Die politische Lage in Mali

Putsch und Peitsche

In Nordmali festigen Separatisten und ­Jihadisten ihre Macht, während im Süden das Militärregime die vereinbarte Übergabe der Macht an eine zivile Regierung verweigert.

Vergewaltigungen, öffentliche Auspeitschungen und die Plünderung von Krankenhäusern gehören zu den »zahlreichen Kriegsverbrechen«, die eine Kommission von Human Rights Watch in Nordmali registrierte. Verbrechen haben nach Angaben der Menschenrechtsorganisation alle bewaffneten Gruppen begangen, die Jihadisten von Ansar Dine ebenso wie die Kämpfer der Nationalbewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA), die das Gebiet Anfang April zu einem unabhängigen Staat erklärte.
Die MNLA distanziert sich offiziell zwar von den Jihadisten, eine offenbar von ihr einberufene Versammlung von Ulama (Religionsgelehrten) beschloss Ende April jedoch, dass in Azawad »Koran und Hadith Quelle der Gesetzgebung« sein müssen. Möglicherweise hofft die MNLA, durch eine betont »islamische« Politik die Jiha­disten isolieren zu können. Derzeit gilt ein Waffenstillstand zwischen den bewaffneten Gruppen in Nordmali, die getrennte Hauptquartiere in den eroberten Städten eingerichtet haben.
Während Separatisten und Jihadisten im Norden ihre Stellungen ausbauen und weitere Kämpfer rekrutieren, scheint die von Hauptmann Amadou Sanogo geführte Junta, die im März putschte, sich nicht an das mit der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (Ecowas) geschlossene Abkommen halten zu wollen, das die Rückgabe der Macht an eine gewählte Regierung vorsieht. Zwar wurde wie vereinbart für 40 Tage eine Übergangsregierung eingesetzt, doch die Macht wird vom Militär ausgeübt. Die Putschisten wollen wohl nach Ablauf der Frist am 22. Mai selbst wieder die Führung übernehmen, ohne Eile bei der Vorbereitung von Wahlen zu zeigen.
So gibt es im Norden Malis nun einen Staat, den niemand anerkennt und den die Gründer nicht einmal kontrollieren, während im Süden eine fast ebenso isolierte Gruppe von Offizieren verhindert, dass eine durch Wahlen legitimierte Regierung Verhandlungen mit den Separatisten aufnimmt. Ob die MNLA, die beansprucht, die Tuareg zu repräsentieren, sich auf ein Autonomiestatut, etwa nach dem Modell des kurdischen Nordirak, einlassen und im Gegenzug helfen würde, die ­Jihadisten wieder in die Wüste zu schicken, ist zwar nicht sicher. Einen Versuch wäre es allemal wert, denn die Alternative ist ein bewaffneter Konflikt, von dem wahrscheinlich die Jihadisten profitieren würden.
Ihr Ziel ist die Schaffung eines jihadistischen Korridors von Mauretanien bis Nigeria, der auch ein Operationsgebiet für global agierende Terroristen böte. Kämpfer der nordnigerianischen Boko Haram (Jungle World 2/12) wurden in Nordmali bereits gesichtet. Ein Bürgerkrieg bietet den Jihadisten die besten Entfaltungsmöglichkeiten, das hat sich unter anderem in Somalia gezeigt. Die Eskalation ist folglich in ihrem Interesse, und spätestens wenn sie außerhalb Nordmalis zu operieren beginnen, dürfte eine Militärintervention der Afrikanischen Union (AU) oder der Ecowas erfolgen, wahrscheinlich mit Unterstützung der USA und vielleicht auch der EU.
Doch auch in Somalia intervenierten die Uno, die USA, Äthiopien, die AU und Kenia, die Jihadisten aber, die zu Beginn des Bürgerkrieges im Jahr 1991 eine Randgruppe waren, sind stärker denn je. Ohne Gewaltanwendung werden die ­Jihadisten sich nicht aus ihren Stellungen in Nordmali vertreiben lassen, doch ebenso wenig gibt es eine militärische Lösung.