Die repressive Drogenpolitik stößt an ihre Grenzen

Bio-Koks und bettelnde Taliban

Je intensiver die repressive staatliche Drogenpolitik ihr Ziel verfolgte, desto mehr musste sie ihr Einsatzgebiet ausweiten. Nun stößt sie in der Peripherie an ihre Grenzen.

»Naiv«, schreibt Wolf-Dieter Vogel in seinem Debattenbeitrag (Jungle World 20/12), sei »die Vorstellung, den mexikanischen Kartellen den entscheidenden Schlag zu versetzen, indem man Marihuana legal auf deutschen Ladentischen verkaufen lässt.« Wer wollte ihm da widersprechen? Selbstverständlich ist die illegale Drogenökonomie nicht die Ursache gewalttätiger Mafiotisierung; sie kann sich, ganz im Gegenteil, im großen Maßstab nur dort etablieren, wo gesellschaftliche Zerfallsprozesse durch (Bürger-)Krieg und ökonomische Zerrüttung bereits hinreichend vorangeschritten sind. Schwer vorstellbar allerdings, dass die Hoffnung, mit der Legalisierung der bislang verbotenen Rauschmittel bräche das Zeitalter von Freiheit, Frohsinn und Frieden für Mexiko an, über die Redaktionsstuben der einschlägigen Kiffermagazine hinaus allzu weit verbreitet ist. Statt sich an der Verklärung staatlicher Maßnahmen zu Welterlösungsformeln abzuarbeiten, wäre daher die weit nüchternere Frage zu stellen, wie sich die Legalisierung auf die Verlaufsform der Bandenbildung auswirken würde.
Dazu hat Vogel wenig zu sagen. Stattdessen warnt er: Die lateinamerikanischen Politiker und elder statesmen, die das unlängst noch Undenkbare inzwischen ernsthaft erwägen, täten dies nicht, weil ihnen Gesundheit und Wohlergehen der Betroffenen »am Herzen« lägen, sondern aus machtpolitischem Kalkül – als hätte sich unterm Kapital je etwas ausgerechnet deshalb zum Besseren gewendet, weil den Herrschenden auf einmal philanthropisch zumute gewesen wäre, und als könnte nicht gerade dem Materialismus, wenn es um die konkrete Verbesserung von Lebensbedingungen geht, die Frage nach der dahinter stehenden Gesinnung leidlich egal sein. Dass eine Freigabe für die unmittelbaren Produzenten positive Auswirkungen hätte, konzediert Vogel selbst, wenn auch eher en passant. Freilich nur, um sogleich wieder mahnend den Zeigefinger zu heben: Betrachte man die Sache bloß allgemein genug, bliebe nach der Veränderung im Rechtsstatus der gehandelten Ware doch eigentlich alles beim Alten. Die »transnational agierende Kriminalität« unterscheide sich schließlich nur »unwesentlich von legalen Unternehmen«. Denn, so Vogel, auch ihr ginge es ja um »Gewinnmaximierung«.
Geht es gegens Ressentiment, ist diese Feststellung zweifellos richtig. Angesichts der Paranoia, wie sie hierzulande seit den Neunzigern, als es das Abendland vor dämonischen Drogenbanden zu schützen galt, die Gemüter erhitzt, kann man nicht oft genug betonen, dass nichts als die fehlende Deckung durchs staatliche Gewaltmonopol den verruchten Dealer vom honorigen Kleinunternehmer unterscheidet. Will man aber die Mechanismen des Geschäfts verstehen, ist dieser Unterschied entscheidend. Er sorgt dafür, dass der Handel nicht durch Verträge bestimmt wird, sondern durch Archaischeres: Vertrauen und Gewalt.

Die Rede von den Kartellen, die sich seit Pablo Escobar für die Organisationen der narcotraficantes eingebürgert hat, taugt daher auch bestenfalls als Metapher. Die prekäre Natur des Geschäfts beschränkt fast automatisch die Größe der beteiligten Organisation: Um einzusteigen, bedarf es nicht viel Kapitals, sondern nur einiger guter Verbindungen; wer aber seinen Vorgesetzten loswerden will, um selbst mehr vom Kuchen abzubekommen, kann ihn einfach bei der Drogenfahndung denunzieren. Statt mit marktbeherrschenden Trusts hat man es eher, wie Raul Zelik in seinem Buch »Die kolumbianischen Paramilitärs« betont, mit losen Netzwerken zu tun, die ebenso schnell zerfallen, wie sie sich bilden; Henner Hess prägte dafür den schönen Begriff der »desorganisierten Kriminalität«. Vogel hingegen scheint die Phantasien der hauptamtlichen Verbrechensbekämpfer beim Wort zu nehmen, wenn er von »den Mexikanern« spricht, die »in 52 Staaten« und in »22 von 23 kriminellen Geschäftsfeldern aktiv« seien (wobei sich die Frage natürlich aufdrängt, welches ihnen noch fehlt – Robbenschlachten?).
Nur halb richtig ist auch Vogels Satz, beim Drogengeschäft handele es sich schlicht um den »am radikalsten deregulierten Aspekt eines Weltmarktes, der zunehmend von wirtschaftlicher und politischer Liberalisierung geprägt ist«. Denn er unterschlägt, dass nicht politische Liberalisierung fürs survival of the fittest verantwortlich ist, sondern, ganz im Gegenteil, der denkbar militanteste staatliche Regulierungswunsch. Das Verbot einer ganzen Warengattung, sollte man meinen, kann nicht gut als ultimativer Triumph des Freihandels interpretiert werden.
Indem der war on drugs die Militarisierung des Handels erzwingt, befördert er in den Anbauländern gesellschaftliche Verrohung. Exemplarisch steht dafür Kolumbiens cultura de muerte. So wenig auch dort die illegalisierte Ökonomie die Mafiotisierungsprozesse hervorgerufen hat, so sehr hat sie sie auf fatale Weise überformt. War Kolumbien ursprünglich ein bloßes Transitland, so boten die kolumbianischen Verhältnisse den sich konstituierenden narcotraficantes gleich mehrere professionelle Gewaltunternehmer zur Auswahl: Militär, Guerilla und paramilitärische Todesschwadronen. Insbesondere die Paramilitärs, traditionell für die dirty jobs der Elite zuständig, sind mittlerweile mit dem Bandenmilieu organisch verwachsen: Halbwüchsige, die einträgliche Geschäfte machen möchten oder einfach gerne mit der Waffe rumfuchteln, finden bei ihnen ein weites Betätigungsfeld. Die Farc wiederum, Lateinamerikas dienstälteste Guerilla, die immer noch nennenswerte Teile des ländlichen Südostens kontrolliert, finanziert sich, außer durch Entführung und Schutzgelderpressung, vor allem aus den Steuern, die sie auf den Kokaanbau erhebt. Diese finanzielle Basis zu bewahren, ist – nur noch dünn bemäntelt von einer (ohnehin nur mäßig sympathischen) marxistisch-leninistischen Ideologie – längst zum vordringlichsten Ziel der Organisation avanciert; und wenn es dem Geschäft dient, beliefert man auch schon einmal die Labors der Paramilitärs. Aus einem antagonistischen Konflikt, der mit der Erringung der Staatsmacht entschieden wäre, wird so eine Konkurrenz um Marktanteile, die sich, wie jedes Marktgeschehen, bis in alle Ewigkeit fortsetzen lässt.

Drastischer noch nimmt sich die Verquickung von repressiver Drogenpolitik und Terror in Afghanistan aus. Im Zuge des Kriegs gegen die sowjetischen Besatzungstruppen bauten die Mujaheddin das Land zum weltweit größten Opiumexporteur auf. Als mit deren Abzug 1989 auch die west­liche Militärhilfe versiegte, blieb der Mohnanbau die einzige Einnahmequelle der sich nun gegenseitig abschlachtenden Bürgerkriegsparteien. Er sichert bis heute zugleich die Gefolgschaft. Wenn der Westen neue Erfolge in der Drogenbekämpfung verlangt, hält die in die Regierung integrierte Nordallianz die schützende Hand über ihre Leute (und alle, die ausreichend zahlen können), während die Taliban in ihrem Einflussgebiet als verlässliche Protektoren auftreten, die, wie kürzlich in Musa Qala, gegen übereifrige Drogenpolizisten auch schon einmal mit Selbst­mordattentaten vorgehen.
In seiner Studie »Narco-Guerilla gleich Narco-Jihad? Über den Einfluss der ökonomischen Grundlage auf die Handlungsratio von Farc und Taliban« referiert Sebastian Draeger Umfragen, denen zufolge 15 Prozent der Afghanen auf Seiten der Regierung, zehn Prozent auf Seiten der Taliban, die anderen aber einfach auf Seiten derer stünden, die an Ort und Stelle das Existenzmi­nimum garantieren können. Was der Hamas ihre Suppenküche, ist den Taliban ihre Verteidigung der Opiumfelder: So dumm, sich allein auf den Koran zu verlassen, sind die Islamisten allemal nicht.
Die Drogenverbote waren einmal Feldzeichen autoritärer gesellschaftlicher Integration: der umfassenden Zurichtung zum wertproduktiven Staatsbürger. Je intensiver die repressive Drogenpolitik ihr Ziel verfolgte, desto weiter musste sie ihr Einsatzgebiet ausdehnen – bis sie in der Peripherie, in der nicht die Produktivierung der Nützlichen, sondern die Niederhaltung der Überflüssigen auf der Tagesordnung steht, an ihre Grenzen stieß. Vor der gesellschaftlichen Desintegration, die sie bewirkt, stehen – maliziöse Ironie des Weltgeists – selbst deren Exponenten ratlos da: Dass es »die Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft« waren, die die Konzentration des Drogenhandels in den Händen afghanischer Warlords ermöglichte, muss letzlich sogar eine Veröffentlichung des »Verlags für Polizeiwissenschaft« mit dem Titel »Drogenpolitik im Goldenen Halbmond« eingestehen.
Was aber wäre, wenn darüber – was nicht zu erwarten steht – die Herrschenden vor ihrer Unvernunft kapitulierten und die Drogen freigäben? Die Mohn-, Hanf- und Kokabauern dürften, statt für die Banden, für transnationale Pharma- oder Lebensmittelkonzerne produzieren – zu einem geringeren Preis als heute wohl, aber dafür ohne die ständige Drohung mit staatlicher oder mafiotischer Existenzvernichtung. Moralbewusste Mittelschichtskonsumenten könnten sogar ökologisch angebautes Opium rauchen oder Kooperativen-Koka kauen. Die Taliban müssten wieder in Pa­kistan betteln gehen, die Farc würde wohl aufgeben und den Platz für – vielleicht – Besseres freimachen; nur die Paramilitärs dürften weiter florieren. Für eine Utopie ist das recht bescheiden. Wie trist müssen daher Verhältnisse sein, im Vergleich zu denen das dennoch ein Fortschritt wäre.

Bücher zum Thema:
Raul Zelik, Die kolumbianischen Paramilitärs. »Regieren ohne Staat« oder terroristische Formen der Inneren Sicherheit. Westfälisches Dampfboot 2010, 352 Seiten, 29,90 Euro
Sebastian Draeger, »Narco-Guerilla« gleich »Narco-Jihad«? Über den Einfluss der ökonomischen Grundlage auf die Handlungsratio von FARC und Taliban. Lit-Verlag 2011, 136 Seieten, 19,90 Euro
Janet Kursawe, Drogenpolitik im Goldenen Halbmond. Verlag für Polizeiwissenschaft 2010, 492 Seiten, 32,90 Euro