Zur Debatte über den Umgang mit den Salafisten

Die Hooligans des Propheten

Ausbürgern? Abschieben? Oder doch lieber Sozialarbeiter einsetzen? Die Diskussion über den Umgang mit den Salafisten in Deutschland ist nicht arm an kruden Vorschlägen.

Die Physik kennt Materie und Antimaterie, also spiegelbildliche Teilchen mit einander entgegengesetzten Eigenschaften wie Ladung und sogenanntem Spin. Wenn sich Materie und Antimaterie begegnen, lösen sie sich mit einem ordentlichen Wumms in nichts auf. Im politischen Leben gibt es Salafisten und die Anhänger der »Bürgerbewegung« Pro NRW. Auch sie sind geistige Zwillinge, was ihre reaktionären Weltbilder betrifft, nur spinnen eben auch sie unter entgegengesetzten Vorzeichen. Und wenn sie aufeinanderprallen, knallt es ebenfalls heftig, wie die Vorfälle der vergangenen Wochen gezeigt haben.
Das verleitet zu der Überlegung, ob man beide Gruppierungen nicht einfach in einer gesicherten Örtlichkeit, beispielsweise einem Fußballstadion, aufeinander loslassen und dann in Ruhe abwarten könnte, bis sich der Konflikt von selbst erledigt hat. Wahrscheinlich fände sich dafür sogar ein zahlendes Publikum, Vorläufer finden sich ja vom antiken Rom bis zum »Dschungelcamp«.

Diese Idee ist jedenfalls nur unwesentlich abwegiger als das, was der Politik als Antwort auf die gewaltfreudigen Reaktionäre einfällt. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) etwa warnt vor nichts Geringerem als einem heraufziehenden »Religionskrieg«. Einmal abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall nur eine der Konfliktparteien höhere Mächte hinter sich wähnt, während die Gegenseite in erster Linie deshalb vom »christlichen Abendland« daherfaselt, weil das schöner und akzeptabler klingt als »rassische Überlegenheit«, sei dem Minister ein Blick ins Geschichtsbuch empfohlen: Das letzte Ereignis auf europäischem Boden, das eine solch drastische Bezeichnung verdiente, fand von 1618 bis 1648 statt und hinterließ über lange Zeit verwüstete Landstriche. Um da heranzureichen, müssten sich die Muslimkrawallbrüder doch noch etwas mehr anstrengen.
Das hält andere jedoch nicht davon ab, im großen Fundamentalismuswettbewerb mitzumischen. Christean Wagner beispielsweise, der Vorsitzende der CDU-Fraktion im hessischen Landtag und Gründer des »Berliner Kreises«, einer Gruppierung am rechten Rand der Union, nutzte die Gelegenheit im Interview mit der Frankfurter Rundschau nicht nur, um die drei Strophen des Deutschlandlieds als »historisches Ganzes« zu preisen, sondern um ganz tolerant zu fordern: »Ich will den Deutschen türkischer Herkunft, nicht den Türken mit deutschem Pass.« Nicht zuletzt hält Wagner die »christlichen Werte« hoch. Was genau er damit meint, ließ er offen. Man darf aber davon ausgehen, dass seine Vorstellungen näher an den gesellschaftlichen Idealen der Islamisten liegen, als er es selbst wahrhaben möchte.
Selbstverständlich fehlt in diesem politischen Milieu auch ein anderer Reflex nicht: »Verbieten, einsperren, abschieben!« Allerdings dürfte insbesondere Letzteres nicht so einfach zu bewerkstelligen sein, schließlich besitzen zahlreiche der hierzulande lebenden Salafisten die deutsche Staatsbürgerschaft. Nicht wenige sind gar Konvertiten mit Vorfahren, die selbst Wagner als urdeutsch durchgehen lassen dürfte. Doch Abhilfe naht, und zwar aus der FDP. Deren integrationspolitischer Sprecher Serkan Tören trat mit der Idee an die Öffentlichkeit, deutsche Salafisten einfach auszubürgern.

Da kommen jedoch einige Fragen auf: Meint Tören damit auch die konvertierten Deutschen ohne Migrationshintergrund? Soll dasselbe auch für gewaltbereite Anhänger und Mitglieder von Pro NRW gelten? Hat Wolf Biermann schon protestiert? Und wohin mit den Ausgebürgerten? Vermutlich würden selbst Saudi-Arabien und der Iran dankend abwinken, die jungen Zivilgesellschaften Nordafrikas haben schon genug Probleme mit ihren einheimischen Islamisten (siehe Jungle World 19/2012), und für die Reislamisierung der Türkei benötigte die Regierung Erdoğan bislang keine Exportfundamentalisten.
So hat Christean Wagner zwar die knackige Parole ausgegeben: »Salafisten gehören nicht zu Deutschland.« Aber das ist ebensolcher Unsinn, als behaupte man, Nazis gehörten nicht zu Deutschland. Selbstverständlich tun sie das und müssen deshalb gleichermaßen als hauseigenes Problem betrachtet werden wie die Salafisten. Zwar dämmert diese Einsicht mitunter auch in der derzeitigen Diskussion. Aber selbst diejenigen, die nicht die Abschiebung oder Ausbürgerung von Salafisten fordern, kommen bisweilen zu seltsamen Schlussfolgerungen.
Die Frankfurter Rundschau etwa forderte: »Schluss mit der Islam-Hetze!« Den Appell rich­tete sie jedoch nicht etwa an Pro NRW, sondern an den Bundesinnenminister. Dieser hatte jedoch ausnahmsweise einmal nicht pauschalisierend vom Islam gesprochen, sondern in diesem Fall explizit nur von den salafistischen Hooligans des Propheten. Doch eine Kommentatorin der Frankfurter Rundschau wusste es dennoch ganz ­genau: Die »Hetze« des Innenpolitikers sei »viel gefährlicher für unser Land« als das Treiben der Islamisten.
Ulla Jelpke von der Linkspartei traf es da schon besser, als sie Friedrich und seinen Parteifreunden Stammtischpopulismus vorwarf. Auch ihr Aufruf, die muslimische Mehrheit gegenüber den Salafisten zu stärken, klang auf den ersten Blick nicht ganz unvernünftig – allerdings nur so lange, bis man sich vergegenwärtigt, welchen vermeintlichen muslimischen Mehrheiten Jelpke ansonsten ihre Unterstützung versichert. So ist sie Mitunterzeichnerin des Appells »Solidarität mit den Völkern Irans und Syriens« – Solidarität nicht etwa gegen deren Regierungen, sondern gegen den bösen US-Imperialismus. Und sie war sich in der Vergangenheit keinesfalls zu schade, mit Hizbollah-Anhängern gegen Israel zu demons­trieren.
Auch Volker Beck fand die Krawalle in NRW nicht schön. Doch als waschechter Grüner favorisiert er selbstverständlich die Strategie »Erdrücken durch Umarmen«. Wohl deshalb forderte er, man müsse sich mit Jugendarbeit um den Jihad-Nachwuchs kümmern und »sich der Debatte mit ihnen stellen«. Solche Vorschläge kennt man aus den neunziger Jahren. Damals sollte die »akzeptierende Sozialarbeit« das ostdeutsche Naziproblem lösen, letztlich konnte die Naziszene ihre Hegemonie in ostdeutschen Jugendclubs unter pädagogischer Betreuung festigen. Womöglich gibt es auf Becks Drängen also demnächst Jugendzentren mit Gebetsräumen.

Vielleicht sollte man die Salafisten stattdessen einfach beim Wort nehmen und sie ein Leben wie zu Mohammeds Zeiten führen lassen. Auf Youtube-Propaganda müssten sie dann allerdings verzichten, ganz zu schweigen von sanitären Anlagen, die über den Standard des ersten Jahrtausends – christlicher Zeitrechnung, pardon! – hinausgehen. Wer den Koran unter die Leute bringen will, soll ihn gefälligst millionenfach per Hand abschreiben, statt die gottlose Druckerpresse zu nutzen. Und nicht zuletzt: In der guten alten Zeit des Propheten war auch die Entwicklung von Sprengstoff und Schusswaffen noch nicht allzu weit fortgeschritten, so dass sich das Gefahrenpotential zumindest eingrenzen ließe.
Ähnlich könnte man mit den Schrumpfgermanen von Pro NRW verfahren. Man gebe ihnen, was sie wollen, und verfrachte sie in ein von nichts Undeutschem kontaminiertes Biotop, beispielsweise eine mit Stacheldraht umzäunte Schrebergartenkolonie. Mangels anderer Feindbilder dürften sie ihre kleinbürgerlichen Aggressionen schnell gegeneinander richten und sich wegen zu selten gemähter Rasenflächen und über den Zaun wachsenden Ästen an die Gurgel gehen. Und wenn es doch Überlebende des Massakers am Maschendrahtzaun gibt, und obendrein die traditionstreuen Sharia-Jünger nach dem Moscheebau in Handarbeit noch immer überschüssige Energie loswerden wollen? Dann gibt es immer noch all diese Fußballstadien, die in der Bundesligapause verwaist herumstehen und einer alternativen Nutzung harren.