Oliver Schott sucht nach einer rationalen Antwort auf die Frage des Weltuntergangs

Apocalypse now!

Sollte 2012 tatsächlich die Welt untergehen, wäre dies nur aus einem Grund zu beklagen: Das Ende käme viel zu spät.

Der Weltuntergang ist nicht gut beleumundet, erst recht unter Linken. Ist das nicht ein Thema für Esospinner und religiöse Fundamentalisten? Und wer befürwortet denn gar den Weltuntergang, außer einigen überaus unsympathischen Leuten, die sich danach sehnen, die Ketten der politischen Korrektheit abzuwerfen, in die sie sich vom vermeintlich linksliberalen Zeitgeist gelegt wähnen, Leute, die Frank Miller toll finden oder Lars von Trier für einen brillanten Kritiker der conditio humana halten? Bedenken gegen die Auslöschung der Menschheit – die mit dem Begriff »Weltuntergang« ja eitlerweise primär gemeint ist – sind durchaus verständlich. Bei »Auslöschung« denkt man schließlich nicht an Marx oder Gandhi, sondern an Hitler oder Darth Vader.

Und wer die Vernichtung der Menschheit befürwortet, nimmt auch die Vernichtung der Juden billigend in Kauf. Denn Juden sind ja Menschen. Zu dieser Konsequenz will man sich selbstverständlich ungern bekennen, aber man sollte bei solch wichtigen Fragen nicht rein affektiv reagieren, sondern nüchtern und ernsthaft nach einer rationalen Antwort suchen.

Wer, wie Goethe einst forderte – woran sich freilich heute niemand mehr erinnert außer ein paar verkniffenen Studienräten und Waldorfschülern –, wer also, wie Goethe forderte, sich von dreitausend Jahren Rechenschaft zu geben weiß, der muss schlicht zugeben: Das Projekt Menschheit ist gescheitert. Aus, vorbei, Klappe zu, Katze tot. Nach dem 20. Jahrhundert können nur noch Verrückte und Ahnungslose an den moralischen Fortschritt der Menschheit glauben. Die Zukunft wird das bringen, was sie immer gebracht hat: nichts als die endlose Wiederholung desselben Elends auf stets höherem technischem Niveau. Irgendwann muss man aufhören mit dem Träumen, kindische Hoffnungen fahrenlassen und einsehen, dass ein Ende mit Schrecken besser ist als ein Schrecken ohne Ende (W. Churchill).

Eine bessere Welt, ein schöneres Leben kann leider nicht ermöglicht werden ohne die vorhergehende Elimination all der Idioten, Heuchler, Selbstgerechten und sonstwie Verderbten. Wenn aber die Geschichte eines lehrt, dann, dass kein Mensch – nicht einmal ich – und keine menschliche Institution der Aufgabe gewachsen ist, korrekt zwischen zu eliminierenden und nicht zu eliminierenden Menschen zu unterscheiden. Intellektuelle Bescheidenheit und die Tugend der Demut fordern daher, auf jegliche Selektion zu verzichten und die Menschheit im Ganzen auszurotten.

Der entscheidende Test dafür, ob der Weltuntergang wirklich eine gute Idee ist, besteht natürlich in der Frage, ob Adorno dafür gewesen wäre. Ich bin da zuversichtlich. Denn schon Horkheimer rühmte Adorno für dessen Hass auf das Bestehende. Bei Adorno selbst äußert sich dieser Hass philosophisch in dem unnachgiebigen Streben nach Negativität. Selbst die Negation der Negation war ihm nicht negativ genug. Wichtig ist dabei, wie jeder Adorno-Adept weiß, der Unterschied zwischen bestimmter Negation (gut) und unbestimmter Negation (schlecht). Eine negativere und bestimmtere Negation als der Weltuntergang, also die konkrete Vernichtung alles Bestehenden, ist aber schlechthin unmöglich. Adorno hat diese Konsequenz freilich nicht explizit gezogen. Er war ein sanftmütiger Mensch und versuchte, sich darum (oder besser: darum sich) zu drücken, den Stab über die Menschheit zu brechen. Wie viel Mühe ihn das kostete, erkennt man daran, wie schwer verständlich die Texte sind, die dabei herauskamen.

Versteckte Hinweise finden sich aber – wenn man nur sucht – zahlreich, etwa in Adornos Verteidigung der Theologie, der er zugute hielt, ein ansonsten verschüttetes Glücksversprechen zu bewahren. Der Anbruch des Glücks, das die Theologie verspricht, ist aber bekanntlich die Apokalypse. Man könnte auch sagen: Die Vergöttlichung des Menschen im Sinne der negativen Theologie besteht in der Aufhebung des Menschen in Form seiner Selbstauslöschung. Oder man betrachte zwei andere Lehrsätze der abrahamitischen Religionen, die Adorno und Horkheimer teuer waren: Einerseits sei der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen, andererseits sei es strikt verboten, ein Bildnis Gottes anzufertigen. In diesem Paradox ist die dunkle Einsicht verschlüsselt, dass es doch nicht so gut war, was Gott kurz vor dem Wochenende mit dem Lehmklumpen gemacht hat. Generell muss man die religiöse Überlieferung gegen den Strich bürsten, um ihre wahre Botschaft zu erkennen. Dass Gott die Menschheit bei der Sintflut nicht auslöschte, war keineswegs Ausdruck seiner Gnade. Es war vielmehr seine Strafe. Und in Gethsemane sagte sich Jesus angesichts der Menschheit, die er erlösen sollte: Nein – da lasse ich mich lieber ans Kreuz schlagen.