Schülerproteste in Spanien

Frühlingserwachen in Valencia

In Spanien demonstrieren Schülerinnen, Schüler und Studierende gegen die Sparpolitik der Regierung. Gewerkschaften schließen sich ihnen an.

Vor dem Gymnasium Lluís Vives in Valencia hängt seit kurzem ein Plakat: »Danke, dass du aufgewacht bist, Valencia«. Mitte Februar hatten es die Schülerinnen und Schüler satt, in ungeheizten Klassenzimmern zu sitzen und sich mit ständigen Unterrichtsausfällen wegen erkrankter Lehrkräfte abfinden zu müssen. Für Vertretungen gibt es nicht genug Personal. Zu den folgenden Demonstrationen und Straßenblockaden der Schülerinnen und Schüler wurden Spe­zialeinheiten in Kampfmontur geschickt, die etliche junge Protestierende mit Schlagstöcken verletzten und 25 von ihnen festnahmen, darunter Minderjährige.
Valencia ist eine der Regionen Spaniens, in der die konservative Volkspartei (PP) schon lange mit absoluter Mehrheit regiert. Seit zwei Monaten regiert sie auch landesweit. Die Regierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy verschärfte die Sparpolitik ihrer sozialdemokratischen Vorgängerregierung und erhöhte den Druck auf die Regionen, die Ausgaben für Bildung, Gesundheit und Soziales weiter zu kürzen. Außerdem beschloss sie eine Arbeitsmarktreform, die Lohnkürzungen und Entlassungen erleichtert. In Valencia wirkt sich die Sparpolitik ähnlich wie im Rest Spaniens aus, aber nirgendwo sonst geht der Abbau öffentlicher Dienste so offensichtlich mit einer Umverteilung staatlicher Gelder in Prestigeprojekte und mit Korruption ­einher.
Bei einer Pressekonferenz nach dem brutalen Einsatz gegen die protestierenden Jugendlichen antwortete Antonio Moreno Piquer, der Polizeipräsident der Policía Nacional in Valencia, auf Fragen nach der Polizeitaktik, er wolle keine Informationen an »unsere Feinde« geben – damit meinte er die protestierenden Schülerinnen und Schüler. Am folgenden Tag beteiligten sich die Eltern an den Demonstrationen und der Protest begann, sich auf andere Schulen und Universitäten auszuweiten. José Císcar (PP), der stellvertretende Regionalpräsident Valencias, versuchte abzuwiegeln: »Der valencianische Frühling, mit dem sie den arabischen Frühling kopieren wollen, wird scheitern. Denn dort wurde gegen eine Diktatur gekämpft, aber Spanien ist eine Demokratie!« Der seit kurzem amtierende Regionalpräsident Alberto Fabra (PP) sagte, die Demonstrierenden hätten gar keinen Anlass für ihre Aktionen. Es gebe »keine Entlassungen, keine Kürzungen«, sondern lediglich »Korrekturen in der Stunden­zuweisung, die nur das Lehrpersonal betreffen«.

»Wir haben in den vergangenen zwei Jahren 2 500 Lehrer verloren und es wird nicht geheizt in den Schulen. Da erwarten sie Ruhe?« erwiderte Marga Sanz, eine Abgeordnete der Vereinigten Linken (IU) im valencianischen Regionalparlament. Auch die Regionalabgeordnete Pilar Sarrión von der sozialdemokratischen PSOE unterstützt die Proteste: »Einige Schulen können die laufenden Kosten nicht mehr bezahlen und viele Gebäude sind in schlechtem Zustand.« Die Protestierenden haben aber noch nicht vergessen, dass auch die im November abgewählte sozialdemokratische Regierung unter José Luis Zapatero das Haushaltsdefizit durch eine rigorose Sparpolitik reduzieren wollte. Wie die Bewegung der Indignados (Jungle World 21/11) betonen sie daher, dass ihre Proteste nicht von Parteien gesteuert würden. »Unsere Bewegung entstand in den einzelnen Schulen«, sagt Alberto Ordoñez, Vorsitzender des Schüler- und Studentenverbandes FAAVEM in Valencia. »An jedem Gymnasium gibt es Schülerversammlungen. Dort werden die Mobilisierungen beschlossen und abgestimmt.«

Das funktioniert nun bereits seit zwei Wochen. Mit immer neuen Ideen wird gegen die Sparpolitik und gegen die Polizeieinsätze protestiert. Die bedeutendste Solidaritätsbekundung mit dem »valencianischen Frühling« fand am Mittwoch vergangener Woche in Barcelona statt. Alle staatlichen Universitäten wurden bestreikt, manche auch besetzt, und 500 Studierende übernachteten in den besetzten Gebäuden. Mit Müllcontainern wurden Zufahrten verbarrikadiert und zwei Autobahnen morgens für zehn Minuten blockiert. Studierende drangen in einen Radiosender ein und verlasen eine Erklärung.
Auch in Madrid und etwa 50 weiteren Städten fanden zur selben Zeit Demonstrationen gegen die Sparpolitik der Regierung, die Arbeitsmarktreform und die Polizeieinsätze von Valencia statt. Studierende in Madrid riefen: »Wir sind alle vom Lluís Vives!« Die Universität Complutense wurde besetzt. Die Bewegung »Tomandolafacultad« (»die Universität einnehmen«) kritisierte »die einschneidenden Kürzungen, die die ökonomische Notlage der staatlichen Ausbildung verschärfen und die Zukunft einer ganzen Generation prekarisieren«. Neben Schülerinnen, Schülern und Studierenden beteiligten sich auch Gewerkschaften an den Protesten. Es wurde ein Aufruf zum Generalstreik für den 29. März diskutiert. Die den separatistischen Bewegungen des Baskenlandes und Galiziens nahestehenden Gewerkschaften rufen in ihren Regionen für diesen Tag bereits zum Generalstreik auf. Die großen, staatsnahen Gewerkschaften UGT und CCOO werden voraussichtlich schon am 9. März streiken. Isa Serra, eine Sprecherin der Studierenden in Madrid, kündigte für diesen Fall einen Universitätsstreik in derselben Woche an.
Beteiligt an der neuen Bewegung ist die Initiative »Jugend ohne Zukunft«, die schon die Bewegung der Indignados mitinitiierte. Ihr Sprecher Pablo Padilla erinnerte daran, dass die Verfassungsänderung im August 2011 »den Vorrang des Schuldenbezahlens vor dem Wohlergehen der Gesellschaft festgelegt hat«. Beschlossen wurde die Verfassungsänderung sowohl vom konser­vativen PP als auch dem damals regierenden sozialdemokratischen PSOE.