In der Ukraine soll erstmals ein CSD stattfinden

Parade ohne Ikone

Für das kommende Wochenende ruft die LGBT-Community zur ersten Pride Parade in der Ukraine auf. Die Regierung sieht die traditionelle Familie in Gefahr, religiöse Gruppen und Elternkomitees planen Gegenaktionen.

»Es ist hart, aber wir kommen durch«, sagt Stas Mischenko. Er ist einer der Organisatoren der ersten Pride Week in Kiew, die vom 19. bis 22. Mai unter dem Motto »Würde, Gleichheit, Verschiedenheit« stattfinden soll. Nicht von ungefähr entschieden sie sich für einen Termin kurz vor der Fußball-Europameisterschaft, die im Juni in der Ukraine ausgetragen werden soll. Auch der internationale Tag gegen Homo- und Transphobie, der seit 2005 am 17. Mai begangen wird, soll zu mehr Aufmerksamkeit für das Thema führen.

Diskriminierung und Gewalt gegen LGBT (Lesbian, Gay, Bisexuell, Transgender) nehmen seit einigen Jahren in der Ukraine zu, obwohl 1991, nach der Loslösung von der Sowjetunion, Homosexuelle dort rechtlich gleichgestellt wurden. Im Alltag werden sie allerdings vor Übergriffen auf der Straße, Diskriminierung am Arbeitsplatz oder seitens der Polizei kaum geschützt, wie eine Umfrage im vergangenen Jahr ergab. In Auftrag gegeben hatte diese Studie Nasch Mir (Unsere Welt), der ukrainische Lesben- und Schwulenverband. Die Aussagen der befragten LGBT – sie würden nicht als Gleichberechtigte anerkannt, zu Perversen und zu Störenfrieden des heterosexuellen Familienfriedens gestempelt – gaben letztendlich auch den Ausschlag für die diesjährige Pride Week und Parade.
»Wir wollen der Ukraine zeigen, dass wir keine Perversen, Sünder oder kranke Menschen sind«, sagt Mischenko. Diese Vorurteile sind nicht nur gesellschaftlich verbreitet, sondern sollen auch juristisch legitimiert werden. Bereits im Juni vergangenen Jahres debattierte das Parlament über einen Gesetzesentwurf zum »Schutz des Kindeswohls«, der »homosexuelle Propaganda« verbieten soll. Wie bei einem ähnlichen russischen, im Februar in St. Petersburg verabschiedeten homophoben Gesetz (Jungle World 16/2012), soll auch hier die öffentliche Darstellung von gleichgeschlechtlichem Begehren verboten werden, um die Nation und den Vorrang der Heterosexualität zu schützen. Mittlerweile unterstützt auch das nationale Komitee für Fernsehen und Radio diesen Entwurf.

Vadim Kolesnichenko, Abgeordneter der regierenden »Partei der Regionen«, der auch der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch angehört, brachte nun einen neuen Entwurf zum gleichen Thema ein. Er wägt die Bedeutung der Kindergesundheit gegen die Rechte der Homosexuellen ab und kommt zu hanebüchenen Schlussfolgerungen: Statistiken zufolge würde ein Prozent der Babys mit homosexuellen Neigungen geboren, beim Rest der LGBT sei die sexuelle Orientierung auf die öffentliche Zurschaustellung homosexueller Lebensstile zurückzuführen. Diese gelte es zu unterbinden, da die Ukraine ein traditionsbewusstes Land sei, in dem die auf der heterosexuellen Ehe beruhende Familie einen essentiellen Wert darstelle. In diesem Sinne sollen sowohl öffentliche als auch nichtöffentliche Manifestationen von Homosexualität unterbunden werden. Demonstrationen und andere größere Zusammenkünfte, die ein positives Bild vermitteln, gehören ebenso dazu wie der Sexualkundeunterricht in der Schule oder aufklärende Darstellungen in den Medien. Als Vorbilder nennt er Litauen, wo das Werben für homosexuelle Themen unter Strafe gestellt wurde, und Russland. Ausgenommen vom Vorwurf, homosexuelle Propaganda zu betreiben, sind Demonstrationen, die für die Idee der Toleranz oder für die Rechte anderer sexueller Orientierungen eintreten.
Diese irrationale Angst vor einer Homosexualisierung der Gesellschaft erschwert die Arbeit verschiedener LGBT-Organisationen, die neben HIV-Präventions- und Aufklärungsarbeit auch Workshops und Gesprächskreise anbieten, die die Teilnehmenden dabei unterstützen soll, die eigene Sexualität anzunehmen. Zugleich offenbart die Regierung mit ihrer zwiespältigen Politik, dass sie es sich nicht mit der EU verderben will und zugleich Anschluss an Russland sucht.

Mischenko geht davon aus, dass das Gesetz schon beschlossene Sache ist, da die ukrainische Regierung in diesen Fragen zumeist der russischen folgt. Aleksandra Lopata, Autorin auf gay.ru/lesbi.ru und Herausgeberin des ukrainischen Gay-Magazins Odyn z nas (Einer von uns), meint hingegen, die Sorge, diskriminierende Gesetze könnten eine Aufnahme in die EU erschweren, wiege in diesem Fall schwerer. Auch beurteilt sie die Berichterstattung vor der Pride Parade als neutral bis positiv. Allerdings nehmen beide an, dass die Parade am 20. Mai angegriffen werden wird, da verschiedenste gesellschaftliche Gruppen, von orthodoxen Religiösen bis zu Elternkomitees, Proteste und zum Teil Gewalt angekündigt haben. Um die Sicherheit der Parade zu gewährleisten, verhandeln die Veranstalterinnen und Veranstalter sowohl mit der Stadt als auch der Polizei. Sie sehen diese in der Pflicht, ihre Rechte zu schützen. Verlassen wollen sie sich darauf aber nicht. Sie bieten Sicherheitstrainings für Demonstrierende an und haben internationale Gäste, Botschaftsmitglieder und NGOs eingeladen, unter anderem Volker Beck von den deutschen Grünen. »Ich glaube nicht, dass der ukrainische Staat und die Stadt Kiew es momentan darauf anlegen, noch weitere Negativschlagzeilen zu produzieren«, meint er mit Blick auf die Diskussion um Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine wegen der Haftbedingungen der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Die Menschenrechte müssten auch garantiert werden, »wenn sie sich nicht ikonisieren lassen«, wie es bei Frau Timoschenko der Fall sei. Für Mischenko bedeutet der angedrohte politische Boykott der EM nicht unbedingt, dass die Regierung gezwungen wird, sich für Menschenrechte der LBGT zu engagieren. Allerdings gebe es derzeit eine große internationale und mediale Unterstützung für LGBT, die auf eine sichere und öffentlichkeitswirksame Parade hoffen.