Onkel Joachim beim alten Mädchen. Neues aus der Deutschland-Saga

Bundespräsident in geheimer Missionarsstellung

Denkwürdige Veränderungen der Tischordnung im Haus des alten Mädchens: Onkel Joachim, der Fliege des Ostens, bekommt einen Fensterplatz. Ein neues Kapitel aus der Deutschland-Saga.

etzt ist es halt so: Am Tisch des alten Mädchens herrscht ja eine gewisse Ordnung. Denn Angela Merkel sitzt am Tisch »oben«, wie man so sagt, und da hat sie natürlich die Brüderchen und Schwesterchen alle im Blick. Klar, da geht es immer wieder darum, wer am nächsten bei ihr sitzen darf, und da wird schon mal unter dem Tisch gegen das Schienbein getreten, und ob jetzt alle auch ihre Serviette richtig halten, da sind wir nicht so. Aber sonst passt das schon. Das Dumme ist nur, der Tisch hat noch ein Ende, und da sitzt immer der, den wir scherzhaft »Bundespräsident« nennen. Und das ist jetzt der Gauck geworden, der Onkel Joachim, der vorher im Osten so erfolgreich missioniert hat, dass die DDR auf einmal frei war.
Vorher war da ein anderer gesessen, und davor noch ein anderer, und die waren dem alten Mädchen eigentlich ganz recht, weil sie sich hauptsächlich um ihre eigenen Angelegenheiten gekümmert haben. Ich meine, gut, das kann man auch übertreiben. Aber der Onkel Joachim, nix, der setzt sich da hin, wie wenn er schon immer da gesessen wäre, und macht uns halt jetzt den »Bundespräsidenten«.
Einen Bundespräsidenten brauchen wir, weil wir keinen König mehr haben. Das ist einerseits schade, aber andererseits ist ein Bundespräsident viel praktischer. Einen König kriegt man nicht so leicht los, auch wenn man es möchte. Stellen Sie sich vor, so ein König, oder auch eine Königin, die hätten sich jetzt ihr Schloss von ein paar Freunden finanzieren lassen und hätten denen dann halt das halbe Königreich dafür geben müssen, wenigstens zum Markttag. Und da hätte auch eine Kanzlerin viel rumtun können, aber so ein König, der bleibt einem doch fürs Leben. Da können die Prinzen in Nazi-Uniformen herumlaufen und eine Ex-Prinzessin im Tunnel steckenbleiben. Ein Bundespräsident, der hat ja keine Kinder. Also Kinder hat er vielleicht schon, weiß ich jetzt nicht, aber die Kinder werden nicht automatisch auch wieder Bundespräsident. Wenn zum Beispiel ein Bundespräsident einen Sohn hat, dann kann der Banker werden, oder Bademeister, wie er halt will, aber kein Bundespräsident.
Weil Bundespräsident ist nicht erblich, und man kann’s auch nicht studieren. Bundespräsident wird man wegen der Geschichte. Man muss das Volk repräsentieren und die Demokratie und die freie Marktwirtschaft und die deutsche Leitkultur und alles. Wenn man das einmal fünf Jahre lang gemacht hat, dann schaut man ganz schön alt aus. Und dann kriegt man eine Pension, oder nein, das nennt man einen Ehrensold. Wenn man Habe die Ehre sagt, also, damit jetzt ein anderer das Volk und die Demokratie und die Leitkultur repräsentiert und ­alles. Weil so ein Volk ändert sich doch auch, oder?
Könige haben auch leicht einmal eine Bauwut. Schauen Sie sich den Ludwig II. von Bayern an. Der war so bauwütig, dass jetzt lauter Japaner im Land sind, wegen der Schlösser. Weil die dann eine Sehenswürdigkeit geworden sind. Und jetzt der Christian Wulff. Baut sich ein Backsteinhaus, ja du meine Güte. Glauben Sie vielleicht, das wollen irgendwann mal die Japaner sehen? So ein Haus hat doch heute schon jeder Sparkassenfilialeiter. Nein, so richtig bauwütig sind unsere Bundespräsidenten nicht, die brauchen immer bloß eine neue Frau, wenn es mit der Karriere aufwärts geht. Und die haben halt dann so ihre Ansprüche.
Oder nehmen Sie einmal an, so ein König wird depressiv. Das gibt es ja. Und dann kann der nicht einfach aufhören, König zu sein. Also ein Bundespräsident, wenn der zum Beispiel beleidigt ist, dann kann er zurücktreten und muss sich weiter keine Sorgen machen. Bei einem König ist das ganz was anderes. Ich glaube, der dürfte nicht einmal seine Krone mitnehmen. Der könnte höchstens heimlich, still und leise mit den Kronjuwelen abhauen. Aber wohin? Bundespräsidenten sind da schon praktischer, wie gesagt. Die kriegen einen schwarzen Anzug an und ein paar Orden oder den einen oder anderen Ehrendoktor, und fertig. Aber was wollte ich sagen? Achja.
Also jetzt sitzt der Bundespräsident am anderen Tischende, und jetzt weiß man natürlich gar nicht mehr richtig, was jetzt oben ist. Deswegen schauen alle am Tisch abwechselnd zum alten Mädchen und zum Onkel Joachim, dem Missionar. Der hält jetzt immer die Tisch­reden. Mei, der kann vielleicht reden! Aber das lernt man natürlich als Missionar. Und da müssen Sie schauen, wie der aussieht, wenn der redet, also so was, tät’ ich fast sagen, von sich selbst Ergriffenes, so was Entrücktes, das kann einem direkt unheimlich werden.
Und weil der Onkel Joachim so gut reden kann, deswegen sitzt er jetzt auch an dem einen oberen Ende vom Tisch, das beim Fenster ist. Das alte Mädchen sitzt am anderen Ende, da wo die Tür ist. Weil die muss ja dauernd auf dem Sprung sein. Rund um die Welt, das ist ihr Beruf. Konferenzen und Gipfel und Sondierungen und alles. Also, der Bundespräsident, der Onkel Joachim, der muss schon auch reisen, aber nicht zu Konferenzen und Sondierungen, sondern zu so Staatsbesuchen. Das nennt man repräsentieren.
Da trifft er sich mit anderen, die auch repräsentieren. Mit Königinnen zum Beispiel. Oder mit anderen Präsidenten. Oder Missionaren. Das ist überall so: Der eine regiert, der andere repräsentiert. Sogar in Russland, da können die aber sogar tauschen. Nur in Amerika nicht. Da muss der Präsident zugleich regieren und repräsentieren. Das ist natürlich viel verlangt. Da kommt einer vor lauter Regieren gar nicht zum Repräsentieren, oder er kommt vor lauter Repräsentieren nicht zum Regieren. Jedenfalls kann er nicht auch noch auf sein Mikrophon aufpassen. Daran sieht man, wie gut es ist, dass so ein Tisch zwei Enden hat, und dass einer repräsentiert und der andere regiert. Weil sie sonst immer sagen, wir sollten den Bundespräsidenten abschaffen oder was. Dann müsste Angela Merkel ja auch repräsentieren und auf das Mikrophon aufpassen und alles.
Der Onkel Joachim kann so schön reden. Und Bücher schreibt der, du glaubst es nicht. Freiheit, Freiheit … Mir wäre ja eine schöne Königin doch lieber, also, ganz persönliche Meinung. So eine wie die Beatrix vielleicht. Die schaut immer noch so gesund aus, da kommt ein Mis­sionar nicht mit. Weil er ist ja auch ein Protestant. Die schauen immer weniger nach Äpfeln aus, mehr so nach Käse.
Und weil der Missionarsonkel Joachim ein Protestant ist, deswegen meint der das mit der Freiheit nicht so, da müssen Sie keine Angst haben. Das heißt bei ihm nicht sowas wie das »Occupy« oder wie das heißt, da sagt er ganz kategorisch, das ist albern, sondern Freiheit, das ist das, was wir haben, und da müssen wir gefälligst zufrieden damit sein, weil die anderen haben das nicht, und die wären vielleicht froh drum. Die armen Negerkinder zum Beispiel, die wären ganz bestimmt froh, wenn sie unsere Freiheit hätten. Und wir? Also wahrscheinlich sind wir einfach zu postreligiös, sagt der Onkel Joachim, als Missionar weiß er so was und kennt auch solche Worte. Deswegen: Wenn der Onkel Joachim »Freiheit« sagt in ­seiner Tischrede, dann darf man sich auch nicht freuen, oder anfangen mit der Hand zu essen oder was, sondern da muss man demütig werden und an seine Pflicht denken und seine Verantwortung, und dann ist auch das alte Mädchen wieder ganz beruhigt, weil die ja immer sagt, es gibt gar keine Wahl, und alternativlos, und »wat mutt dat mutt« oder so, wegen der Banken und Schutzschirme und Griechenland und Strompreise und alles. Also da braucht sie wirklich keine Angst haben. Dem Onkel Joachim seine Freiheit bringt unsere Ordnung schon nicht durcheinander.
Freilich, so schön reden wie der Onkel Joachim kann die Angela natürlich nicht. Der Ding, na wie heißt er gleich, der hat einmal gesagt, das alte Mädchen hätte nie einen Satz ­gesagt, der klüger wäre als »Wo geht’s denn hier zum Klo?«. Aber das ist natürlich eine Verleumdung, weil Angela Merkel ganz genau weiß, wo das Klo ist. Nein, was wollte ich sagen? Ja so: Das Reden übernimmt jetzt der Onkel Joachim, und die ganze Familie kriegt dann immer so ein Leuchten in den Augen, und alle sagen, endlich sitzt da der Richtige am Platz oben am Tisch und am Fenster. Auf den haben wir ja so lange gewartet, wieso eigentlich ist uns da dieser Ziegelvillenbaumeister mit seinen falschen Freunden dazwischen gekommen, jetzt haben wir eine Erlösung, und schauen Sie sich doch unsere Zeitungen an: Die schreiben, wenn’s um Onkel Joachim, den Bundespräsidenten geht, auf einmal alle wie Kirchenblätter. (Ich darf’s ja gar nicht laut sagen, aber der Onkel Joachim, der hat schon auch so seine publizistischen Groupies, wenn man das so sagen kann, also mein lieber Schwan, für die ist »unser Präsident« das, was für Ihre Töchter der Justin Bieber ist.)
Und jetzt dürfen wir wieder stolz sein auf unseren Bundespräsidenten und unser Deutschland und unsere Freiheit! Jetzt passt der Missionarsonkel auch auf, dass unsere Sitten und Gebräuche wieder gescheit eingehalten werden, da wird ein Freiheitstischgebet eingeführt, dass den Ungläubigen die Hosen nur so flattern und die Hartz-IV-Zausel sich aber so was von am Riemen reißen. Weil bei Bundespräsidenten muss es immer einen Ruck geben oder eine Wende oder eine Freiheit, Freiheit, Sackzement!, jetzt kann ich das Wort aber bald nicht mehr hören. Weil, bevor der Onkel ­Joachim gekommen ist, da war Freiheit noch eine saugeile Sache. Man hat sie zwar nicht gehabt, aber hat sich unheimlich drauf gefreut. Und jetzt sagt er immer, wir haben sie, die Freiheit, Freiheit, und jetzt macht sie keinen Spaß mehr.
Weil, wie gesagt, der Onkel Joachim ist ja ein Pfarrer. So was wie der Jürgen Fliege. Die finden das immer ganz toll, wenn die Gemeinde ihnen folgt, also die brauchen direkt ihre Gemeinde, sonst sind sie ganz unglücklich. Wenn sie reden dürfen und die anderen müssen zuhören, weil sie so menschlich ergriffen sind. Obschon: Der Onkel Joachim kann schon auch zuhören. Wie unser Bundespräsident noch gar nicht auf seinem Stuhl gesessen ist, aber schon gewusst hat, dass er da drauf sitzen wird, da hat er ein Konzert von dem Ding, dem Thomanerchor gehört, so Knabenmäßig und Johann Sebastian Bach und alles, und dann hat er gesagt, er kann oder er mag jetzt gar nichts sagen, weil er so ergriffen ist. Da haben die Fernsehkameras aber blöd geschaut.
Aber der Onkel Joachim, der weiß, wo man schweigen muss und wo man redet. Und mei, kann der reden! Hab’ ich ja schon gesagt. Das ist direkt pastoral. Der sammelt die verirrte Herde wieder ein.
Weil, für einen wie den Onkel Joachim sind wir alle ja eigentlich nur Schafe, so heißt das, der Pastor, das ist der Hirte, und wir sind die Schafe. Deshalb ist die Freiheit eines Schafes, das zu tun, was der Hirte will. Sonst muss der natürlich seinen Hund schicken. Aber sonst darf so ein Schaf zum Beispiel ganz frei wählen, ob es jetzt lieber ein Gras frisst oder doch einen Löwenzahn oder, bitte, sogar eine Distel. Das ist Geschmackssache bei den Schafen. Im Kommunismus zum Beispiel ist das ganz anders. Nur wenn der Pastor, also der Hirte pfeift, dann geht’s heimwärts. In den guten alten Stall, den Pferch. Und haben Sie schon mal gesehen, wie zufrieden die Schafe da ausschauen, wie dankbar sie dem Hirten sind. Jetzt sagt auf einmal die Zeit, der Onkel Joachim sei ein »Prediger des aufrechten Gangs«, das ist natürlich doppelt Blödsinn. Erstens: Weil wer zum aufrechten Gehen einen Prediger braucht, der lernt es sowieso nie. Und zweitens außerdem gehen doch Schafe gar nicht aufrecht, Dummie!
Jetzt muss man aber eins bedenken: Dass der Onkel Joachim jetzt am Tisch vom alten Mädchen sitzt, ändert überhaupt die ganze Tischordnung. Jetzt schaut der Missionar auf die Tischsitten, und die Angela kann sich mehr dem Rest der Welt widmen. Also zum Beispiel den Griechen die Faulheit austreiben und ihnen dafür die Wertarbeit der deutschen Waffen­industrie rüberbringen. Die werden schon sehen, wofür sie die noch brauchen. Aber ganz recht ist es der Angela Merkel vielleicht auch wieder nicht, dass alle so vom Onkel Joachim begeistert sind. Weil sie muss ja das Repräsentieren auch noch regieren, damit nicht ihr Regieren überhaupt nur noch von dem Freiheitsmissionar repräsentiert wird. So ein altes Mädchen mag es halt nicht, wenn einer so viel um sich rummacht. Vielleicht glauben die Brüderchen und Schwesterchen am Ende gar, sie hätten sowas wie einen neuen Vater. Muss man aber auch keine Angst haben. Der Onkel Joachim, sagt er selber, ist ein »Liebhaber der Freiheit«.
Deswegen heiratet der jetzt auch nicht, ich glaub’ das hat irgendwas mit unserem Steuerrecht zu tun, weiß ich aber nicht, geht mich ja auch nichts an. Weil so ein Missionar hat ja auch sein Privatleben. Ansonsten, muss ich sagen: tadellos. Weil ein Liebhaber der Freiheit jetzt natürlich auch kein so großes Haus braucht. Und keinen teuren Urlaub. Der bleibt viel lieber bei seiner Gemeinde und lässt sich sagen, wie gut er ihren Seelen tut. Wie beim Jürgen Fliege. Gut, am Anfang jedenfalls. Jetzt verkauft der nur noch so Wundermittel, vielleicht hat er ja auch gebaut. Nein, der Onkel Joachim, der strahlt eine Ruhe aus, eine Sou­veränität, eine Frei … Ich krieg’s nicht mehr über die Lippen. Und kaum ist er schon mal im Ausland, da ist er auch schon der Präsident der Herzen von den anderen. Diesen Präsidenten sollten wir uns patentieren lassen, das wird auch ein Exportschlager, sage ich. Ja, neidisch werden sie schauen, in der ganzen Welt, dass wir so einen Präsidenten haben.
Weil unser Bundespräsident hat nämlich jetzt wieder eine Würde. So was kannst du nicht bei Edeka kaufen, das musst du kriegen von deiner Gemeinde, und da ist er ja schon sozusagen offiziell zum »Bundespräsidenten der Herzen« gewählt worden, wie zuvor die Prinzessin, wie hat sie geheißen, das war die »Prinzessin der Herzen«, oder wenn Deutschland verliert, im Fußball oder so, dann ist Deutschland immer noch der »Sieger der Herzen«. Und jetzt ehrlich, der Onkel Joachim will »seinem ganzen Volk die Ängste nehmen«, hat der Spiegel gesagt. Spüren Sie’s auch schon? Wie die Ängste von Ihnen genommen werden? Am Tisch des alten Mädchens je­denfalls spürt man es ganz deutlich: Die haben keine Angst mehr. Die lachen nur noch! Die scheißen sich jetzt gar nichts mehr. Weil der Missionarsonkel jetzt bei ihnen sitzt. Wenn er bloß mit dem ewigen Freiheit, Freiheit aufhören wollte.