Dirk Lütter im Gespräch über seinen Film »Die Ausbildung«

»Es gibt angeblich immer jemanden, der den Job auch machen würde«

In seinem Spielfilm »Die Ausbildung« schildert Dirk Lütter die neoliberale Arbeitswelt aus der Sicht eines Auszubildenden. Ein Gespräch mit dem Regisseur über den Zwang zur Selbstoptimierung, die Erpressbarkeit der prekär Beschäftigten und die Clean Desk Policy der Arbeitgeber.

Der 20jährige Jan (Joseph Bundschuh) macht eine Ausbildung in einem Betrieb für Klimatechnik. In seinem letzten Ausbildungsjahr arbeitet er für die firmeneigene Beratungshotline. Jan soll dazu benutzt werden, die Abteilungsleiterin unter Druck zu setzen, dafür stellt man ihm die Übernahme in ein befristetes Arbeitsverhältnis in Aussicht.

Wieso haben Sie ausgerechnet einen Film über Auszubildende gemacht?
Weil die Figur des Auszubildenden sich im Stadium zwischen Schule und Beruf und damit in einer Schwellensituation bewegt. Solche Situationen bieten gute Möglichkeiten für das Erzählen. Dazu kommen persönliche Erfahrungen: Ich habe erlebt, wie Freunde durch den Eintritt in die Berufswelt verändert wurden oder aber sich nicht verändern lassen wollten, was zu ständigen Konflikten geführt hat.
In meinem Film muss sich der Protagonist Jan entscheiden, welchen Weg er geht: den vorgezeichneten der Anpassung oder andere Wege.
Die Arbeitswelt kommt im deutschen Kino kaum vor, soziale Realität wird dort selten gezeigt. Wollten Sie Pionierarbeit leisten – zurück zur Wirklichkeit?
Die Themen Arbeit und Ökonomie sind deutlich unterrepräsentiert im deutschen Film, obwohl sie doch so vielfältige Auswirkungen auf das Leben des Einzelnen haben. Ich würde aber nicht behaupten, in meinem Film die Wirklichkeit zu zeigen. Ich versuche, die Themen Arbeitsbedingungen, Konsum und soziale Beziehungen in einen Zusammenhang zu stellen und in eine Handlung zu überführen, die es ermöglicht, Strukturen zu durchschauen. Ich versuche, die im Kino und Fernsehen vorherrschende Authentizitätsfiktion, die Vorspiegelung vermeintlicher Wirklichkeit, zu durchbrechen, weil die Mainstream- bzw. Blockbusterfilme den Zuschauer durch Emotionalisierung, Musik, Schnittgeschwindigkeit und den Appell an unbewusste Affekte steuern: »Jetzt fühle dies, jetzt denke das!« Das nennt man dann euphemistisch »Zuschauerführung«. Selber denken ist bei solchen Filmen nicht erwünscht, im Film »Die Ausbildung« sehr wohl. Deswegen habe ich nicht alles mit Musik, Dialog und Action vollgepackt, sondern Raum zum Betrachten aus der Distanz gelassen. Deswegen gibt es ein offenes Ende.
Was ist das für ein Auszubildender, den Sie da zeigen: Er trinkt nicht, raucht nicht, redet kaum. Ist das ein realistisches Bild von jungen Leuten in Deutschland?
Ich habe versucht, eine Verdichtung dessen zu geben, was ich in vielen Interviews mit Jugendlichen gehört habe. Auf der einen Seite gibt es die Fixierung auf die Karriere und den beruflichen Erfolg. Dafür muss man fit, leistungsbereit und flexibel sein, sich immer weiter optimieren. Dazu passen Rauchen und Trinken wenig. Komasaufen zum Beispiel wäre in so einem Zusammenhang ja nur das andere Extrem, die andere Seite derselben Medaille. Da wird Trinken zur Leistung: »Ich habe am meisten getrunken, bin der beste Trinker!« Zudem wird Komasaufen nur von einer absoluten Minderheit betrieben.
Gleichzeitig habe ich bei Jugendlichen ein großes Bedürfnis nach Sicherheit gespürt, Familie und Freundschaft werden hoch gehandelt. Dass sich berufliche Flexibilität und Erfolg mit Familie, Freunden und der Pflege sozialer Kontakte schlecht vertragen, ist den meisten nicht bewusst. Von einem einzigen Mädchen habe ich gehört, dass sie etwas ausprobieren möchte in ihrem Leben.
Konformität ist demnach weit verbreitet, aber den meisten als solche gar nicht bewusst. Angepasst sind immer die anderen, das passt nicht zum Selbstbild. Es gibt aber immer auch kritisches Potential. »Die« jungen Leute gibt es eh nicht.
Jan wirkt, als sei er nur als Hülle im Betrieb anwesend. Er versucht, den Anforderungen gerecht zu werden. Warum muss er sich so verstellen?
Die Trennung zwischen dem Berufs- und dem Privatleben kenne ich aus meinem gesamten Umfeld. Auch von mir selbst! Im Beruf muss man funktionieren, bei den heutigen Anforderungen immer mehr und immer fehlerfrei. Das entspricht aber meiner Ansicht nach nicht dem menschlichen Wesen. Also muss man sich verstellen, Gefühle und Schwächen unterdrücken. Das führt zu dieser »Hülle«, als Schutz. Die eine kann das besser, da fällt es weniger auf; der andere schlechter, da fällt es mehr auf.
Die Übernahme nach der Ausbildung spielt im Film eine große Rolle. Es geht um eine einjährige Weiterbeschäftigung. Jan ist damit erpressbar.
Der Anteil der prekären Beschäftigungsverhältnisse steigt von Jahr zu Jahr kontinuierlich. Befristete Verträge, Minijobs, Scheinselbstständigkeit, Leiharbeit und seit neuestem Werkverträge schwächen die Position der Arbeitnehmer. Gleichzeitig gibt es ein Heer von Arbeitslosen. Es gibt angeblich immer jemanden, der den Job auch machen würde. In so einem Klima werden Menschen erpressbar, auch und gerade weil in unserer Gesellschaft viel Anerkennung über das Berufliche läuft. In Jans konkreter Situation kommt noch hinzu, dass er sich seinen Lebensstandard nicht mehr leisten könnte. Darunter würde er sehr leiden.
Jans Arbeitsplatz sieht aus, als würde alle fünf Minuten geputzt werden. Die Schreibtisch­oberflächen sind glatt, dauernd wird um- und aufgeräumt. Warum ist die Arbeitswelt im Film so clean? Glauben Sie, der deutsche Arbeitsalltag sieht so aus?
Der gesamte Arbeitsalltag in Deutschland sicher nicht. Bei meiner Recherche bin ich aber auf sehr viele Unternehmen gestoßen, in denen es so ausieht. Es herrscht die »Clean Desk Policy«, damit jeder Angestellte an jedem Arbeitsplatz arbeiten kann. Das spart Bürotische, also Geld und Platz, da ja nicht immer alle zur selben Zeit anwesend sind. Darüber hinaus schwächt es, wie mir ein Psychologe erklärt hat, die Solidarisierung der Angestellten, wenn nicht alle immer in der gleichen Konstellation nebeneinander sitzen und sich also weniger feste Bindungen ergeben. Es erzeugt auch ein unbewusstes Gefühl von Austauschbarkeit, wenn man keinen »eigenen« Arbeitsplatz mehr hat, was wiederum die Produktivität erhöht, weil man ja im Performance-Ranking gut abschneiden und den Arbeitsplatz behalten will. Ob diese Herangehensweise auf Dauer wirklich zu den genannten Zielen der Unternehmen führt, halte ich für fraglich.
Jan lernt die Zeitarbeiterin Jenny kennen und verliebt sich in sie. Die beiden gehen sehr vorsichtig miteinander um, man hat es mit zwei sehr stillen Menschen zu tun …
In Filmen wird die Jugend oft als wilde, verrückte Zeit und Liebe als Ausweg dargestellt. Beides sehe ich nicht so. Sowohl in meiner Jugend als auch während meiner Recherche zu dem Film war Anpassung unter Jugendlichen – wie auch Erwachsenen – die Regel. Den ausgeflippten Jugendlichen gibt es äußerst selten, das ist ein Filmklischee. Und Liebe ist niemals ein Ausweg, denn sie steht unter dem direkten Einfluss der die Verliebten umgebenden Welt.
Ihrer Hauptfigur lassen Sie wenig Spielraum. Hat Jan eigentlich keine Hobbys? Und könnte er nicht nach der Ausbildung studieren?
Studieren verändert ja nicht viel. Nach dem Studium tritt man ebenfalls ins Berufsleben ein, die Anforderungen an Akademiker sind in der Regel noch um einiges höher als an Ausgebildete. Man muss noch besser funktionieren, weil man mehr Geld bekommt.
Jan hat Hobbys: Autofahren und Einkaufen – Allerweltssachen. Er hat auch Spielräume, die sind nur sehr zurückhaltend gezeichnet. Zum Beispiel tritt ihm in der Figur des behinderten Marvin sein verdrängter Anteil, seine spontane Emotionalität gegenüber. Er nimmt Marvin für den Moment an, aber schon am nächsten Tag holt ihn die Realität seiner Firma wieder ein.
Ich sehe Jan wie auch alle anderen Protagonisten des Films als Stellvertreter. Deswegen habe ich versucht, ihn möglichst wenig zu individualisieren, um dadurch eine Projektionsfläche zu schaffen.
Haben Sie ähnliche Erfahrungen während der Ausbildung gemacht wie Jan?
Nein, ich habe keine betriebliche Ausbildung gemacht, sondern studiert. Aber durch meine Familie, durch Schulfreunde, durch Gelegenheitsjobs in verschiedensten Fabriken und Firmen und durch meine Recherche habe ich viele Einblicke in diese Welt bekommen.
Was folgt aus ihrem Film? Was muss sich ­ändern?
Wir leben angeblich in einer Demokratie, aber die Hälfte des wachen Tages oder noch mehr verbringen wir in komplett undemokratisch strukturierten Arbeitszusammenhängen. Durch eine Ideologie des Individuellen – jeder optimiert sich selbst, soll mehr Verantwortung für sich tragen, hat aber gar keine Macht – wird die Gemeinschaft, das Solidarische, vernachlässigt. Als Gegenentwurf zu dieser Ideologie fungiert im Film der Chor, ein Laienchor aus gewerkschaftlichen Zusammenhängen. Er verkörpert die Hoffnung, das Gemeinschaftliche, in die jeder auch seine individuelle Biographie einbringt.
Wichtig ist, dass eine Demokratisierung der Arbeitswelt und eine stärkere Solidarisierung der Arbeitnehmer und generell der Menschen untereinander stattfindet. Dass man sich bemüht, kritisch zu denken und herrschende Strukturen in Frage zu stellen.

»Die Ausbildung« (D 2011). Regie: Dirk Lütter. Darsteller: Joseph Bundschuh, Anke Retzlaff. Bereits angelaufen.

Dirk Lütter tourt mit seinem Film ab 5. April durch ausgewählte Kinos und steht nach der Vorführung für Gespräche zur Verfügung. Infos: