Die Zustände in deutschen Gefängnissen

Sechs Quadratmeter Deutschland

Die Anti-Folter-Stelle hat im Auftrag von Bund und Ländern einen Bericht über die Zustände in deutschen Gefängnissen vorgelegt. Das Ergebnis ist erschütternd.

In Frankreich verweigerte die Regierung jahrelang dem Roten Kreuz und anderen Organisationen den Zugang zu sämtlichen Haftanstalten des Landes, in Italien sind Abschiebehäftlinge unter katastrophalen Bedingungen in Baracken eingesperrt, in Thailand sterben selbst ausländische Untersuchungshäftlinge wegen fehlender medizinischer Behandlung und in den meisten US-Staaten werden die Knast-Psychiatrien einzig dazu gebraucht, »Aufsässige« medikamentös zu sedieren. Diese Aufzählung könnte endlos fortgesetzt werden, und auch Deutschland bildet keine Ausnahme. Der Bericht der deutschen Anti-Folter-Stelle, der Ende März erschien, und der Bericht der europäischen Anti-Folter-Kommission, der Ende 2011 veröffentlicht wurde, zeigen, dass die bürgerlichen Grundrechte für Menschen hinter Gittern keinerlei Geltung erfahren. Wie üblich verwies die Kommission des Europarats nach der Aufzählung der Missstände sogleich darauf, es seien nur »Einzelfälle«.

Frappierend ist, dass nicht nur diese »Einzel­fälle« für die Betroffenen höchst dramatisch sind, sondern auch, dass der jüngst veröffentlichte Bericht der deutschen Länderkommission, obwohl er nicht einmal politisch unabhängig ist, quer durch die Republik rechtswidrige Missstände aufzeigt. Einzelne Ministerien, Behörden und Anstalten verweigerten sogar die Kooperation und jedwede Auskunft. Es gibt anscheinend kaum eine Vollzugsanstalt, die die gesetzlich vorgeschriebene Mindestzellengröße einhält, »The­rapie-« und »Resozialisierungsangebote« wurden stark eingeschränkt und Freigänge vor der Entlassung aus Personalmangel verringert. Die Situation auf vielen JVA-Stationen, wie in Leipzig, wird als »besorgniserregend« eingestuft, in jeder der besuchten Anstalten wurden »menschenunwürdige« Zustände registriert. Die Worte von Gerhard Schröder, »Wegsperren – und zwar für immer!«, die an Sexualstraftäter adressiert waren, scheinen in den Auswirkungen der Vollzugs-Praxis für fast alle (Langzeit-)Gefangenen zu gelten: über deren Leben nach dem Knast macht man sich keine Gedanken. Das Konzept der Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft scheint man in Wirklichkeit aufgegeben zu haben. So wurden in Berlin erst vor kurzem langjährig Sicherungsverwahrte ohne vor­herigen Freigang und jegliche Vorbereitung überraschend entlassen. Die Lebensumstände der sogenannten Einzelfälle verdeutlichen dabei, wie sehr inzwischen die Kürzungen des Budgets den Alltag im Knast unerträglich werden lassen, die teils berechtigte Aggressivität der Gefangenen weiter steigern und einen menschenwürdigen Vollzug für alle Insassen nicht mehr zulassen.
Die JVA Werl, die in Justizkreisen als »vorbildlich« gilt, ist ein Beispiel für die 186 Justizvollzugsanstalten des Normalvollzugs, dort sind auf einer kompletten Etage mit Einzelhaftzellen »aus Sicherheitsgründen« sämtliche Fenster verhängt. Das Eindringen von Tageslicht und »Frischluftzufuhr« ist nach Angaben der Kommission damit quasi unmöglich. Änderungen durch die Anstaltsleitung sind nicht angedacht. Ein anderer, »auffälliger« Gefangener, für den die Kommission dringend die Unterbringung in einem Krankenhaus fordert, werde seit Wochen in Isolationshaft gehalten, der seltene Hofgang sei ihm nur gefesselt gestattet. Auch nach den Hinweisen der Inspektoren sieht die Anstaltsleitung keinerlei Änderungsbedarf. Zum Standard in Werl gehört es demnach auch, dass Neuzugänge erst nach sechs Monaten in reguläre Hafträume einquartiert werden, zuvor werden sie in den kleineren Zellen der Zugangsabteilung untergebracht. Fast scheint es, als wolle man »renitentes« Verhalten provozieren, um isolierte Sonderhaft anordnen zu können, die weniger personal- und kostenaufwändig durchzuführen ist.

Die Zustände im Maßregelvollzug sind ebenfalls schockierend. In Deutschland gibt es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mittlerweile 326 Einrichtungen und Kliniken, ihre Zahl ist stark gestiegen. Im überbelegten Zentrum für Forensische Psychiatrie in Lippstadt, in dem sich derzeit 312 »Patienten« befinden, werden Rechtspflichten ignoriert und zudem wird bei den Kosten für die Unterbringung gespart. Dem Bericht der Anti-Folter-Stelle zufolge werden Gefangene dort in Einzelzellen mit der Größe von zwölf Quadratmetern dauerhaft zu zweit untergebracht, persönliche Gegenstände müssen auf dem Flur gelagert werden, Hofgänge sind wegen »Personalmangels« stark eingeschränkt, die Brandschutzrichtlinien würden nicht eingehalten. Die Thera­pien, der eigentliche Zweck der Maßregel, werden in Art, Weise und Umfang als völlig unzureichend eingestuft. Der Kommission zufolge kommt es in dieser forensischen Psychiatrie zu nicht nachvollziehbaren Einschlüssen, der Aufenthalt in der beengten Zugangsstation kann dort bis zu zweieinhalb Jahren dauern. Die verfassungswidrige Doppelbelegung und andere Rechtsbrüche werden auf Nachfrage der Kommission als »therapeutisch erforderlich« begründet. In einem Fall bewertete das Landgericht Bielefeld den mangelnden Zugang zu anwaltlicher Beratung als »unwürdig«, die Anstaltsleitung verweist auf die »krankheitsbedingte« Notwendigkeit der Beistandsverweigerung.

Die Situation in den deutschen Gefängnissen, wie sie im Bericht dargestellt wird, ist eine Bankrott­erklärung des Rechtsstaats. Die permanenten Rechts- und Verfassungsbrüche gehören mittlerweile zur Programmatik des Strafvollzugs. Bei der Lektüre des Berichts fühlt man sich in die Atmosphäre klaustrophobischer Gefängnisfilme alter Schule zurückversetzt. Die Inspekteure berichten von Gemeinschaftsduschen ohne Intimsphäre, der Verweigerung von Schmerzmedikamenten oder von unerlaubten »Fixierungen« mit Metallfesseln. In der Berliner Jugendstrafanstalt, der JVA Rosdorf bei Göttingen und anderen Gefängnissen gibt es viele Zellen ohne Tisch, Bett, Stuhl und Fenster. Im Bericht ist von der »Verwahrlosung« vieler Anstalten die Rede. Noch drastischer wird die Situation in der Abschiebehaft und in den Gewahrsamen der Polizeien, der Bundespolizei, der Bundeswehr und der Zollfahndung beschrieben. Dem Bericht zufolge kommt es dort nicht nur in Einzelfällen zu Essensentzug, zur Fesselung mit Klettbändern, zur Verweigerung von ärztlicher Behandlung und Rechtsbelehrung. Festnahmen würden dort oft nicht protokolliert, es gebe Bodentoiletten und Dauerbeleuchtung, Brand- und Notrufmelder seien oftmals nicht vorhanden, auch eine Suizidgefährdung werde häufig nicht ernst genommen. Insbesondere die Praxis der Abschiebehaft in Berlin wird harsch kritisiert.
Angesichts der Menschenrechtsverletzungen von Zehntausenden ist zu fragen, warum der Bericht den Medien nur eine Randnotiz wert war. Lieber berichtet man wie bei Spiegel TV über »Luxus-Knäste« wie den in Monaco. Die zwei Dutzend Insassen verfügen dort über einen Wellness-Bereich, einen Tai-Chi-Lehrer, das Essen bereitet ein Sternekoch. Auf die Frage des Reporters zu dem unüblichen Aufwand des Kleinstaats antwortet der Direktor des Gefängnisses: »Dies ist Monaco. Wir haben einen Ruf zu verlieren!«