Bauch, Beine, Hüfte

Berlin Beatet Bestes. Folge 135. Sidney Bechet: Egyptian Fantasy (1941).

Am vergangenen Samstag verbrachte ich fünf Stunden mit Scheitern und Schämen. Ich nahm an einem »Oriental Blues«-Workshop teil. Was ich mir dabei gedacht hatte, weiß ich nicht. Ich wollte wohl ein bisschen Schwung in meine Hüften bringen, die eigentlich gar nicht so steif sind. Das Konzept des Workshops hat sich die Tanzlehrerin namens Amani selbst ausgedacht. Sie kombiniert Elemente des orientalischen Bauchtanzes mit Figuren aus dem Jazz- und Bluestanz. Amani kommt aus dem Libanon und ist mit Bauchtanz aufgewachsen. Ich aber nicht. Allerdings ist sie wie ich eine begeisterte Lindy Hopperin.
Schon am Morgen hatte ich ein mulmiges Gefühl: »Hoffentlich ist das nicht Bluestanzen zu zweit.« Meine Freundin war auch nicht gerade begeistert: »Blues-Workshop? Warum willst du denn das machen? Blues ist doch scheiße.« Aber nun war es zu spät. Ich hatte bereits bezahlt und irgendetwas würde ich da schon lernen.
Um 12 Uhr stand ich mit sechs Frauen in einem Raum und ließ die Hüften kreisen und kreisen und kreisen. Fünf Stunden lang konzentrierte sich alles auf die Hüfte und die angrenzenden Körperregionen – den Bauch und den Po. Es war ein einziger Arsch-Workshop. Die orientalischen Hüftschwünge kann man nicht nur nach links oder rechts, sondern auch nach vorne und hinten betonen, und die Brust lässt sich nach vorne und nach oben isolieren. Bisher bewegte ich meine Hüften eher wie ein Playmobil-Männchen. Die zweite Hälfte des Workshops beschäftigten wir uns mit traditionellen Jazz- und Blues-Figuren, die sich mit dem Burlesque-Tanz überschneiden. »Bumps and Grinds« und »Bootyshakin’« wurden geübt. Unsicher drückte ich mich in der letzen Reihe rum und war den bemüht kreisenden Hinterteilen meiner Mittänzerinnen ausgesetzt. Wenigstens fühlten diese sich durch meine Anwesenheit nicht peinlich berührt. Ich glaube, irgendwann haben sie mich auch gar nicht mehr als Mann wahrgenommen. Der Workshop endete mit einer Burlesque-Choreographie zu Sidney Bechets »Egyptian Fantasy«, die liegend auf dem Boden begann und sämtliche Elemente beinhaltete, die wir uns in den vergangenen Stunden erarbeitet hatten. Das mulmige Gefühl blieb bis zum Schluss, allerdings fühlte ich auf dem Nachhauseweg auch so etwas wie Stolz. Es war, als hätte ich die Tür zu einer ganz neuen Tanz­welt geöffnet. Ich weiß jetzt, dass mit der Hüfte noch viel mehr geht, als ich dachte.
Letzlich läuft seit 100 Jahren tanztechnisch alles über den Arsch. Schon im »Black Bottom«, einem afroamerikanischen Modetanz, der Mitte der zwanziger Jahre nach Berlin kam, ging es darum, den Hintern so weit herauszustrecken, dass er mit dem des Partners kollidierte. Der frech herausgestreckte Hintern ist bis heute essentieller Teil der Popkultur. Ohne »Booty Shakin’« funktioniert kein HipHop-Video. Warum also soll ich mich schämen, wenn ich lerne, meine Hüfte und meinen Arsch ein wenig mehr kreisen zu lassen als bisher?