Über ein Gutachten zum Stand der Migration

Die Guten ins Dörfchen

»Anhaltend freundlich« – so beschreibt der »Sachverständigenrat Migration« das »Integrationsklima« in Deutschland. Das ist nicht verwunderlich. In seiner Welt gibt es keine Abschiebegefängnisse, Duldungen und Papierlose, sondern nur qualifizierte Migranten für die deutsche Wirtschaft.

Ausländer führen in Ebsdorfergrund ein angenehmes Leben. Sie finden leicht eine gute Arbeit, denn die kleine mittelhessische Gemeinde ist Sitz einer Reihe internationaler Unternehmen. Deshalb hat sie auch als einzige Stadt im Landkreis keine Schulden. 2001 gewann sie beim Bundeswettbewerb »Unser Dorf soll schöner werden« eine Bronzemedaille. Etwa 200 Ausländer leben dort mit etwa 9 000 Deutschen zusammen, sie kommen aus 47 Nationen. Und weil Ebsdorfergrund wie viele andere kleinere Kommunen unter einem Geburtenrückgang leidet, werden zuziehende Migranten geschätzt und umsorgt.
Denn für das Städtchen ist es besonders wichtig, die Zahl der Zuzüge zu erhöhen, um die Einwohnerzahl stabil zu halten. Darum hat die Stadtverwaltung um den SPD-Bürgermeister Andreas Schulz Maßnahmen ergriffen, um noch mehr Ausländer anzulocken. Dazu gehört ein »Kompetenzteam Sanierung«, das Zuziehende beim Kauf sanierungsbedürftiger Immobilien berät. Außerdem wird für jedes neugeborene Kind ein Kindersparbuch angelegt, auf das die Gemeinde bis zum 18. Geburtstag insgesamt 750 Euro einzahlt. Deswegen hat sich auch die aus Jamaika kommende Atomphysikerin Hillary Westmeier in Ebsdorfergrund niedergelassen. In der Kernspektrographenfirma ihres Mannes entwickelt die Expertin für »schnelle kinetische Reaktionen« neue Geräte. Sie engagiert sich ehrenamtlich, hält Vorträge und leitet eine Tanzgruppe.

So sieht das Einwanderungsland Deutschland in den Schilderungen des »Sachverständigenrats Migration« (SVR) aus. Ebsdorfergrund ist eine Beispielgemeinde aus dem neuen Jahresgutachten des Gremiums. Abschiebeknäste, Flüchtlingslager, Papierlose, Kettengeduldete und die Residenzpflicht kommen in dieser Welt nicht vor. Denn der von acht wirtschaftsnahen Stiftungen – darunter jene der Konzerne Volkswagen, Bertelsmann, Hertie und Vodafone – finanzierte SVR ist eine Art Good-Governance-TÜV für Nützlichkeitsrassismus. Wo die EU-Grenzschutzagentur Frontex sich unerwünschten Migranten in den Weg stellt, da versucht der SVR im Dienste der Volkswirtschaft jenen, und wirklich nur jenen Migranten einen Weg nach Deutschland zu bahnen, für welche die deutsche Wirtschaft Verwendung hat.
Eines der Lieblingswörter des SVR ist »Mangelberufe«. Um welche es sich handelt, variiert je nach Konjunktur, meist aber fehlen Ärzte und Ingenieure. Angesichts der »Mangelberufe« beschwört der SVR immer besonders dringlich die Notwendigkeit qualifizierter Zuwanderung. Und weil Fragen der Standortkonkurrenz auch Fragen der Auseinandersetzung sind, klingt es immer recht kämpferisch, wenn der SVR von Einwanderung spricht: Dann ist von Strategie, »doppelten Offensiven« oder »Qualifikationsoffensiven« die Rede, die »alle noch für den Arbeitsmarkt verfügbaren Potentiale erschließen« sollen, dann muss die »gezielte Förderung qualifizierter Zuwanderung« die »Engpässe decken, ohne unnötige Konkurrenz zu verursachen« – zu den deutschen Arbeitern selbstverständlich.
Kürzlich forderte der SVR auch »kundenfreundlichere« Ausländerbehörden. Diese sollten »schnellere und transparentere« Entscheidungen treffen, denn sonst könnten sich die Behörden dem Verdacht aussetzen, sie entschieden willkürlich und diskriminierend. Und das wirke auf ausländische Fachkräfte »abschreckend«. Weil der SVR dies im Fall aller anderen Ausländer offenbar für unproblematisch hält, lobte er als Vorbild zwei Pilotprojekte, mit denen eine Zwei-Klassen-Ausländerbürokratie eingerichtet wird: den »Business Immigration Service« in Berlin und das »Welcome Center« in Hamburg. Dort gibt es sepa­rate Anlaufstellen für ausländische Fach- und Führungskräfte, so dass diese sich nicht mit den Geduldeten oder anderweitig unerwünschten Ausländern anstellen müssen. »Die Service­orien­tierung muss zum Markenzeichen der Ausländerbehörden werden«, forderte der Vorsitzende des SVR, der Osnabrücker Migrationsforscher Klaus Jürgen Bade.

In seinem jüngsten Gutachten hat der SVR nun ein neues Problem ausgemacht, das es den erwünschten Hochqualifizierten in Deutschland schwer macht: den Föderalismus, beziehungsweise dessen »Schattenseiten«. Die konkurrierenden Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden stünden einer »effektiven Bündelung integrationspolitischer Maßnahmen« entgegen. Es gebe keinen »Masterplan zur Integration«, sondern nur einen »Wildwuchs integrationspolitischer Einzelmaßnahmen«. Die verschiedenen Körperschaften würden sich sogar »in wechselsei­tigen Blockaden ersticken«.
Insgesamt, so der SVR, verfolgten die verschiedenen Verwaltungseinheiten eine »unterschied­liche Agenda«. Und die falle, je nach politischer Tendenz, sehr verschieden aus, was die Integra­tion angehe. Erschwerend komme hinzu, dass die verschiedenen Körperschaften auch unterschiedlich viel Geld ausgeben können.
Auf kommunaler Ebene hat man offenbar schneller begriffen, dass Integration sich lohnt, wie der SVR feststellt. Über die Hälfte der 228 im Jahresgutachten untersuchten Kommunen haben demnach ein »Gesamtkonzept zur Integration entwickelt«. Es gebe vielerlei Projekte zur Integration in Sachen Wohnen, Arbeitsmarkt und Bildung, ­wie in der sympathischen Mustergemeinde Ebsdorfergrund. Doch diese würden dabei »oft allein gelassen«, klagt Bade.
Ihm fehlt der »systematische Austausch« erfolgversprechender Integrationskonzepte. »Wir brauchen eine Instanz, die wechselseitiges kommunalpolitisches Lernen organisiert«, sagt er. Der SVR empfiehlt deshalb den Aufbau einer »zen­tralen Serviceagentur für kommunale Integrationspolitik«, die aus Kostengründen etwa beim schon bestehenden Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) angesiedelt werden könnte. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, wies die Kritik Bades zurück: »Es gibt keinen anderen Bereich, in dem wir so gut vernetzt sind wie in der Integrationspolitik.«

Um die Fortschritte in Sachen Integration zu bewerten, misst der SVR jährlich auch einen sogenannten Migrationsklima-Index. Dazu werden jeweils etwa 9 000 Menschen mit und ohne Migra­tionshintergrund zu ihrer Befindlichkeit in Sachen Multikulti in Deutschland befragt. In diesem Jahr sind die Forscher zu dem Ergebnis gekommen, dass das »Integrationsklima« in Deutschland »anhaltend freundlich« sei. Auf einer Skala von 0 (sehr negativ) bis 4 (sehr positiv) bewerteten die Deutschen ohne Migrationshintergrund das Klima mit einer glatten zwei, also unentschieden. Nicht so die Migrantinnen und Migranten: Sie bescheinigten der Integration immerhin eine 2,4, wobei Ost- und Westdeutschland fast identisch abschneiden. Mit die besten Werte von 2,87 erhielt das »Integrationsklima« von in Ostdeutschland ­lebenden Afrikanern. Das Thilo Sarrazins Buch übrigens, so fanden die SVR-Forscher heraus, habe zwar die Zahl der Integrationsskeptiker in Deutschland erhöht, die Zahl der entschiedenen Integrationsbefürworter sei zugleich jedoch noch stärker gestiegen.