück dank Lindy Hop

Berlin Beatet Bestes. Folge 126. Mülltüte: Schutt und Asche (2011).

Punk und Hardcore begleiten mich seit 30 Jahren. Meine Freundin hat mich in den letzten 14 Jahren nie begleitet, wenn ich in die Clubs gegangen bin. »Viel Spaß bei deinem Kellerkonzert«, sagte sie immer und ließ mich alleine ausgehen. Die Nächte verbrachte ich mit gleichgesinnten Jungs. Punk und Hardcore, die Musik und die Szene sind weitgehend eine Jungsangelegenheit. Es ist nicht so, dass ich mir das wünsche oder glaube, dass es so sein sollte. Selbstverständlich gibt es auch Frauen, die Hardcore-Punk mögen, aber sie sind nun mal in der Minderheit. Wo Männer unter sich sind, setzt sich ein typisches Männerverhalten durch, auch in der Punkszene. Die Frauen, die da mitmischen, müssen sich arrangieren mit groben Sprüchen, Saufgelagen und Brutalpogo. Vor allem aber mit der ständigen Protzerei: Wer hat die neuesten Scheiben, den höchsten Iro und die härtesten Stories. Es ist nicht nur eine Männerszene, es ist eine Jungmännerszene. Junge Männer, die sich gegenseitig beweisen müssen, wer der Tollste ist. Das nervt schon in der Restwelt, in der eigenen kleinen Subkultur ist es nicht auszuhalten. Ein Grund dafür, dass es in der Punkszene nur vereinzelt ältere Männer und fast keine älteren Frauen gibt. Ich habe jahrelang jeden Punk, den ich getroffen habe, auf den Hauptwiderspruch der Punkszene, das Geschlechterverhältnis, hingewiesen. Über Sexismus und sexistisches Verhalten wird zwar immer wieder diskutiert, grund­legend ändern tut sich allerdings nichts.
Seit ich mit meiner Freundin Lindy Hop tanze, gehen wir gemeinsam aus. Frauen sind in der Swingtanzszene in der Mehrheit. Grobe Sprüche gibt es nicht. Außer vielleicht von meiner Freundin, die einen krassen Humor hat. Gesoffen wird in der Swingszene auch nicht. Lindy Hop ist Sport, und Sport und Saufen gehen nicht zusammen. Von Brutalpogo ist Lindy Hop sehr weit entfernt, dennoch schwitze ich beim Tanzen jetzt viel mehr, als ich je auf einem Punkkonzert geschwitzt habe. Vier T-Shirts schwitze ich am Abend locker durch. Im Lindy Hop als Partnertanz liegt eine unverbindliche Intimität, die mein Frauenbild verändert hat.
Ein Reflex, den ich nicht ablegen kann, ist es allerdings, die Faust unwillkürlich in die Luft zu strecken, sobald ich guten Hardcore-Punk höre. So unlängst im Punk-Plattenladen, als ich die neue EP von Mülltüte, einem Hardcore-Punk-Duo aus Berlin, gehört habe. Es ist eine schöne, selbstproduzierte Platte, die ich sehr empfehlen kann.
»Sie haben dich erwischt/ Sie kamen in der Nacht/Schergen haben deine Bude plattgemacht/Du liegst in deiner Zelle/In deinem Blut/Keiner hört die Schreie/Voller Hass und voller Wut/Einer von uns/Hunderte von euch/Eure Welt wird brennen/Ihr seid hier nicht mehr sicher (…) Der Kampf geht weiter/Für alle, die noch sitzen/Eure Knäste zu Schutt und Asche.«