Der Wahlkampf in Frankreich hat begonnen

Sarkozy sticht in See

In Frankreich stehen Präsidentschaftswahlen bevor. Die Regierungspartei versucht, sich durch Volksnähe und Kulturalismus zu profilieren. Die Rechtsextreme Marine Le Pen muss noch Unterschriften für ihre Kandidatur sammeln.

Zumindest die Lacher hatte der französische Präsident Nicolas Sarkozy in den vergangenen Tagen kurzfristig ganz auf seiner Seite. Am vergangenen Mittwoch beendete er zunächst die von den bürgerlichen Medien künstlich erzeugte Spannung und sagte im ersten Kanal des französischen Fernsehens: »Ja, ich kandidiere.« Der Amtsinhaber wird also bei den Präsidentschaftswahlen am 22. April und 6. Mai antreten. Für Amüsement sorgte aber die Vorstellung seines Wahlplakats. Es zeigt im Vordergrund Sarkozys Kopf und im Hintergrund das Meer. Der zugehörige Slogan lautet: »Das starke Frankreich«. Kurz nach der Vorstellung gab es im Internet bereits verschiedenste Abwandlungen des Wahlplakats zu sehen, als Hintergrund wurde etwa das Meer mit dem Wrack des vor einem Monat verunglückten italienischen Dampfers Costa Concordia gezeigt.
Richtig lustig wurde es in den vergangenen Tagen, als Fotospezialisten der Pariser Abendzeitung Le Monde mehr über die Aufnahme auf dem Plakat herausfanden. Es ließen sich nämlich Detailangaben zur Bildagentur, die das Foto zuerst publiziert hatte, und zum Ort und zur Zeit der Aufnahme herausfiltern. Das Meer, vor dem Sarkozy sich abbilden ließ, liegt vor der griechischen Küste. Angesichts der Tatsache, dass Tausende Griechinnen und Griechen in Armut und Elend gestürzt werden und das deutsch-französische Duo »Merkozy« in der Europäischen Union immer drängender gegenüber dem »Pleitestaat« auftritt, passt dieses Bild also bestens.

Nicht ganz so lustig wie in den zahlreichen Anekdoten, die sich inzwischen um das Plakat ranken, geht es sonst zu Beginn des Wahlkampfs zu. Zumindest ein Teil der Regierung strebt offenkundig eine starke ideologische Polarisierung an. Sarkozys Kalkül lautet, dass »eine Expertenkampagne etwa zu wirtschaftlichen und sozialen Themen das Publikum langweilt« und die Unterschiede zwischen den Konservativ-Wirtschaftsliberalen und den Sozialdemokraten dabei »nicht klar zu Tage treten würden«.
So setzte sich Sarkozy am vorvergangenen Wochenende – kurz vor der offiziellen Bestätigung seiner Kandidatur – in Szene, indem er dem konservativ-reaktionären Wochenmagazin Le Figaro Magazine ein sehr langes Interview gewährte. Es erschien am 11. Februar unter dem Titel »Meine Werte für Frankreich« und kündigte erstmals offen die Absicht Sarkozys an, erneut als Präsidentschaftskandidat anzutreten. In dem Interview spricht er sich unter anderem für mehr Volksabstimmungen in der nächsten Amtsperiode aus und nennt auch gleich zwei Themen, zu denen er Referenden anberaumen möchte: den Umgang mit Arbeitslosen und den mit »illegaler« Einwanderung. Als erstes möchte er die Bevölkerung darüber abstimmen lassen, ob und in welchem Ausmaß Erwerbslose noch ein Recht auf Unterstützung haben sollen, »wenn sie ein Arbeitsangebot oder eine Fortbildung ablehnen«. Dass eine wichtige politische Entscheidung per Referendum getroffen wird, ist in Frankreich nichts gänzlich Neues. In der seit 1958 bestehenden Fünften Republik fanden bislang neun solcher Abstimmungen statt, in der Regel zu Fragen des Staatsaufbaus. Dass eine Volksabstimmung anberaumt wird, in der die Wahlberechtigten über fundamentale Interessen einer mehr oder minder schutzlosen Minderheit quasi zu Gericht sitzen sollen, gab es jedoch noch nie.

Am 4. Februar trat Innenminister Claude Guéant vor einer rechten Studierendenvereinigung auf, der zwischen den Konservativen und dem Front National stehenden Union National Interuniver­sitaire. Dort behauptete Guéant: »Nicht alle Kulturen sind gleichwertig.« Einige stünden höher als andere, da sie »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit« verkörperten. Diese essentialistische Kulturalisierung der Französischen Revolution von 1789 wurde von dem Sarkozy nahestehenden Vorsitzenden der Einwanderungs- und Integrationsbehörde, Arno Klarsfeld, am folgenden Tag noch verstärkt. Er rechtfertigte die Worte des Ministers mit dem Kommentar, die linke Opposition solle ihren Wahlkampf, wenn sie wolle, auf der Grundlage betreiben, dass »Rassismus oder die Taliban gleichwertig mit der britischen oder französischen Kultur seien« – als wäre Rassismus eine der französischen oder britischen Gesellschaft vollkommen äußerliche Erscheinung, und als wären die Taliban keine Miliz, sondern eine »Kultur«.
Die Äußerungen Guéants sorgten für Empörung, die allerdings von der Regierung von vornherein einkalkuliert schien. Der in der Karibik geborene linke Abgeordnete Serge Letchimy hielt dem Minister drei Tage nach seiner Äußerung im Parlament entgegen, auch der Sklavenhandel, die Kolonialverbrechen und Konzentrationslager müssten nach diesen Maßstäben zur »Kultur« des europäischen Kontinents gezählt werden. Daraufhin verließen alle Abgeordneten der Regierungsparteien geschlossen die Sitzung, was erstmals seit der Dreyfus-Affäre geschah.
Viele werteten die Äußerungen des Ministers als Versuch, vor den Wahlen die Anhängerschaft des Front National anzusprechen, zumal noch nicht sicher ist, ob dessen Kandidatin Marine Le Pen überhaupt antreten kann. Wie 2002 und 2007 ihr Vorgänger und Vater Jean-Marie Le Pen, hat die rechtsextreme Politikerin auch in diesem Jahr Schwierigkeiten, die formalen Voraussetzungen für eine Präsidentschaftskandidatur zu erfüllen. Dazu braucht sie 500 Unterstützungsunterschriften von Mandatsträgerinnen und -trägern der Republik. Wegen des auf den meisten Ebenen geltenden Mehrheitswahlrechts ist diese Voraussetzung für Angehörige kleinerer Parteien oft nur schwer zu erfüllen. Ob Le Pen wirklich antreten wird, kann erst am Stichtag, dem 16. März, mit Sicherheit gesagt werden.

Der drohende Rechtsruck von Teilen der Regierung spaltete zunächst auch Sarkozys Mitte-Rechts-Partei »Union pour un mouvement populaire« (UMP). Der ehemalige Premierminis­ter Jean-Pierre Raffarin kritisierte die Aussagen Guéants zur angeblichen Ungleichwertigkeit von Kulturen: Er sei »ein guter Innenminister, aber wohl kein guter Ethnologe«. Auch Außenminister Alain Juppé kritisierte die »unglückliche Wortwahl« seines Kollegen.
Durch seine eigenen populistischen Vorstöße versucht Sarkozy, sich weiterhin als »Kandidat das Volkes« zu profilieren. Am Donnerstag vergangener Woche beklagte Sarkozy etwa in der ostfranzösischen Stadt Annecy, dass »zu viele Vermittler sich zwischen das Volk und die Re­gierungsentscheidungen« stellten. Er nannte »gewerkschaftliche, politische, wirtschaftliche und administrative Eliten«, wobei er zweimal hintereinander die Gewerkschaften an allererster Stelle erwähnte. Diese Instanzen möchte er nun ausdrücklich umgehen, um »dem Volk häufiger das Wort zu erteilen« – etwa durch Referenden. Die Gewerkschaftsvereinigung UNSA warnte in der Tageszeitung Libération bereits davor, dass dieser demagogische Diskurs »die Demokratie gefährdet«, während andere Kritikerinnen und Kritiker darin vor allem ein Ablenkungsmanöver für die Regierungsbilanz der vergangenen fünf Jahre erblicken, die nach Meinung weiter Teile der Bevölkerung, von links bis rechts, ziemlich miserabel ist.