»The Texas Chain Saw Massacre« darf nach 30 Jahren auch in Deutschland ungekürzt vertrieben werden

Kreatives Schneiden

Jahrzehntelang war Tobe Hoopers legendärer Horrorfilm »The Texas Chain Saw Massacre« in Deutschland beschlagnahmt. Jetzt ist damit Schluss. Vielleicht wird er künftig sogar als Kunst entdeckt.

Dass die radikale Kunst die verbotene ist, während die Werke, die zum Kanon gehören, dorthin nur gelangen konnten, weil sie die herrschende Ideologie widerspiegeln, war schon immer nur ein bisschen richtig und eben deshalb falsch. Ein Blick auf die Funktion der Zensur im westlichen Horrorfilm macht das deutlich. Zahllose bis heute verbotene oder zumindest indizierte Folter- und Menschenfresserfilme sind tatsächlich Exploitation, bloße Spekulation auf die barbarischen Bedürfnisse des Publikums. Ob sie der Öffentlichkeit künftig zugänglich gemacht werden oder nicht, dürfte für den Fortschritt der menschlichen Freiheit keine entscheidende Rolle spielen. Und umgekehrt war es gerade die verhältnismäßige Strenge der damaligen Zensurbestimmungen, die etwa Alfred Hitchcock 1959 dazu angeregt hat, für die Duschmordszene in »Psycho« eine raffinierte Schnitttechnik zu entwickeln, die die explizite Darstellung der Gewalt aussparte und der Phantasie der Zuschauer überließ. Zensur und Indizierung sind im Horrorfilm also nicht von vornherein Gütesiegel, ebenso wie unter den Filmen des Horrorkanons viele der besten sind, die das Genre kennt.
Ohnehin macht es den Reiz von Horrorfilmen aus, dass ihr Konsum zumindest den Anschein des Verbotenen hat. Wie man als Kind heimlich unter der Bettdecke Bücher las, so schaute man sich als Jugendlicher im Schutz der Dunkelheit Horrorfilme an. Die Gefahr, die ihnen nachgesagt wird, speist sich aus ihrer Funktion als pubertätsbegleitende Abendunterhaltung. Die seit den siebziger Jahren aufkommenden Slasherfilme wie »Halloween«, »Freitag, der 13.« oder »Nightmare on Elm Street« ziehen daraus die Konsequenz. Die Teenager, die sich in ihnen mit gruseligen Serienkillern herumschlagen müssen, sind Stellvertreter ihres jugendlichen Publikums, in dem Außenseiter und Frühreife, Bad Guys, Nesthäkchen und Nerds nebeneinandersaßen. Dass diese Filme keine »Kunst« sein wollten und nicht kritisch, sondern identifikatorisch betrachtet wurden, war kein Makel, sondern selbstverständlich. Gerade weil sie keine ästhetischen Ambitionen hatten, wurden sie Teil einer populären Mythologie. Leatherface, Freddy Krüger, Jason, Mike Myers, Pinhead, Chucky – sie alle sind Filmfiguren, die auch kennen kann, wer die dazugehörigen Filme nicht kennt.
Hierzulande konnten viele Filme dieses Genres allerdings lange Zeit gar nicht oder nur in arg verstümmelten Versionen gesehen werden. Der wohl berühmteste dieser Streifen ist »The Texas Chain Saw Massacre« (»Blutgericht in Texas«) von Tobe Hooper aus dem Jahr 1974, dessen bundesweite Beschlagnahmung im vergangenen September vom Landgericht Frankfurt am Main nach beinahe 30 Jahren aufgehoben wurde und der vom kommenden Frühjahr an möglicherweise auch hierzulande ungekürzt vertrieben und beworben werden darf. Der Vertrieb Turbine Medien, der die Rechte am Film innehat und durch dessen Einspruch gegen die Beschlagnahmung der jüngste Gerichtsbeschluss zustandekam, bemüht sich jedenfalls um eine vollständige Streichung vom Index. Die berühmteste Figur des Films, Leatherface, ein mit menschlicher Gesichtshaut maskierter Schlächter, ist eine der Urgestalten des Slasher-Genres. Diesen Film zu sehen, galt daher schon immer als Muss für Horrorfilmfans. Doch wer nicht bereits im Besitz einer Fassung des Films war – besitzen durfte man ihn, einführen, vertreiben, verkaufen, verleihen oder öffentlich vorführen jedoch nicht –, der war womöglich sogar enttäuscht: Das soll es gewesen sein? Deshalb machen die so ein Theater?
Die Story erscheint vielen heutzutage vermutlich so simpel wie abgedroschen. Fünf junge Menschen machen einen Ausflug in die texanische Provinz. Dort stoßen sie auf eine Familie einheimischer Hinterwäldler, die die Teenager einen nach dem anderen grausam ermorden. Übrig bleibt Sally, das blonde »Final Girl«, das nach viel Gekreisch und Nachts-durch-den-Wald-Fliehen ihrem Schlächter in letzter Sekunde entkommt. Wer in einen beliebigen DVD-Handel geht, findet ohne langes Suchen ein Dutzend Filme, die einem ähnlichen Plot folgen. Doch die Geschichte, die heute so vertraut wirkt, war 1974 noch neu, und das macht sie interessant. Zuvor gab es zwar Sam Packinpahs »Straw Dogs« (»Wer Gewalt sät«, 1971) und John Boormans »Deliverance« (»Beim Sterben ist jeder der Erste«, 1972), die das tödliche Zusammentreffen von Stadtmenschen mit Hinterwäldlern thematisieren, doch beide sind eher dem Thriller- und Abenteuergenre verwandt. Erst mit »The Texas Chain Saw Massacre« wurde das amerikanische Hinterland, bewohnt von potentiell mörderischen Rednecks, zu einer Gefahrenquelle im Horrorfilm. Damit ist der Film ein frühes Beispiel der »Backwood«-Filme, in denen Städter mit dem Schrecken des zivilisatorisch zurückgebliebenen Landlebens konfrontiert werden und zu deren neueren Varianten »Wrong Turn« (2003) oder der australische Film »Wolf Creek« (2005) zählen.
Als Splatterfilm kann »The Texas Chainsaw Massacre« allerdings kaum bezeichnet werden, denn platzende Köpfe, abgesägte Gliedmaßen und ähnliches kommen darin nicht vor. Die blutigste Szene gibt es relativ früh zu sehen: Ein Anhalter (der später als Mitglied der Mörderfamilie wieder auftaucht) wird von den Jugendlichen in ihrem Kleinbus mitgenommen, dort schneidet er sich mit einem Messer selbst in die Hand und lässt sich fasziniert das Blut über den Arm laufen. Kurz danach schneidet er dem im Rollstuhl sitzenden jungen Franklin mit einem Rasiermesser in den Arm. Danach begnügt sich der Film mit Andeutungen. Obwohl Köpfe mit einem Hammer eingeschlagen, ein Mensch an einem Fleischerhaken aufgehängt und die Opfer mit einer Kettensäge zerlegt werden, wird die explizite Gewalt, Hitchcocks Beispiel folgend, meist ausgespart und der Horror durch die geschickte Montage andeutender Bilder erzeugt. Aus heutiger Sicht wirkt der Film sehr einfach produziert und stellenweise vielleicht sogar zäh. Teils ist der Eindruck des Dilettantismus wohl beabsichtigt, teils aber auch dem geringen Budget geschuldet. Unter den B-Movies des Genres gehört der Film zwar zu den professionelleren, hier gibt es weder grottenschlechte Dialoge noch miese schauspielerische Leistungen zu sehen. Dennoch entspricht er kaum den Erwartungen der an Filmen wie »Saw« und »Hostel« geschulten Horrorfilmfans heutiger Tage. Das Bildmaterial ist ungewohnt grobkörnig und erscheint bewusst billig. Diesen Effekt hat Hooper erreicht, indem er auf 16mm-Material drehte, statt die für Kinofilme üblichen 35mm zu verwenden. Erst im Nachhinein wurde das Mate­rial auf Kinoformat vergrößert. Die Erzählweise ist wesentlich ruhiger, als wir es vom heutigen Horrorfilm kennen, Hooper lässt sich bei manchen Sequenzen viel Zeit, um etwa das mit Federn, Knochenmöbeln, Knochenmobiles und einem lebenden Huhn in einem viel zu kleinen Käfig grauenhaft liebevoll ausgestattete Heim der Schlachterfamilie zu zeigen.
Wenn nach der Beschlagnahmung demnächst auch die Indizierung aufgehoben werden sollte, würde damit also ein Film rehabilitiert, der selbst schon historisch ist – nicht zuletzt, weil er im Museum of Modern Art in New York archiviert ist. Bleibt die Frage, was ihn noch immer zu einem bedeutenden Film macht. Vielleicht sind es gerade jene Züge, die ihn aus aktueller Sicht altmodisch und dilettantisch erscheinen lassen. Zunächst muss man ganz einfach die Lust und Geduld mitbringen, sich auf einen Horrofilm aus den siebziger Jahren und die relative Ruhe seiner Bilder einzulassen. Die damals ungewöhnlichen, extremen Close-ups, der Wechsel zwischen greller Helligkeit bei den Außenaufnahmen und dem Dunkel der Innenräume und der nächtlichen Szenen sowie die Klang- und Geräuscheffekte, die weitaus wichtiger sind als die Filmmusik (im Finale stoßen alle Protagonisten minutenlang ununterbrochen Schreie aus), tragen mehr zur beklemmenden Atmosphäre bei als die Gewaltdarstellungen. Auf einer großformatigen Leinwand wirkt besonders die Anfangssequenz beeindruckend. Untermalt von verstörenden Geräuschen, ist zuerst nur Schwarz zu sehen, aus dem, wie von einem Foto­blitz­licht angestrahlt, für Millisekunden verrottete Leichenteile aufleuchten. Von einem Nachrich­tensprecher werden wir dann über eine Friedhofsschändung informiert. Dieser Beginn suggeriert, die Darstellung authentischer Geschehnisse vor Augen zu haben.
Was an »The Texas Chain Saw Massacre« immer noch überzeugt, ist gerade die Einfachheit. Die Erzählung ist geradlinig und klar strukturiert, es gibt keine störende Liebesgeschichte, die Beziehungen der Figuren untereinander werden zwar angedeutet, auf die Darstellung psychologischer Entwicklungen über den Horrorfilmplot hinaus wird aber verzichtet. Und mit philosophisch tiefgründigem Geschwätz werden die Zuschauer großzügig verschont, es gibt auch keine moralische Erklärung dafür, dass es genau diese Jugendlichen trifft. Der Film konzentriert sich ganz darauf, den Schrecken und den Wahnsinn einer durchgeknallten Schlachterfamilie im tiefsten texanischen Hinterland sinnlich erfahrbar zu machen. Die vermeintlich brutalen (und auch von der FSK beanstandeten) Szenen zeigen weit weniger explizite Gewalt, als man erwarten könnte. Zwei bekannte Sequenzen sind besonders aufschlussreich. In der ersten wird eine der Protagonistinnen von Leather­face an einem Fleischerhaken aufgehängt. Zu sehen ist der Metallhaken, dann Leather­face, der die Frau hochhebt – der Haken selbst wird von ihrem Rücken verdeckt. Danach zeigt die Kamera nur noch ihr schmerzverzerrtes Gesicht. Ähnlich ist es, als Franklin im Wald zerteilt wird. Das Opfer ist von hinten zu sehen. Der Augenblick, in dem die Ketten­säge Franklin trifft, ist für den Zuschauer jedoch nicht zu sehen. Einzig die Blutspritzer auf Leather­faces Hand und die Schreie von Franklins Schwester geben Aufschluss über das bru­tale Geschehen. Die Bilder, die die Zensurbehörden beanstandeten, entstanden auch hier im Kopf der Betrachter.
Nicht zuletzt ist »The Texas Chain Saw Massacre« ein wichtiger Film, weil mit Leatherface das »Creative Killing«-Konzept etabliert wurde, das die Regisseure späterer Horrorfilme zur Kreativität bei der Erfindung ungewöhnlicher Mordwerkzeuge animiert hat. Die Kettensäge, deren Geräusch den Soundtrack des Films bestimmt und die sich in der Schlussszene in den Händen von Leatherface verselbständigt, um ihn zu einem irrwitzigen Tanz im Morgengrauen zu nötigen, ist dennoch bis heute singulär. Nicht nur im Horrorfilm, sondern auch im Inventar der Schlachterfamilie, die noch immer darum trauert, nicht mehr mit dem guten alten Hammer zuschlagen zu dürfen, ist sie eine Innovation.
Dass Leatherface am Ende eher von der Säge geführt wird, statt sie zu führen, unterstreicht die tragikomische Dimension dieser Gestalt, deren wirkliches Gesicht wir nie zu sehen bekommen. Dicklich, vom Typus her eher weiblich, der Sprache offenbar nicht mächtig, wird er von seinen Brüdern fast wie ein Haustier gehalten. Eine derart abgründige – eben nicht nur erschreckende – Figur in wenigen Strichen zu zeichnen, ohne sie mit intellektuellen Erklärungen zu überfrachten, konnte wohl nur einem Film gelingen, der keine Kunst sein wollte. Würde er im Nachhinein dazu gemacht, ginge ein wichtiger Teil seiner Faszination verloren.