Die Blue Card soll Fachkräfte nach Deutschland locken

Die Blauen ins Töpfchen

Nun hat auch die Bundesregierung die Blue Card eingeführt, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Mit der Zuwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte aus dem außereuropäischen Ausland will man sich Investitionen in die eigene Ausbildungsstruktur ersparen.
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Deutschland hat ein Problem: Dem Land gehen die Fachkräfte aus. Händeringend suchen die High-Tech-Unternehmen zwischen Garmisch-Partenkirchen und Flensburg nach neuen und gut ausgebildeten Ingenieuren. Auch auf dem Markt für Mathematiker oder Ärzte rufen Unternehmen und Krankenhäuser immer häufiger ins Leere, wenn sie eine entsprechende Anstellung annoncieren. Dieser offenbar wachstumshemmende Umstand, der auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten ist, hatte die Europäische Kommission 2009 zum Handeln beweogen: Sie erließ eine Richtlinie zur Einführung einer europäischen »Blue Card« – einer Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis für Menschen aus Staaten außerhalb der EU – in den jeweiligen EU-Ländern. Nach Jahren heftiger Auseinandersetzungen zwischen der Kommission und dem größten EU-Mitgliedsland Deutschland, das sich gegen die Umsetzung der Verordnung sträubte, wurden zu Beginn dieses Jahres neue Einwanderungsgesetze von den beiden deutschen Gesetzeskammern gebilligt. Durch die Einführung der Blue Card auch in Deutschland eröffnet sich nun für hochqualifizierte Fachkräfte aus dem außereuropäischen Ausland ein Weg in die Bundesrepublik.

Bereits 2007 hatte die EU-Kommission einen Vorschlag erarbeitet, wie es hochqualifizierten nichteuropäischen Arbeitnehmern ermöglicht werden sollte, in der EU eine entsprechende Anstellung zu finden. Der damalige EU-Kommissar für Justiz, Freiheit und Sicherheit, Franco Frattini, Mitglied von Berlusconis Partei »Volk der Freiheit«, wollte mit der Einführung der europäischen Blue Card bis zu 20 Millionen besser qualifizierte Einwanderer nach Europa locken. Seine Pläne stießen zumindest bei den deutschen Konservativen auf wenig Gegenliebe. So sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Grindel über die Initiative des Kommissars: »Frattinis Vorschlag verstößt eindeutig gegen den europäischen Verfassungsvertrag.« Dort sei ausdrücklich geregelt, dass die EU für Fragen des Arbeitsmarkts nicht zuständig sei. »Der Zugang zum Arbeitsmarkt muss Sache der nationalen Regierungen bleiben«, forderte Grindel damals. Darüber hinaus warf er Frattini vor, dieser wolle das Problem, das Italien mit den afrikanischen Bootsflüchtlingen hat, auf dem Umweg über die EU entschärfen. Dieser Vorwurf kann nun als hinfällig betrachtet werden. Denn die Kriterien zum Erhalt der in Deutschland eingeführten Blue Card dürften für den durchschnittlichen Bootsflüchtling aus einem afrikanischen Land kaum zu erfüllen sein.
So können sich diejenigen, die an einem Arbeitsplatz in Deutschland interessiert sind, auf Positionen in der deutschen Industrie bewerben – sofern diese Arbeitsplätze ein Bruttojahreseinkommen von mindestens 48 000 Euro einbringen. Verläuft die Bewerbung erfolgreich, wird eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, die auch den Familienzuzug gestattet. Zusätzlich hat die Regierung sogenannte Mangelberufe definiert. Wer als Ingenieur oder Arzt nach Deutschland kommen möchte, wird bereits mit einem nachweislich zu erwartenden Jahreseinkommen von 33 000 Euro willkommen geheißen.

Sollte jedoch der Besitzer einer Blue Card innerhalb von drei Jahren nach seiner Einreise auf Sozialtransferzahlungen angewiesen sein, muss er das Land sofort verlassen – eine Regelung, die insbesondere von der CSU hervorgehoben wird, um die Zuwanderung von Ausländern gegenüber ihrer Klientel zu rechtfertigen. So ließ der Vorsitzende der »Projektgruppe Integration« von der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Frieser, die Presse wissen: »Eine unerwünschte Zuwanderung in die Sozialsysteme wird alleine dadurch unterbunden, dass die mit der Blue Card verbundene unbefristete Niederlassungserlaubnis innerhalb der ersten drei Jahre automatisch erlischt, falls der Karteninhaber Sozialgelder bezieht.« Wer es jedoch »durch Leistung zu etwas bringen will«, ist willkommen – wenn er Erfolg hat.
Für die Leiterin des Arbeitskreises Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland, die Sozialdemokratin Ursula Engelen-Kefer, geht die Gesetzesänderung in die falsche Richtung. So gebe es trotz des erheblichen Zuwachses bei der Beschäftigung immer noch eine viel zu hohe Arbeitslosigkeit, die gerade bei Menschen im höheren Alter und bei Behinderten erneut drastisch angestiegen sei. Ihres Erachtens ist ein großer Teil des Fachkräftemangels hausgemacht. Ein mangelhaftes Ausbildungssystem und unzumutbare Arbeitsbedingungen seien mitverantwortlich dafür, dass in vielen Bereichen keine ausreichende Anzahl an geeigneten Bewerbern gefunden werden könne. Zwar zeichne sich nun in der Politik der Regierungskoalition allmählich eine Wende ab, die zu begrüßen sei, doch könne diese nur Erfolge zeitigen, wenn sie auch den Umgang mit allen benachteiligten Menschen betreffe. So müssen Engelen-Kefer zufolge auch die Beschäftigungschancen der Arbeitslosen in der Bundesrepublik verbessert werden.

Dass es der Bundesregierung gelungen ist, endlich eine für sie akzeptable Einwanderungspolitik zu definieren, liegt zweifellos daran, dass dabei auch und insbesondere die Interessen der deutschen Wirtschaft berücksichtigt wurden. Im Interesse von Einwanderern ist die Blue Card kaum. Denn für den überwiegenden Teil der an einer Einwanderung nach Deutschland Interessierten stellt die Blue Card überhaupt keine realistische Möglichkeit dar. Fragwürdig ist ebenso, warum diese Initiative zur Behebung des Fachkräftemangels nicht mit der Legalisierung von hier illegal lebenden Einwanderern einhergeht. Ein Großteil dieser Gruppe wäre sicherlich daran interessiert, sich für eine Position als Facharbeiter in der deutschen Industrie zu qualifizieren, wenn nur Zugangsmöglichkeiten geschaffen würden. Zumindest einem Teil der hier illegal lebenden Menschen würde die Legalisierung ein entsprechendes Studium ermöglichen. Gegen die Ausrichtung der Fachkräftepolitik an den heimischen »Ressourcen« spricht, insbesondere aus Sicht der Wirtschaftsvertreter, sicherlich, dass viele hier lebende Menschen zuerst einmal durch teure Qualifizierungsmaßnahmen so weit gebracht werden müssten, dass sie für die Unternehmen ­lukrativ verwertbar sind. Mit gesetzlichen Maßnahmen wie der Blue Card lässt sich das dafür aufzuwendende Geld leicht einsparen. Denn diejenigen Arbeitskräfte, die auf diese Weise angelockt werden, verfügen bereits über entsprechende Qualifikationen. Warum also selbst inves­tieren?
Für die bereits hier legal oder illegal lebenden Ausländer und für die hier lebenden deutschen Erwerbslosen und Niedriglöhner bleibt alles beim Alten. Weder werden sie mehr Möglichkeiten erhalten, eine Ausbildung zu absolvieren, noch wird sich an ihrem inakzeptablen Status als Marginalisierte oder Illegalisierte etwas ändern. Für sie gilt es weiterhin, irgendwo auf Baustellen Steine zu schleppen, die Wohnungen Wohlhabender zu putzen oder sich einfach nur von einem miserablen Job zum nächsten zu hangeln.