Über die Brandanschläge in Völklingen

Völklinger Volksfront

Angesichts der schweren Ermittlungsfehler im Fall der neonazistischen Terrorgruppe aus Zwickau erscheint nun auch eine Serie von Anschlägen im Saarland in einem anderen Licht.

In der Nacht vom 4. auf den 5. August 2007 brannte es im saarländischen Völklingen in kurzen Abständen dreimal hintereinander. Die Ursache war jeweils Brandstiftung. Die Opfer, die wie Recep Ünsal und seine Familie zum Teil nur durch Glück mit dem Leben davonkamen, waren größtenteils türkischer Herkunft. Sie gehören zu den Betroffenen einer Brandserie, die zwischen 2006 und 2011 insgesamt über 20 Verletzte gefordert hat. Obwohl die Mehrzahl der Opfer einen Migrationshintergrund hat, schlossen die Ermittler bei den elf bis heute unaufgeklärten Bränden ein rassistisches Motiv aus – zum Teil schon nach zwei Tagen.

Seit kurzem scheint sich die Beurteilung der Brandstiftungen jedoch zu ändern. Anlass dafür sind ein Artikel der Saarbrücker Zeitung, in dem das Verhalten der Behörden deutlich kritisiert wurde, und das Auftauchen der zwölften »Bekenner-DVD« des Zwickauer Trios, die Ende November unfrankiert bei der islamischen Gemeinde Völklingens einging. Seither wird ein rechter Hintergrund der Brandanschlägen erstmals wirklich in Betracht gezogen. Eine eigens eingerichtete Sonderermittlungsgruppe, die Informationen von Polizei und Justiz bündeln soll, rollt derzeit eine Vielzahl alter Fälle wieder auf. Hierzu gehört auch der Anschlag auf die Wehrmachtsausstellung 1999, für den mittlerweile eine direkte Tatbeteiligung des NSU angenommen wird. Dass die Zwickauer Zelle auch hinter den Brandanschlägen in Völklingen stecken könnte, gilt bislang aber als unwahrscheinlich.
Was – dank der Medien – bisher über die früheren Ermittlungen an die Öffentlichkeit gedrungen ist, ist durchaus skandalträchtig. Während ein ausländerfeindlicher Hintergrund ausgeschlossen wurde, gerieten einmal mehr die Opfer selbst in Verdacht: Eine »Vertrauensperson« des LKA bezichtigte Recep Ünsal, den Brand selbst in Auftrag gegeben zu haben. Das Motiv sei angeblich ein geplanter Versicherungsbetrug. Ünsal und seine Familie wurden daraufhin monatelang überwacht, Telefone wurden abgehört und Kontobewegungen kontrolliert – ohne Ergebnis. Das Vertrauen des LKA in die absurden Verdächtigungen des V-Mannes wurde weder dadurch erschüttert, dass Ünsal nicht einmal im Besitz einer Hausratsversicherung war, es finanziell also wenig lukrativ gewesen wäre, sein eigenes Hab und Gut abzufackeln, noch dadurch, dass er mit dem Brand seine eigene Familie in Lebensgefahr gebracht hätte.

Der Jungle World sagte Thomas Lomberg, der Anwalt Ünsals, dass der V-Mann nicht nur seinen Mandanten, sondern zugleich eine ganze Reihe weiterer Personen türkischer Herkunft bezichtigt haben soll, zukünftig nach ähnlichem Muster Versicherungsbetrug begehen zu wollen. Dabei sollten die Brände ebenfalls in kurzen Abständen gelegt werden, um den Verdacht auf die Naziszene zu lenken. Dass die Ermittler diesen Verdächtigungen offenbar vorbehaltlos Glauben schenkten und neben Ünsal auch die anderen fälschlicherweise Beschuldigten telefonisch überwachen ließen, ist für Lomberg absolut unverständlich. Er vermutet, dass der V-Mann selbst der Naziszene angehört und den Verdacht absichtlich auf die Opfer lenken wollte.
Nicht minder dubios ist das anschließende Verhalten der Ermittler: Nach der Übergabe der Telefonüberwachungsakte an Ünsal erstattete sein Anwalt im Jahr 2009 Strafanzeige wegen falscher Verdächtigung. Was aus der Anzeige geworden ist, war Lomberg, der nie eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft erhalten hat, bis Ende vergangener Woche allerdings unbekannt. Nun gab auf einmal die Staatsanwaltschaft gegenüber der Presse bekannt, das Verfahren sei ohne Ergebnis eingestellt worden. Es habe angeblich keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der V-Mann bewusst falsche Angaben gemacht habe. Das Vertrauen in die lokalen Behörden scheint Rechtsanwalt Lomberg mittlerweile verloren zu haben. Angesichts der Ungereimtheiten fordert er nun öffentlich »externe Ermittlungen«.
Die Kritik an der desolaten Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft teilen der Völklinger Oberbürgermeister Klaus Lorig und die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU) nicht. Sie sehen bislang keinerlei Ermittlungsfehler. Dem saarländischen Rundfunk sagte Kramp-Karrenbauer, dass man zunächst die laufende Untersuchung abwarten müsse. Die Ministerpräsidentin gibt sich derzeit gern als oberste Aufklärerin – ungeachtet der Tatsache, dass sie als ehemalige Innenministerin für das Fehlverhalten der Behörden auch selbst politische Verantwortung trägt.

Dass erst jetzt, unter großem medialen Druck, nach rechten Tätern gefahndet wird, ist angesichts der Völklinger Zustände schwer verständlich. Der Antifa Saar zufolge ist der Ort seit Jahren ein beliebtes Aufmarschgebiet von Neonazis, die im Stadtbild deutlich präsent sind. Zudem sitzen zwei Abgeordnete der NPD im Stadtrat, darunter mit dem Landesvorsitzenden Frank Franz ein Mitglied des Bundesvorstands.
Die Linkspartei, damals noch nicht im Rat vertreten, forderte schon am 6. August 2007 in einem Flugblatt, »nach rechten Hintergründen (zu) ermitteln«. Eine Reaktion von Polizei und Stadtverwaltung habe es jedoch nicht gegeben, sagt Patric Bies, der Sprecher der Völklinger Linken, der Jungle World. Für ihn ist der Rechtsextremismus in der Stadt durchaus struktureller Natur. Bis vor kurzem habe es seitens der CDU »keinerlei Distanzierung« von der NPD gegeben. Vielmehr, sagt Bies, befinde sich die CDU um Bürgermeister Klaus Lorig mit der NPD in einer Art informellen Koalition, in der die CDU zur Umsetzung politischer Vorhaben gerne die Stimmen der NPD in Anspruch nehme. In der Vergangenheit habe Lorig auch nichts dagegen gehabt, gemeinsam mit der NPD am »Volkstrauertag« Kränze niederzulegen und sich dabei mit dem NPD-Funktionär Harry Kirsch fotografieren zu lassen.
Solidarität mit den Opfern der Brandanschläge gab es hingegen kaum. Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, übergab die sich bedroht fühlende türkische Gemeinde im Jahr 2008 eine Liste mit 850 Unterschriften an die Stadtverwaltung. Die einzige Reaktion der CDU war die Bekundung, ihr vermeintlich bewährtes »Integrationskonzept« fortsetzen zu wollen. Zu diesem Konzept gehört offenbar auch, dass sich 2004 kein einziges Völklinger CDU-Mitglied dazu bereitfand, einen unter anderem von der Evangelischen Gemeinde mitgetragenen Aufruf gegen Rassismus zu unterzeichnen.
Mittlerweile hat die CDU allerdings doch noch ein Papier unterschrieben. Am 8. Dezember verabschiedeten alle Fraktionen des Völklinger Stadtrats bis auf die NPD eine Resolution gegen rechte Gewalt. Die CDU stimmte jedoch erst zu, nachdem auf Betreiben ihres Fraktionsvorsitzenden Stefan Rabel sichergestellt war, dass sich der Aufruf gegen den »Rechtsextremismus« wenden würde – und nicht gegen »rechts«.