Arabische Nächte sind lang

Berlin Beatet Bestes. Folge 147. Fairuz: L’amour de Laure (1960).

Zunächst ist nur das Plattencover da. Ich weiß nichts über die Musik. Das knallbunte Bild ist der Grund, aus dem ich die Platte kaufe, diese trash­ige Pin-Up-Pose der lasziv ausgestreckten Bauchtänzerin mit den entblößten Achseln. Wenn man genau hinsieht, erkennt man sogar die aufgemalten Berber-Tätowierungen auf dem Kinn und der Stirn. Die Inszenierung der arabischen Nächte geht direkt und ohne Umwege aufs Klischee zu. Sofort stellen sich vertraute Bilder ein. Ich sitze wieder als Kind in den siebziger Jahren gemütlich im Bademantel auf der Couch und esse Muttis Häppchen, während im Fernseher ein Technicolorfilm der fünfziger Jahre läuft, in der Scheherazade vor dem Sultan einen Bauchtanz macht. Ein spannender Abenteuer- oder Agentenfilm, der in Kairo oder Beirut spielt, in dem Sophia Loren und Kirk Douglas um ihr Leben laufen. Da ist die Musik fast schon egal. Allerdings gibt das Cover dieser Platte auch preis, dass die EP in der Philips-Reihe »Bon Pour la Danse« erscheint, es wird sich also vermutlich um Popmusik handeln, könnte aber auch traditionelle Bauchtanzmusik sein. Zu Hause höre ich sie mir gleich an und recherchiere im Internet. Was ich höre, klingt tatsächlich nach Popmusik.
Das Internet sagt: Libanon. Libanon in den sechziger Jahren. Wie sah es ­damals in Beirut aus? Trugen die Frauen Mini­röcke und Stiefel? In meiner Jugend war Beirut das Synonym für eine zerstörte Stadt. Vor dem Bürgerkrieg war es allerdings wahrscheinlich wie Paris. Die ersten zwei Songs der Sängerin Rinda sind so heiter und unbekümmert, dass ich die libanesischen Teenager, die dazu getanzt haben, förmlich vor mir sehe. Hizbollah und Konsorten sind noch weit entfernt. Auf der B-Seite singen sich traurig und sehnsüchtig eine Frau und ein Mann an. Ich vermute, es geht um eine unerfüllte Liebe. Eine Liebe, die nicht Wirklichkeit werden darf. Dieses tragische »Nicht-sein-dürfen« wird schmachtend in »L’amour de Laure« besungen. Fairuz, erfahre ich, ist der libanesische Superstar schlechthin und gilt als »Mutter der libanesischen Nation«. Begleitet wird sie von den Brüdern Mansour und Assy Rahbani, der später ihr Ehemann wird.
Tawfiq al-Basha ist der Begründer der modernen libanesischen Popmusik. Bereits in den fünfziger Jahren unternahm er als Leiter seines Orchesters ausgedehnte Tourneen durch Europa. Sein Sohn Abdel Rahman al-Bacha ist heute ein bekannter klassischer Pianist, der in der Nähe von Paris lebt. »Derbeck«, der flotteste und am stärksten arabisch gefärbte Titel, stammt von Mohammad Salam. Über ihn konnte ich irgendwie nichts in Erfahrung bringen. Er besingt die Darbuka, die im Nahen Osten beliebte kleine schmale Blechtrommel, die man im Hintergrund auch schön hören kann.
Von der fragwürdigen Vermarktung der Platte abgesehen, scheint der libanesische Popmusikexport vor 50 Jahren also schon weiter gewesen zu sein als heute. Welche libanesischen Majorlabelkünstler stehen heute wie selbstverständlich bei uns im Regal neben Lady Gaga und Beyoncé? Aber was weiß ich, vielleicht ja in Frankreich?