Der Drogenkrieg und die Legalisierungsdebatte

Legalize Erdbeereis!

Mit der Legalisierung des Drogenkonsums wollen Politiker und NGOs dem Drogenkrieg in Lateinamerika ein Ende bereiten. Dabei ignorieren sie Entwicklungsstand der organisierten Kriminalität, die ihr Geschäft längst diversifiziert hat.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Schon als ich 15 Jahre alt war, konnte mir niemand plausibel erklären, warum es krimineller sein soll, Marihuana und Haschisch zu genießen, als sich mit Bier, Wein oder Schnaps totzusaufen. Und hätte man Heroin sauber und billig erwerben können, wären wohl einige meiner damaligen Freundinnen und Freunde noch am Leben. Zudem hätten sie ihre Drogen nicht durch miese Betrügereien oder Überfälle finanzieren müssen. Es gibt kaum vernünftige Gründe, warum Koksen, Kiffen oder ein kleiner Ecstasy-Trip gesetzlich verboten sind, zumindest keinen, der im Interesse der Konsumentinnen und Konsumenten liegt.
Aber darum geht es hier nicht. Seit der sogenannte Drogenkrieg in Mexiko jene brutalen Bilder liefert, die es braucht, um in hiesigen Me­dien Aufmerksamkeit zu erregen, fordern immer mehr Politiker und andere Zeitgeister die Entkriminalisierung des Konsums von Marihuana, Kokain oder Heroin. Selbst die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung verlangte jüngst: »Machen wir Frieden mit den Drogen.« Dahinter stecken weniger gesundheitspolitische Erwägungen oder der Wunsch, den Menschen zu ihrem Recht auf Rausch zu verhelfen. Vielmehr erhoffen sich die neuen Legalisierer, auf diese Weise dem blutigen Treiben der Mafia in Lateinamerika ein Ende zu setzen. Die Vorstellung, den mexikanischen Kartellen den entscheidenden Schlag zu versetzen, indem man Marihuana legal auf deutschen Ladentischen verkaufen lässt, ist jedoch naiv. Sie ignoriert den Entwicklungsstand der organisierten Kriminalität und wie stark diese mit internationalen ökonomischen und politischen Strukturen verwoben ist.
Ja, richtig: Wären der Anbau von Kokasträuchern und Mohnpflanzen sowie der Handel mit Opium oder Kokain erlaubt, bräuchte es dafür keine korrupten Beamten, keine geheimen Transportwege und keine aufwendige verdeckte Verkaufsstruktur. Der Preis würde sinken, die Beschaffungskriminalität ginge zurück. Mexikanische oder kolumbianische Bauern könnten für den »freien Markt« produzieren und wären nicht jenseits von Recht und Gesetz skrupellosen Killern der Mafia ausgesetzt. Selbst hohe lateinamerikanische Politiker haben das eingesehen. In den vergangenen Jahren haben sich einige ehemalige Präsidenten dafür stark gemacht, den Konsum zu entkriminalisieren, weil das Besprühen von Kokafeldern mit Pestiziden und die massenhafte Mobilisierung von Soldaten weder Gewalt noch Drogenhandel einschränken konnten. In der Folge ist eine international besetzte »Global Commission on Drug Policy« entstanden, der unter anderen der einstige UN-Generalsekretär Kofi Annan und der ehemalige brasilianische Präsident Henrique Cardoso angehören.

Sogar der rechte guatemaltekische Ex-General Otto Pérez Molina denkt derzeit über die Legalisierung von Drogen nach. Dabei ist kaum anzunehmen, dass dem Präsidenten des Landes das Wohl guatemaltekischer Bauern am Herzen liegt – Menschenrechtsorganisationen werfen ihm vor, während des Bürgerkriegs an Massakern beteiligt gewesen zu sein. Ihn treibt wohl eher die Befürchtung, von dem Monster, das Leute wie er selbst geschaffen haben, eines Tages aufgefressen zu werden. Denn in Guatemala tobt ein Krieg zwischen Mexikos Mafia-Gruppen, in dem die Armeeangehörigen den Kürzeren ziehen könnten. Die traditionell vom Sinaloa- oder dem Golf-Kartell kontrollierten guatemaltekischen Gruppen, die eng mit dem Militär des Landes kooperieren, werden von den immer stärkeren mexikanischen Zetas zurückgedrängt.
Allerdings dreht sich dieser Kampf längst nicht mehr nur um die Produktion und den Handel von Drogen. Auch der Terror gegen die ländliche Bevölkerung kann ebenso illegalen Holzschlag zum Hintergrund haben wie den Anbau von Schlafmohn. Mexikos Kartelle sind zwar vor allem durch den Transport von kolumbianischem Kokain in die USA in den neunziger Jahren reich geworden, aber mittlerweile sind die illegalisierten Rauschmittel nur noch eine von vielen Waren, mit denen sie ihr Geld verdienen. Wie jedes transnationale Unternehmen – die Mexikaner sind in 52 Staaten tätig – haben sie Kapital in verschiedene Wirtschaftszweige investiert. Sie schmuggeln Waffen, handeln mit Organen, verkaufen Frauen für die Prostitution, sind auf dem Raubkopienmarkt tätig, kassieren Schutzgeld oder entführen reisende Migranten, um sie zu erpressen oder zu zwingen, für die Mafia zu arbeiten. Nach Einschätzung des Sicherheitsexperten Edgardo Buscaglia sind sie in 22 von 23 kriminellen Geschäftsfeldern aktiv, die Einnahmen aus dem Drogengeschäft machen nur noch etwa die Hälfte ihres Umsatzes aus. Tendenz fallend. Und natürlich stecken ihre Gelder nach einer ordentlichen Wäsche in karibischen Ferienanlagen, bulgarischen Immobilien oder deutschen Einkaufszentren.
Die transnationale Kriminalität unterscheidet sich also in ihrer Struktur nur unwesentlich von legalen Unternehmen. Die Grenzen sind fließend und das Ziel ist dasselbe: Gewinnmaximierung. Die Geschäftsidee der Kartelle basiert nicht auf der Ware an sich. Die Kartelle profitieren davon, dass die Güter – und auch Menschen – illegalisiert sind oder ihr Schmuggel verboten ist. Auf dem Markt halten kann man sich nur, wenn man vor allem Transportwege und Territorien kontrolliert. Um sich durchzusetzen, müssen die Mafia-Organisationen über eine gut ausgebaute Infrastruktur verfügen. Sie brauchen legale Unternehmen, die ihnen Schiffe, Flugzeuge, Lagerhallen und Produktionsstätten zur Verfügung stellen und über die sie Geld waschen und investieren können. Und sie benötigen ein enges Netz von korrupten Politikern, Polizisten, Zollbeamten etc., die ihre Geschäfte absichern. Über diese Wege werden Kokain und Heroin ebenso geschmuggelt wie Raubkopien, Waffen und Frauen.
Auch über diese strukturellen Faktoren hinaus hängt die organisierte Kriminalität eng mit den legalen politischen und ökonomischen Verhältnissen zusammen. So profitiert sie zum Beispiel vom globalisierten System offener und zugleich geschlossener Grenzen. Der immer regere internationale Warenverkehr verbessert die Bedingungen dafür, verbotene Güter über Grenzen zu bringen. Zugleich sorgen unterschiedliche Gesetzgebungen oder Mauern an europäischen oder US-amerikanischen Außengrenzen dafür, dass die Preise für den Schmuggel steigen. Und sie schaffen die prekären Verhältnisse, unter denen illegalisierte Migrantinnen und Migranten immer öfter zum Opfer von Mafia-Organisationen werden.

Die Kartelle brauchen also arme Länder mit korrupten Beamten und schwachen Institutionen genauso wie starke Rechtsstaaten. Ihre Geschäfte sind schlicht der am radikalsten deregulierte Bereich eines Weltmarktes, der immer stärker von wirtschaftlicher und politischer Liberalisierung geprägt ist. Ohne den legalen Markt ist das illegale Geschäft nicht denkbar. Der Unterschied ist graduell: Die Mafia organisiert ihre Kapitalakkumulation jenseits von Gesetz und staatlicher Regulierung, während ihre gesetzeskonformen Pendants anderen Regeln ausgesetzt sind, dafür aber auch auf andere Garantien bauen können.
Gerade am mexikanischen Drogenkrieg werden die Analogien und Abhängigkeiten der Bereiche besonders deutlich: Früher wickelte ein Kartell unter der Führung der Staatspartei, der Partei der institutionalisierten Revolution (PRI), quasi-staatlich reguliert die Geschäfte ab, immer in enger Kooperation mit Wirtschaft, Militär, Gewerkschafts- und Bauernführern. Doch durch die poli­tische und wirtschaftliche Öffnung des Landes in den vergangenen 20 Jahren hat sich auch dieser Markt liberalisiert. Der PRI hat seine Allmacht verloren. Heute liefern sich mehrere Mafia-Organisationen, die mit jeweils unterschiedlichen politischen Parteien und Fraktionen des Sicherheitsapparats verbunden sind, blutige Kämpfe um die Kontrolle von Territorien und Transportwegen. Wie im legalen Wirtschaftsleben gilt auch für sie: Überleben wird nur, wer sich gegen den anderen durchsetzen kann.
Warum sollte dieser Konkurrenzkampf enden, nur weil man einen Warensektor dem illegalen Markt entzieht und dem gesetzlich geregelten überantwortet? Ja, Drogen anbauende Bauern würden damit ein Minimum an rechtsstaatlichen Garantien gewinnen, die sie unter den de facto feudalistischen Verhältnissen der Mafia nicht besitzen. Doch darüber hinaus dürften die Auswirkungen auf die gewalttätigen Verhältnisse gering sein, wenn das kriminelle System nicht zugleich an seinen strukturellen Stützen angegriffen wird. Dafür müssten die Gelder legaler Unternehmen, die mit Mafia-Geldern agieren, konfisziert, die Vermögensverhältnisse aller Politiker und hohen Militärangehörigen geprüft und Beamte besser ausgebildet und bezahlt werden. Zudem müsste etwa die mexikanische Regierung eine völlig andere Sozial- und Bildungspolitik betreiben. Solange in Mexiko acht Millionen Jugendliche keine Aussicht auf Beschäftigung oder Auskommen haben, bleiben sie der Mafia als schlecht bezahlte Schmuggler und potentielle Killer erhalten. Mit welchen Waren ihre kriminellen Arbeitgeber ihr Vermögen anhäufen, dürfte diesen Menschen völlig egal sein.