Eine Tagung von Rüstungskonzernen in Berlin

Krieg vorm Balkon

Auf der »Urban Operations Conference« in Berlin präsentieren sich die Rüstungskonzerne. Im Trend liegen Waffen, de im Stadtgebiet zum Einsatz kommen können, beispielsweise bei Demonstrationen.

Freund und Feind zu unterscheiden, das ist für Soldaten gewissermaßen eine Basisqualifikation. Frank Kühnrich, ein ehemaliger Offizier und heute bei der »Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik« (DWT) beschäftigt, zählt die Jungle World offenbar nicht zu seinen Freunden. In der vorigen Woche organisierte Kühnrichs DWT, ein Lobbyverband der deutschen Rüstungsindustrie, in Berlin die »Urban Operations Conference«. Dabei handelte es sich um eine Leistungsschau der deutschen Rüstungsindustrie, die sich den »Krieg in den Städten« als Absatzmarkt erschließen will. Nicht jeder war willkommen: Dieser Zeitung verweigerte Kühnrich den Zutritt. Eine Akkreditierung zu der Konferenz, die das Bundesverteidigungsministerium laut DGW nicht nur unterstützte, sondern deren Vorsitz es führte, liege »nicht im Veranstaltungsinteresse«, beschied der Waffenlobbyist. Was die teilnehmenden Militärs, Polizeiführer und Vertreter privater Sicherheitsdienste zu hören und zu sehen bekamen, war offenbar nicht für jedermann bestimmt.
»Die weltweite Verstädterung wächst rasant, vor allem in den Entwicklungsländern«, hatte die DGW in ihre Einladung zu der Konferenz geschrieben. Dies führe zu einem »Rückgang der Stabilität in den großen städtischen Gebieten« was wiederum »militärische Operationen in solchen Stadtgebieten sehr wahrscheinlich« mache.

Der Befund ist bedauerlicherweise zutreffend. Mehr als die Hälfte der knapp sieben Milliarden Menschen auf der Erde lebt schon in Städten. In etwa 50 Jahren werden es nach Schätzungen der UN zwei Drittel sein. 2030 werden etwa zwei Milliarden Menschen in Slums leben. Diese gelten in Strategiepapieren mittlerweile als »high violence areas«, die von konventionell bewaffneten Staatsorganen nicht betreten werden. In ihrer Studie »Rüsten für den globalen Bürgerkrieg« von 2007 beschreibt die Tübinger Informationsstelle Militarisierung eine Neuausrichtung der westlichen Militärdoktrinen: Während die Polizei militarisiert wird, werden Soldaten für bisherige Polizeiaufgaben ausgebildet. Auch private Sicherheitsfirmen werden angesichts dessen immer wichtiger. Für die Rüstungswirtschaft öffnen sich damit gleich zwei Absatzmärkte: die sogenannten asymmetrischen Konflikte mit regulären Armeen auf der einen Seite und urbane Guerillas auf der anderen, etwa im tschetschenischen Grosny. Zugleich bietet die Rüstungsindustrie auch Waffen für die Aufstandsbekämpfung nach innen an, zur gewaltsamen Niederschlagung von Demonstrationen, Aufständen oder auch Hungerrevolten.
Rheinmetall etwa, einer der Sponsoren der Konferenz, präsentierte 2011, mitten im »Arabischen Frühling«, auf einer Rüstungsmesse in Dubai sein »modulares Upgrade« für den neuen Kampfpanzer Leopard II. Der Name der für städtische Kriegsführung optimierten Waffe: »Leopard II Main Battle Tank Revolution«.
Die Liste der Länder, aus denen Teilnehmer zur Konferenz anreisten, zeigt, wie hoch die Nachfrage nach Technik ist, mit der sich die eigene Opposition in Schach halten lässt: Delegationen aus Saudi-Arabien, Ägypten, Russland, Thailand, Kenia, dem autokratisch regierten Singapur, Griechenland, Chile, Ungarn oder Burkina Faso nahmen unter anderem an der Konferenz teil.

Die linke Szene hatte schon früh zu Protesten gegen die Tagung aufgerufen. Im Januar zündeten Unbekannte in Berlin zwei Laster an, die der Rheinmetall MAN Military Vehicles GmbH zugerechnet wurden. Kurz darauf wurde der Sitz der DGW in Bonn mit Farbbeuteln beworfen. Am Samstag vor der Konferenz demonstrierten Kriegsgegner in Neukölln, am Mittwoch voriger Woche, dem zweiten Konferenztag, zogen etwa 100 Antimilitaristen vor den Tagungsort, das Maritim Hotel in der Friedrichstraße. Sie spielten Kriegsgeräusche ab, »um deutlich zu machen: Krieg beginnt hier«, so ein Redner. Er sagte, dass die »soziale Spaltung der Gesellschaft weltweit in zunehmendem Maße nur noch militärisch gesichert werden« könne. Die Demonstranten projizierten Videoclips antimilitaristischer Farbbeutelattacken auf eine vor dem Eingang eines Kaufhauses aufgestellte Leinwand. Doch nicht einmal das Security-Personal, das mit Knopf im Ohr im um die Ecke liegenden Eingangsbereich des Maritim stand, bekamen etwas von den Protesten mit – von den Konferenzteilnehmern im oberen Stockwerk ganz zu schweigen.
»Die in Berlin beschworene Vision von städtischer Kriegsführung handelt davon, wie sich die Wohlhabenden einen urbanen Panikraum schaffen können. Vorbereitung auf den Klassenkampf quasi«, sagte der »Urban Warfare«-Experte Peter Locke der Taz über die Konferenz. Dieser Panikraum dürfte, nach allem, was auf der DWT-Messe präsentiert wurde, ein ungemütlicher Ort werden. Wie Teilnehmer berichteten, habe der Chef der Rüstungsfirma Dynamit Nobel erläutert, welche »Perspektiven für Infanteriewaffen« sich in Städten böten, der Kommandant des »Bundeswehrzentrums für zivil-militärische Kooperation« habe skizziert, wie sich der urbane Krieg des 21. Jahrhunderts als »Public Private Partnership« führen lassen könnte.
Auf der gleichzeitig veranstalteten Messe präsentierten sich neben Rheinmetall auch Rüstungsfirmen wie MBDA, Krauss-Maffei-Wegmann oder SaaB. Im Angebot: Aufklärungsdrohnen, Kampfdrohnen, Aufklärungssysteme, neuartige Lenkraketen und vieles mehr.

Die amerikanische Rüstungswirtschaft ist auf dem Gebiet der Aufstandsbekämpfung schon weiter. Gleich zwei neue Systeme »nonletaler Waffen« brachten US-Rüstungsunternehmen in den vergangenen Jahren auf den Markt: Schall-und Mikrowellenkanonen.
Ursprünglich für den Einsatz im Irak entwickelte das US-Militär das »Active Denial System« (ADS). Die Strahlen dieser Energiewaffe dringen unter die Haut und erzeugen dort eine Temperatur von etwa 50 Grad Celsius. Testpersonen berichteten von Schmerzen, »als ob man in Brand gesteckt werde«. Verschwitzte oder nasse Kleidung könnte tatsächlich zu Verbrennungen der Haut führen. Die angeblich keine bleibenden Schäden verursachende Waffe hat eine Reichweite von fast 500 Metern.
Dem Handelsblatt zufolge hat auch Rheinmetall einen ADS-Prototyp entwickelt. Der US-Konzern Raytheon bietet längst fertige Systeme an – platzsparend auf dem Dach eines Hummer-Jeeps zu montieren. Im August 2010 erklärte Robert Osborne, Sheriff von Los Angeles, seine Bereitschaft, die ADS zu testen – zunächst zur Bekämpfung von Gefängnisrevolten. Auch US-Ministerien schützen ihre Gebäude mit den Strahlenkanonen. Die US-Zeitschrift New Scientist berichtet, derzeit werde an einem ADS gebaut, das zur »Aufstandskontrolle aus der Luft« taugen soll.
Eine ähnliche Karriere steht der »Long Range Acoustic Device« (LRAD) genannte Schallkanone des Pentagon bevor. Beim LRAD werden akustische Signale ausgesendet, der schrille Ton führt zu einem starken Schmerz. Die LRAD war zunächst im Irak-Krieg im Einsatz, dann gründete das Pentagon eine Firma namens LRAD aus, die die Waffen – ebenfalls im handlichen Jeep-Dach-Format – vertreibt. 2008 stattete der Bremer Reeder Nils Stolberg seine Flotte mit den Schallwaffen aus, um somalische Piraten zu bekämpfen. 2009 setzte die US-Polizei die LRAD erstmals beim G20-Gipfel in Pittsburgh ein, auch die koreanische Polizei schaffte die Schallwaffen zum Einsatz bei Demonstrationen an. 2010 scheiterte ein Versuch der Bürgerrechtsvereinigung Canadian Civil Liberties Association, ihren Einsatz gegen die Anti-G20-Demonstranten in Toronto gerichtlich zu beenden. Zuletzt bekamen die »Occupy«-Demonstranten die LRAD zu spüren, als die New Yorker Polizei Mitte November ihr Camp im Zuccotti-Park räumte.